cr-4cr-4L e v i a t h a nRousseauEucken von MohlSimmel    
 
FERDINAND TÖNNIES
Anmerkungen über die
Philosophie des Hobbes

[3/4]

"Hobbes hat vor allem den Begriff der unmittelbaren Erkenntnis als einen absurden verworfen. Vernünftige Erkenntnis wird gewonnen durch Denken; Denken ist Zusammensetzung von Urteilen; Urteile bestehen aus Namen; Namen sind Zeichen von Vorstellungen; Vorstellungen bilden sich durch Einwirkung der Dinge."

"Die Erfahrung zeigt, daß man nur diejenigen aufsucht, in derem Gesellschaft einem Ehre oder Vorteil gewährt werden; und wissenschaftliches Denken lehrt, daß darunter in der Tat alle mögliche Lust begriffen ist, nämlich alle geistige unter Ehre, alle körperliche und sinnliche unter Nutzen oder Interesse. Das sind die Dinge, welche unmittelbar und als Zwecke erstrebt werden, die Menschen aber und ihre Geselligkeit sind nur in zweiter Linie ein Mittel zu diesen Zwecken. Folglich sind die Motive welche Menschen zusammenführen, entweder Not oder Eitelkeit."


Dritter Artikel

1. Die ethische und die mit derselben eng verknüpfte politische Philosophie des HOBBES liegt in drei verschiedenen Fassungen vor, welche der Zeit ihres öffentlichen Erscheinens nach so aufeinander folgen:
    1) Elements of law (Hum. Nat. n. De corpore politico, a. a. O.) 1640, im Druck aber erst 1650.

    2) De cive 1642, neue Ausgabe mit Noten 1647.

    3) Leviathan 1651, lateinische Ausgabe 1668.
Außerdem haben die psychologischen und ethischen Hauptbegriffe noch eine besondere Darlegung erfahren in De homine 1658. Als die erste Schrift bekannt gemacht wurde, hatte ihr Verfasser schon das 53. Lebensjahr vollendet. Die Umwandlung seiner Denkungsart liegt vor dieser Zeit; es ist demnach nicht zu erwarten, daß er in den genannten Büchern über die hauptsächlichen Gegenstände sehr verschiedene Ansicht sollte kundgetan haben. Und in der Tat, der eigentliche Körper der Doktrin ist wohl allmählich angewachsen, aber ohne in wesentlichen Zügen sein Aussehen zu verändern. Dennoch will ich auch hier versuchen, um denselben richtig kennen zu lernen, wenigstens in einigen Stücken die Spuren seiner Entwicklung ausfindig zu machen und nachzuweisen.

2. Ich hege nun die Meinung und habe sie schon früher angedeutet, daß HOBBES die Grundlagen dieser ethisch-politische Theorie schon für sich festgestellt hatte, ehe die mechanistische Betrachtung zur herrschenden Macht seines Denkens wurde. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Denkarbeit, welche jene Grundlagen hervorgebracht hat, eng mit den Studien über THUKYDIDES zusammenhing und schon zu einiger Vollendung gekommen war, als die Übersetzung dieses Schriftstellers herausgegeben wurde (1628); was man auch aus der Einleitung, welche derselben vorangeht, herausfühlen kann. Und nicht ist zu vermuten, daß jene ganze Arbeit in das folgende Jahrzehnt gefallen ist, welches den Autor mit größtem Eifer in mathematische und physikalische Forschungen sich vertiefen ließ; außer der Zeit, welche ihm durch Berufspflichten, durch Reisen und überhaupt durch das Leben, dessen er ungern vergaß, in Anspruch genommen wurde. So daß für die Tatsache, daß er gerade das Buch Über den Bürger zuerst durch den Druck öffentlich machte, zwar die Zeitverhältnisse den äußeren Anlaß gaben, aber der innere Grund doch in dem Umstand lag, daß eben dieser Teil seines Systems das am meisten Durch- und zu Ende Gedachte war von dem, was er bieten konnte. Dementsprechend führt sich auch das Buch, obwohl äußerlich auf den Zusammenhang des Ganzen hinweisend, mit einer Rechtfertigung seiner Selbständigkeit ein. Es bedürfte nicht der Deduktion aus den Ergebnissen der beiden im System vorangehenden Stücke, sondern beruth auf seinen eigenen durch Erfahrung bekannten Prinzipien. Der Inhalt geht demjenigen der Elements of Law, von deren 14. Kapitel ab, parallel; voraus sich die spätere Publikation dieses Abschnitts unter eigenem Titel und die gesonderte der 13 vorangehenden Kapitel erklären läßt. Diese Umstände aber unterstützen jene anderen Erwägungen, um die Annahme zu tragen, es sei der Gedankengang dieser Abteilung seinem wesentliche Bestand nach am frühesten von unserem Philosophen konzipiert und zur Reife gebracht worden; ferner die sich anschließende Vermutung wahrscheinlich zu machen, daß derselbe ursprünglich von den naturwissenschaftlichen Prinzipien unabhängig gewesen ist; demnach auch der von uns (zuerst in den erwähnten 13 Kapiteln) vorliegenden Auffassung der menschlichen Natur, soweit dieselbe in jenen Prinzipien ihren Boden gewonnen hat.

3. Aus mehreren Stellen dieser ersten Schriften läßt sich nun einigermaßen sein anfänglicher Plan entnehmen. Er will die Begriffe der Moralphilosophie der Vernunft gemäß bestimmen und ihr Verhältnis zueinander ordnen; daß das bisher nicht geschehen ist, liegt daran, daß auf diesem Gebiet Wahrheit und Interesse einander entgegenstehen;
    "denn so oft als Vernunft wider einen Menschen ist, so oft wird der Mensch wider die Vernunft sein",
sagt er in der Dedikations-Epistel der Elements; demnach hätten die unzähligen Autoren voluminöser Werke jene Begriffe ihre verschiedenen Wünschen und Abneigungen gemäß verschieden behandelt, er aber wolle dieselben auf unfehlbare Regeln bringen. Es stehen aber unter diesen Begriffen im Vordergrund solche wie "Recht", "gerecht und ungerecht", "Vertrag", "Gesetz" (Gesetz der Natur und politisches Gesetz) usw. Und zwar ist er zunächst bemüht, an die als gültig anerkannten Definitionen derselben sich anzuschließen. Im Widmungsbrief von "de cive" berichtet er: nachdem seine Gedanken sich auf den Begriff der natürlichen Gerechtigkeit gerichtet hatten, sei er von der Benennung selber (ab ipsa appellatione) ausgegangen, welche nach der gang und gäben Erklärung einen beständigen Willen bezeichnet, jedem das Seine zu geben; und dies hat ihn erinnert, daß zuerst untersucht werden muß, woher es kommt, daß jemand eine Sache die seine im Gegensatz zu einer fremden nennt. Und ebenso ist noch in den beiden ersten Redaktionen stehen geblieben die scholastische Definition von Recht (ius) als demjenigen, was nicht der richtigen Vernunft (recta ratio) zuwider ist. Eine Verbindung dieser Definition mit jenem anfänglichen Problem ergibt dann die Frage, ob das Mein und Dein von Natur gegeben ist oder ob vielmehr jeder Mensch ein Recht auf alle Dinge hat? Die letztere Antwort wird als die richtige angenommen und folgendermaßen abgeleitet: Alle Menschen sind gleich; nämlich im Wesentlichen gleich an körperlicher Kraft. Denn: jeder ist stark genug, den anderen zu töten. Sobald nun aber nur einer aus Eitelkeit oder Ruhmsucht sich für überlegen hält, so ist schon für den anderen notwendig, sich gegen jenen zu verteidigen; mithin steht auf beiden Seiten der Wunsch, anzugreifen; und daraus ergibt sich ein gegenseitiges Mißtrauen; aus dem Mißtrauen die Gefahr; ist aber Gefahr vorhanden, so ist es nicht wider die Vernunft, daß ein Mensch alles tut, was er kann, um seinen Leib und seine Glieder vor Tod und Schmerz zu bewahren. Dazu hat er folglich ein Recht; Recht auf einen Zweck impliziert aber ein Recht auf die notwendigen Mittel. Und auch ist nach Naturrecht jeglicher selbst Richter über die Notwendigkeit der Mittel und über die Größe der Gefahr; welcher letztere Satz durch eine charakteristisch - subtile Schulargumentation bewiesen wird: wenn es gegen die Vernunft ist, daß ich selber der Richter über meine eigene Gefahr bin, so ist es Vernunft, daß ein anderer Mensch Richter darüber ist; aber dieselbe Vernunft, welche einen anderen Menschen zum Richter über das, was ihn betrifft. Demnach habe ich die Vernunft für mich, über seinen Ausspruch zu richten, ob er zu meinem Wohl ist oder nicht. Folglich habe ich das Recht, mit jedes Mittel zu wählen, das mir beliebt; mithin ein Recht auf alle Dinge.

Aus dem offensiven Willen auf allen Seiten - so geht der Gedanke weiter - kombiniert mit dem Recht, das jeder hat auf alle Dinge, ergibt sich ein Zustand, der ein allgemeiner Krieg zu nennen ist. Indem nun dieser Krieg aller gegen alle wegen der Gleichheit der Streitenden durch keinen Sieg beendet werden kann und daher seiner Natur nach ein ewiger ist; und aber im Krieg jeder einen gewaltsamen Tod fürchten muß, so widerspricht, wer einen solchen Zustand wünscht, sich selber, denn jeder wünscht, was ihm gut ist (bonum sibi), und die Zerstörung der eigenen Natur ist keinem Wesen gut. Also - da ja der Widerspruch unvernünftig ist - ist es zunächst vernünftiger, denn als Einzelner den Krieg gegen alle zu führen, die Gleichheit aufzuheben, wo man kann; folglich hat jeder das Recht, wenn er einen anderen Menschen zeitweilig in seiner Macht hat, ihm Gutes und Böses zu tun, sich nach Belieben die eigene zukünftige Sicherheit von diesem verbürgen zu lassen; daraus läßt sich der allgemeine Schlußsatz folgern, als im Naturzustand gültig: unwiderstehliche Macht (auch über Personen) ist Recht. Jedoch, da eben wegen der wesentlichen Gleichheit an Kraft und anderen natürlichen Fähigkeiten vorauszusetzen ist, daß niemand hinreichende Macht haben kann, um sich dadurch für irgendeine längere Zeit zu erhalten, solange er in einem Zustand der Feindseligkeit und des Krieges verbleibt, so gebietet deswegen die Vernunft jedem Menschen zu seinem eigenen Wohl, Frieden zu suchen, soweit eine Hoffnung vorhanden ist, denselben zu erlangen, und sich anzustrengen mit aller Hilfe die er sich verschaffen kann, zu seiner eigenen Verteidigung gegen diejenigen, von welchen ein solcher Friede nicht erreicht werden kann; und alle Dinge zu tun, welche als notwendige Mittel dazu dienen. Diese Mittel aber sind enthalten in den einzelnen Gesetzen der Natur, welche aus jenem Fundamentalgesetz abgeleitet werden müssen. Das Hauptstück derselben gebietet, daß Verträge gehalten werden sollen. Durch Verträge entsteht das Gemeinwesen.

4. Eine kurze historische Erläuterung wird hier das Verständnis fördern. Das Dogma, welches in Bezug auf jene Begriffe in der umfangreichen politischen Literatur jener Zeit herrschend war, ist dieses: daß im Naturzustand der Menschen natürliches Recht gültig ist, im zivilen Zustand aber neben diesem auch ein positives Recht, das jedoch seine verpflichtende Kraft lediglich aus dem natürlichen bezieht, also ihm untergeordnet ist. Diese Vorstellungen und ihre Bezeichnung waren aus der aristotelischen Ethik in die scholastische Philosophie, aus dem justitianischen Kodex, dessen letzte Quelle dafür wiederum die Stoa war, in die scholastische Jurisprudenz übergegangen. Der Begriff des Naturrechts hatte in jener einen sehr weiten Sinn und bedeutete bald den Inbegriff aller Moral, bald wenigstens aller auf menschliches Zusammenleben bezüglichen Grundsätze. Als solcher wurde er von den verschiedenen politischen Parteien, insbesondere aber von den Vertretern der kirchlichen Idee und Macht für ihre Zwecke ausgebeutet; das natürliche Recht sei göttliches Recht, dessen Auslegung und Vertretung daher den geweihten Dienern Gottes zukommt. Das Grundgesetz desselben ist zwar Allen ins Herz geschrieben, durch den Fall Adams aber verdunkelt, und deshalb von Neuem durch Gott offenbart worden im Dekalog [zehn Gebote - wp] Auf diese ganz theologische Fassung hatte sich namentlich die neuere protestantische Lehre immer mehr beschränkt; während sich die katholische zugleich ihren Zusammenhang mit der aristotelischen Philosophie enger bewahrte. Dadurch blieb sie auch die herrschende, denn nicht weniger in protestantischen als in katholischen Ländern gewann der Thomismus in der schicklichen Neuformung, welche ihm der Jesuit SUAREZ gegeben hatte, noch zu Anfang des 17. Jahrhunderts eine neue und große Autorität; von ihrem Einfluß hat sich auch das Denken des HOBBES befreien müssen. Es lehrt aber der Thomismus in diesen Dingen so: der Mensch vermagt das Gute zu erkennen, insofern als seine Natur an der göttlichen Vernunft Anteil hat; die allgemeinen Obersätze hinsichtlich des Guten sind der Inbegriff der lex naturae. Ihre Erkenntnis ist eine unmittelbare durch die praktische Vernunft, wie die der undemonstrierbaren theoretischen Wahrheiten unmittelbar durch die spekulative Vernunft erfaßt wird. Die Erkenntnis aber, oder das erkannte Gute, bewegt den Willen; in der Art einer Finalursache; so zwar daß der Wille sich frei entscheidet, ob er nach der Erkenntnis handeln will oder nicht; die Kraft, nach ihr zu handeln, allen Impulsen konkupiszibler [begehrlicher - wp] und iraszibler [leidenschaftlicher - wp] Passionen gegenüber, hat er beständig; und es schließt sich an die unmittelbare Erkenntnis eine natürliche Neigung zum Guten; das höchste Gute für die Menschen ist aber das Gute nach der Vernunft, als welche ihm eigentümlich ist; seine Neigung zu diesem entspricht der Bewegungstendenz alles Stofflichen nach der ihm eigentümlichen Form; es gehört aber dazu außer dem Streben nach der Erkenntnis Gottes usw. auch die Liebe zum gesellschaftlichen Leben; die rationale Natur des Menschen ist zugleich seine soziale Natur. Aus ihr entspringt die weltliche oder staatliche Gemeinschaft. - Soviel über diese Dogmatik. Der große Streit zwischen Realismus und Nominalismus drehte sich in Bezug darauf um die Frage ob das Gute von Natur aus ist also auch von Gott nicht verändert werden kann oder ob es - wie OCKHAM und seine Nachfolger behaupteten - nur durch den Willen Gottes gut ist und durch diesen auch in sein Gegenteil verwandelt werden kann; daß aber ein "innerer Unterschied" zwischen dem Guten und Bösen besteht und daß auch das Bewußtsein davon jedem Menschen von Natur aus innewohnt, das durfte nicht bezweifelt werden. -

HOBBES hat sich sicherlich von Anfang an, seit sich seine Gedanken auf diese Dinge richteten, zugleich der kirchlichen Tendenz und der theologische Argumentation jener und der daraus abgeleiteten Doktrinen verneinend entgegengestellt. Darum hat er vor allem den Begriff der unmittelbaren Erkenntnis als einen absurden verworfen. Vernünftige Erkenntnis wird gewonnen durch Denken; Denken ist Zusammensetzung von Urteilen; Urteile bestehen aus Namen; Namen sind Zeichen von Vorstellungen; Vorstellungen bilden sich durch Einwirkung der Dinge - dieser Gedankengang gehört vermutlich zu den frühesten die sich HOBBES gestaltete. Also ist jene Erkenntnis durch viele Zwischenglieder vermittelt. Mithin gehört sie nicht zur Natur und zum natürlichen Zustand der Menschen; eine Folgerung welche freilich nur durch die merkwürdige Geschichte dieser Begriffe gehörig erklärt werden könnt. Daß die Vernunft selber, das Organ jener Erkenntnis, ein wesentliches Stück im Begriff des Menschen ausmacht, will der Autor damit keineswegs bestreiten, vielmehr erklärt er ausdrücklich in der ersten Schrift: "sie gehört dazu nicht weniger als Affekt (passion) und ist dieselbige bei allen Menschen, weil alle Menschen übereinkommen in dem Willen geleitet und gelenkt zu werden auf dem Weg zu demjenigen was sie zu erreichen wünschen, nämlich ihr eigenes Wohl und dieses soll das Werk der Vernunft sein" (de corp. pol. I, 2, 1; auch de civ. c. II, 1, aber abgekürzt und in Parenthese [Klammern - wp]). Wenn nun aber die Vernunft ihre eigentümliche Erkenntnisweise als eine unmittelbare verlieren muß, so ist damit auch der vernünftige Wille, als unmittelbar auf gewisse Objekte gerichtet, ausgeschlossen. Die unvernünftige animalische Natur der Menschen wird als das Gegebene und Natürliche vorausgesetzt. Ihre Erhaltung ist daher der allein natürliche Zweck und auf Mittel zu denselben bezieht sich alles was vernünftig ist, d. h. wie HOBBES sagen will, was wissenschaftlich-moralische Billigung verdient; demnach ist es einerseits nicht wider die Vernunft, und darum natürliches Recht, daß ein jeder die ihm gutdünkenden Mittel wählt; andererseits aber "Gebot der Vernunft" also "natürliches Gesetz" daß jeder die wirklich zweckmäßigen Mittel wählt. Diese ganze moralisch beurteilende Fassung ist aber nur eine scholastische Schale. Der wirkliche Gedanke will bloß die Begriffe der tatsächlichen Verhältnisse darstellen; er will logisch deduzieren, was dem Autor als historische Wahrheit feststeht: daß der natürliche oder ursprüngliche Zustand der Menschen durch eine rücksichtslose Feindschaft charakterisiert ist; und er will den tatsächlich vollzogenen Übergang zur friedlichen Zivilisation logisch erklären. Die begrifflich vermittelnde Stellung jener natürlichen Grenze bedeutet, daß eine vernünftige Einsicht, gewonnen durch Erfahrung der üblen Folgen jenes kriegerischen Zustandes, also etwas das nicht der menschlichen Natur als solcher angehört, die Menschen bewogen hat, das gemeinschaftliche Leben zu wollen, d. h. Verträge miteinander zu schließen und zu deren Sicherung eine souveräne Gewalt über sich zu setzen. Daß eine solche Einsicht als etwas allen Menschen Erreichbares und daher die Kraft dazu als eine allgemein wirkende vorausgesetzt werden soll, war durch den oben angeführten Satz, der die Vernunft als in allen Menschen dieselbige bezeichnet, sichtbar angedeutet worden; und daß sie, wenn nur der frei sich entscheidende Wille mit ihr zusammentrifft, in jedem Augenblick zur Tat führen kann: diese Auffassung hatte als die des naiven Verstandes ARISTOTELES vorgetragen; als theologisch unerläßliche hatte die mittelalterliche Doktrin sie festgehalten; sie war so tiefgewurzelt, daß wir füglich annehmen mögen, sie sei auch aus dem Denken des HOBBES, als er diese Theorie konzipierte, wenigstens noch nicht ausgerottet gewesen. Nunmehr aber will ich zu zeigen versuchen wodurch und wiefern sich dieses Denken in seiner Entwicklung verändert hat.

5. Es wurde (im ersten Artikel unter 8) mitgeteilt, daß sich im Laufe des Jahrzehnts von 1630 - 1640 die Ansicht im Denken des HOBBES befestigte, daß alle Dinge bloße Erscheinungen oder Vorstellungen sind und daß es nur ein Reales gibt, nämlich Bewegung, und daß diese Bewegung rein mechanischer Natur ist. Schon in jener ersten unveröffentlicht gebliebenen Abhandlung dringt der Philosoph vermöge dieses Axioms von den Problemen der Wahrnehmung zu denen der moralischen Begriffe durch. Nämlich als erste Schlußfolgerung des 3. Abschnitts tritt hier der Satz auf: "Gut ist, für jedes Ding, dasjenige was aktive Kraft hat, es räumlich anzuziehen;" welcher in folgender etwas schwerfälliger Art bewiesen wird:
    "Alles was gut ist, ist wünschenswert; und alles was wünschenswert ist, ist gut; und was in Wirklichkeit (actually) gewünscht wird, setzt eine wirkliche Sinnesempfindung oder einen wirklichen Verstand voraus; aber wirkliche Sinnesempfindung und Verstand sind räumliche Bewegungen der animalischen Geister (nach Schluß 5 und 6, Abschnitt 3). Daher setzt alles, was in Wirklichkeit gewünscht wird, eine Bewegung in den animalischen Geistern voraus, durch die Gegenstände mittelbar oder unmittelbar verursacht. In dieser Bewegung ist das, was gewünscht wird, entweder Agens [aktiv - wp] oder Patiens [leidend - wp]; deshalb (nach dem 5. oder 6. Schl. d. 3. Abschnitts) ist es Agens. Und weil das was gewünscht wird, bonum [Gut - wp] ist, darum ist bonum das Agens; und weil Bonum wünschenswert ist, darum kann jedes Bonum Agens sein in dieser Bewegung. Jedes Bonum hat mithin (nach Grundsatz 3, Abschnitt 1) Kraft zu bewegen; und weil alle Bewegung entweder zum Agens hin oder von ihm weg gerichtet ist; und es sich nicht vorstellen läßt, daß das, was gut ist, dasjenige zurückstoßt, für welches es gut ist; so folgt, daß Gutes Kraft hat anzuziehen; und weil das, was wünschenswert oder gut ist für einen, und also was einen anzieht, einen andern vielleicht nicht anzieht; so ist für jedes Ding gut dasjenige was Kraft hat es anzuziehen;" ...

    "diese Definition", heißt es dann weiter, "stimmt wohl überein mit Aristoteles, welcher gut definiert als dasjenige, zu welchem hin alle Dinge bewegt werden, was metaphorisch aufgefaßt worden ist, als ob wir den Gegenstand zu uns zögen, während es im eigentlichen Sinne wahr ist, da vielmehr der Gegenstand uns zu sich zieht durch räumliche Bewegung".
Nach einigen Kollarien [Zusätzen - wp] wird dann der Satz angeschlossen:
    "der Akt des Begehrens (of appetite) ist eine Bewegung der animalischen Geister zum Gegenstand hin, der sie bewegt";
und in ähnlicher Weise wie der vorige abgeleitet.

6. Diese Thesen bezeichnen den ersten Versuch, jenen Gegensatz gegen die teleologische Dogmatik, welcher die rationale Physik möglich gemacht hatte, auf das moralische Gebiet zu übertragen. Um nun aber zu untersuchen, welche Folgen dieser Schritt für die Behandlung derjenigen Probleme, die wir oben in einer früheren Phase zu erkennen glaubten, gehabt haben mag, ist es nötig, ein wenig weiter auszuholen. Ich erwähnte (im ersten Artikel 8), daß sich dem Autor um diese Zeit der Plan eines einheitlichen demonstrierten Systems gestaltete, welches auf der Grundlage der allgemeinsten Begriffe: von einem Körper, von Bewegung, von Raum und Zeit usw. bis zu der besondersten Erscheinung, einem politischen Körper und den Pflichten eines dazu gehörigen Menschen sich erheben sollte. Nun begann aber auf dem Boden Englands um dieselbe Zeit das Getöse der politischen Meinungen, welche noch die ausschließliche Herrschaft der scholastischen Philosophie, nicht nur in ihrem Gehalt, sondern in allen ihren Voraussetzungen verrieten, lauter und lauter zu werden; so daß HOBBES glaubte, er werde seinem Volk einen großen Dienst erweisen, wenn er jenen, welche von inneren und äußern Widersprüchen erfüllt sind, eine politische Wissenschaft entgegensetzen wird. Wenn er nun aber auch den Grundstock seiner Gedanken über diese Gegenstände schon um ihrer inneren Konsequenz willen, sofern sie aus einzelnen auf Erfahrung beruhenden, aber wegen ihrer formalen Richtigkeit wahren Sätzen durch durch kunstgerechte Syllogismen zusammengesetzt sind, für eine "uneinnehmbare" Veste (Hum. Nat. Ep. ded.) halten mochte, so glaubte er doch, daß dieselbe einer Deckung durch seine neugewonnene materiale Einsicht, das mechanistische Prinzip, bedürfen wird. Und wenn auch nicht die gesamte Deduktion allgemeinsten Elementen der Metaphysik (philosophia prima) durch die Physik hindurch dazu nötig wäre, so doch wenigstens eine Behandlung der menschlichen Natur nach ihren geistigen Erscheinungen, als worauf die Lehren von den menschlichen Handlungen unmittelbar beruhen muß. Diese Erwägung führte zu einer Ausarbeitung der ersten dreizehn Kapitel der "Elements of law" (welche später unter dem Titel "Human Nature" gedruckt wurden); und deren erstes beginnt demgemäß mit dem Satz: die wahre und durchsichtige Erklärung der Elemente eines natürlichen und politischen Gesetzes hängt von der Erkenntnis der menschlichen Natur ab; diese aber (so setzt sich der Gedankengang fort) ist die Summe aller natürlichen Kräfte des Menschen; die Anatomie der körperlichen Kräfte jedoch ist nicht notwendig für den gegenwärtigen Zweck; diejenigen des Geistes wolle er einteilen in Vorstellungs- und Bewegungskräfte. Es folgt dann die phänonemalistische Theorie der Vorstellung; mit der Annahme, daß ein im (hypothetisch gesetzten) Gegenstand vorhandene Bewegung Ursache der Erscheinungen ist; und zwar erläutert er die am Beispiel des Feuers, als des einzigen leuchtenden Körpers hier auf Erden; es ist aber kein Grund zu zweifeln, daß auch die Quelle des Lichts, die Sonne, feuriger Natur ist, und ohne Licht gibt es kein Sehen; nun wirkt das Feuer nur durch Bewegung; denn sobald seine Bewegung aufgehalten oder erstickt wird, so verlöscht es; diese Bewegung ist ein abwechselndes Sich-Ausbreiten und Sich-Zusammenziehen (dilation und contraction), wie durch Erfahrung zu beweisen; von einer solchen Bewegung aus muß nun durchaus ein Zurückwerfen desjenigen Teils des Mediums, welcher an das Feuer anstößt, erfolgen, dieser Teil wirft den nächsten zurück, und so fort, bis zum Auge; und ebenso drükct der äußere Teil des Auges den inneren, jedoch gemäß den Gesetzen der Brechung; nun ist die innere Haut des Auges nichts anderes als ein Stück des optischen Nerven, daher setzt sich die Bewegung noch weiter fort in das Gehirn; und durch den Widerstand oder die Reaktion des Gehirns erfolgt auch ein Rückprall im optischen Nerven; indem wir diesen nun nicht als eine Bewegung von innen wahrnehmen, denken wir er sei außerhalb, und nennen ihn Licht; wie denn eine Art von Lichterscheinung auch infolge anderer Erschütterungen des Gehirns, durch welche der optische Nerv stark miterregt wird, z. B. eines Schlags auf das Auge, einzutreten pflegt. Ähnlich sucht er dann die Wahrnehmungen der anderen Sinne zu erklären; es schließt sich daran die Behandlung der Einbildungsvorstellungen, des Verlaufs und der Assoziation der Vorstellungen, ihrer Reproduktion, der Hilfsmittel dazu (Merkmale, Namen), der Begriffe, des Denkens usw., endlich der verschiedenen Arten von Wissen. Damit will er dann die Tätigkeiten des Erkenntnisvermögens abgeschlossen haben, und zur Betrachtung derjenigen Kraft übergehen, vermöge welcher die Seele dem Körper eine animalische Bewegung mitteilt; die Tätigkeiten dieser Kraft sind unsere Affekte. Das folgende Kapitel geht zunächst auf die einfachen Gefühle, für welche HOBBES nun auch eine physiologische Erklärung zu besitzen glaubt; es ist ein bemerkenswerter Fortschritt, daß ihm nicht mehr die Begriffe des Guten und Üblen, wie im Traktat, sondern eben die Gefühle das nächste Problem geworden sind. Er meint nun, die Bewegung, welche im Gehirn die Vorstellung verursacht, kommt dort nicht zur Ruhe, sondern setzt sich fort bis zum Herzen, und hier wird sie - eine Mutmaßung, die offenbar an die Entdeckung HARVEYs anknüpft (1) - die vitale Bewegung des Blutes entweder fördern oder hemmen: im ersten Fall erzeugt sie das Gefühl der Lust, im andern das der Unlust. Jede Bewegung aber ist zugleich eine Reizung (der animalischen "Geister" ist gemeint) zum Ding hin oder von ihm weg, und erregt die kleinsten Anfänge oder Keime (endeavours) der animalischen oder willkürlichen Bewegung (voluntary motion); welche uns ins Bewußtsein kommen als Begehrung und Widerstreben; das Begehrte wird "gut" genannt; das Gegenteil übel. So ist hier die Ordnung des Traktats zugunsten der nominalistischen Konsequenz umgekehrt worden. - Was aber den Gedanken anlangt, so darf wohl für einen kurzen Rückblick Halt gemacht werden. Das mechanistische Prinzip in der Naturwissenschaft hatte den bisherigen Trägern der Veränderungen, den Qualitäten, ihre Funktionen und ihre Bedeutung für die Erklärung der Erscheinungen genommen; HOBBES und DESCARTES waren gleichzeitig dazu fortgeschritten, denselben ihr gegenständliches Dasein überhaupt abzusprechen und sie gänzlich in die Empfindung des Subjekts zu verlegen; was für DESCARTES die Unterlage zu seiner psychologischen Metaphysik abgegeben hat; während HOBBES nicht zu einer vollen Ausprägung seiner Konsequenzen gelangt ist. Dies gilt von den sinnlichen Qualitäten; eine gegebene Konsequenz, aber ein viel tieferer Schnitt in die mittelalterliche Weltanschauung ist es, wenn nun HOBBES die objektive Realität der moralischen Qualitäten beseitigen will; denn jene stellen nur das Hauptstück der naiven, diese aber zugleich das der religiösen Auffassung dar. HOBBES macht den Versuch, seinem Grundsatz getreu, als das in der äußeren Welt ihnen allein Entsprechende, verschiedene räumliche Bewegung aufzuzeigen; ihr Wesen aber macht er zu einem rein psychischen und setzt es in das sinnliche Gefühl. Hier aber prägt sich ferner ein bedeutender Gegensatz gegen die bisher herrschende Ansicht darin aus: während die aristotelisch - scholastische Psychologie das Gefühl als eine logische Funktion darstellte, also vom Gebiet der Vorstellung aus (oder wie es hier heißt, der Erkenntniskräfte) erklärte, so will HOBBES es von diesem gänzlich trennen und rückt es vielmehr unmittelbar mit dem Willen (den Bewegungskräften zusammen; so daß der Inhalt dieser Neuerung auch so formuliert werden kann: der menschliche Wille ist seiner Natur nach unabhängig vom Intellekt. Erst von hier aus ergibt sich die volle Ausschließlichkeit des Nützlichkeitsprinzips für die Moral. Die frühere Argumentation war von dem Axiom ausgegangen, daß jeder notwendig das begehrt, was ihm gut erscheint; der andere Satz: daß zunächst und vor allem die leibliche Selbsterhaltung das allen erwünschte Gut ist, war nur äußerlich wie eine Folgerung aus dem Begriff des Guten damit verbunden. Jetzt wird auf deduktivem Weg bewiesen, daß jeder nur begehen kann, was ihm das Gefühl der Lust erregt oder wovon die Vorstellung mit diesem Gefühl gesellt ist; und scheuen muß, was in derselben Weise das Gefühl des Schmerzes ansich trägt. So wird ihm Überlegung, auf das Handeln bezüglich, anstatt einer planmäßig gelenkten Folge von Gedanken, also eines spezifisch menschlichen, wesentlich intellektuellen oder vernünftigen Vorgangs, vielmehr ein dem animalischen Leben als solchem angehöriger oder reiner Willens - Prozeß: ein wechselndes Spiel der Affekte. Dies ist der Schwerpunkt der folgenden Gedankenentwicklung.

7. Sie schließt aber so an die bisher mitgeteilte an: Da jedes Gefühl mit einem Trieb verbunden gedacht wird, so ist die Einteilung der Gefühle zugleich die der Triebe. Jene aber werden eingeteilt in sinnliche und geistige; indem nämlich ein jedes mit einer Vorstellung gleichzeitig ist, so hängen sicn an die Vorstellungen des Gegenwärtigen oder sinnlichen Wahrnehmungen Lust- und Unlustgefühle, welche sinnliche heißen; an die Vorstellungen des Zukünftigen hingegen oder Erwartungen die geistigen: das Gefühl selber jedoch ist immer ein gegenwärtiges. Und die Vorstellungen des Zukünftigen sind in Wahrheit nur Mutmaßungen, ausgehend von einer Erinnerung des Vergangenen: wir stellen insofern vor, daß etwas zukünftig sein wird, als wir wissen, daß gegenwärtig etwas existiert, das die Kraft oder Macht (power) hat, es hervorzubringen; und daß etwas jetzt Kraft hat, ein anderes in Zukunft hervorzubringen, können wir uns nicht vorstellen, außer durch Erinnerung, daß es das Gleiche zuvor hervorgebracht hat. Wer daher eine zukünftige Lust erwartet, muß eine Kraft in sich selber empfinden, durch welche dieselbe erlangt werden kann. Da nun die Kraft eines Menschen den Wirkungen der Kraft eines anderen widersteht und sie hemmt, gleiche Kräfte aber einander aufheben, so ist Kraft in einem absoluten Sinn nicht mehr als der Überschuß der Kraft des Einen über die des Andern. Die Anerkennung einer solchen Kraft von Seiten anderer heißt Ehre. In der Lust welche Menschen empfinden über die Zeichen von Ehre, die ihnen erwiesen wird, und, entsprechenderweise, der Unlust über die Zeichen von Unehre besteht nun das Wesen der Affekte im engeren Sinn. Solche werden im 9. Kapitel geschildert: Stolz, Eitelkeit, Bescheidenheit, Scham, Mut, Zorn, Rachsucht, Reue, Hoffnung, Verzweiflung, Vertrauen, Mitleid, Hartherzigkeit, Entrüstung, Eifersucht, die unbenannten Affekte, welche Lachen und Weinen erregen, Wollust, Liebe, Carität, Bewunderung, Wißbegierde und dgl. Den Abschluß bildet die Vergleichung des ganzen Lebens mit einem Wettrennen und der Affekte mit den einzelnen Momenten desselben, aber eines Wettrennens, das kein anderes Ziel und keinen anderen Preis hat, als der vorderste darin zu sein. - Die folgenden Kapitel behandeln die Verschiedenheit der Temperamente, und das Wissen um übernatürliche Dinge; das 12. kehrt dann zu den Affekten zurück; es folgt nicht jede Handlung unmittelbar dem ersten Trieb; sondern oft erst nach einer wechselnden Folge von Begierde und Befürchtung (fear, wie hier ungenau steht anstatt Widerstreben, aversion); dieser Wechsel heißt "Überlegung"; und die letzte Begierde oder letzte Befürchtung, welche der Handlung vorangeht, heißt Wille. Begierde und Befürchtung können nicht gewollt werden, und stehen nicht in unserer Macht; also auch der Wille selber nicht; gewollt werden kann nur und in unserer Macht steht nur die Handlung und Unterlassung. - Das 13. Kapitel enthält Bemerkungen über die Wirkungen der Geisteskräfte von einem Menschen auf den anderen; insbesondere über den Gebrauch der Sprache. Dann werden die Kapitel über natürliches Recht und die Gesetze der Vernunft angeknüpft. Aber schon der erste Satz welcher die Fähigkeiten der menschlichen Natur zusammenfassen will unter die 4 Kategorien "Körperkraft, Erfahrung, Vernunft, Affekt" - mit welchem Satz auch die Schrift "de cive" eröffnet wird - ist schwerlich als das Ergebnis der vorangehenden Erörterung gedacht worden; er selber kann vielmehr dienen, die Wahrscheinlichkeit zu fördern, daß die ganze ihm angeschlossene Gedankenfolge ihrem wesentlichen Inhalt nach als ein früheres Produkt anzusehen ist. Ich hatte dieselbe so zu verstehen gesucht, daß sie den natürlichen Zustand als konstituiert durch die angeborenen Leidenschaften, den politischen als durch VERNUNFT konstituiert bezeichnen wollte. Die Einteilung der Seele in eine pars irrationalis und eine pars rationalis, welche dieser Auffassung zugrunde liegt, war der neuen anthropologischen Theorie gegenüber nicht mehr haltbar; es sei denn, daß sie den Sinn erhielt, unter dem Vernünftigen die gesamten Vorstellungs- und Erkenntniskräfte als solche zu begreifen. Auch dann aber blieb der Idee von einer unmittelbaren und den Affekten koordinierten Wirksamkeit derselben in Bezug auf die willkürlichen Handlungen, als klares Ergebnis entgegenstehen, daß alle willkürlichen Handlungen aus Affekten und Trieben hervorgehen, also in diesem Sinne nur einerlei Ursprung haben können. Zugleich mußte aus dem Plan eines systematischen Zusammenhangs der Wissenschaften vom Körper, vom Menschen und vom Bürger die Aufgabe umso stärker hervortreten, aus dem begrifflichen Inhalt der menschlichen Natur den Begriff des politischen Menschen unmittelbar herzuleiten. Da nun die Entstehung desselben in gewissen Handlungen des natürlichen Menschen gelegen war, so mußte also der Affekt aufgezeigt werden, welcher trotz aller entgegenwirkenden Motive stark genug ist, die Menschen zu bewegen, ihr Recht auf alle Dinge aufzugeben und Verträge miteinander zu schließen.

8. Die Schrift "Über den Bürger" beginnt demnach mit einer besonderen Untersuchung der Frage. Wenn denn nun auf einen Affekt die Bildung von Gemeinwesen als auf ihre Ursache zurückgeführt werden sollte, so lag es nahe zu denken, wie Essen aus Hunger, Trinken aus Durst geschieht usw. so ist auch die Vereinigung der Menschen aus einem besonderen Trieb, der Neigung oder Liebe zur Geselligkeit, hervorgegangen. Diese Vorstellung war (wie wir sahen) ein Stück der scholastischen Lehre und wurde von derselben regelmäßig an den aristotelischen Ausspruch zoon politikon angeknüpft; sie war noch neuerdings durch HUGO GROTIUS ausführlich behauptet und begründet worden. HOBBES weist den Gedanken mit Entschiedenheit zurück. Wenn er schon von vornherein demselben entgegen gewesen war, so glaubte er ihn jetzt, gestützt auf seine psychologische Theorie, als eine Absurdität verwerfen zu können. Jedoch beruft er sich zunächst nur auf die allgemeine Erfahrung; und sagt dann, es komme damit überein, was sich rational erschließen läßt aus den Definitionen der Begriffe: Willen, Gut, Ehre, Nutzen. Beide Argumentationen sollen jener "oberflächlichen Kenntnis der menschlichen Natur" gegenüber, den notwendigen und allgemeinen Egoismus der Menschen darlegen. Kein Mensch liebt den anderen Menschen als solchen; wäre dem so, es würde folgen, daß jeder jeden in gleicher Weise liebt und sich der Gesellschaft eines jeden erfreut; die wirkliche Erfahrung zeigt aber, daß man nur diejenigen aufsucht, in deren Gesellschaft einem Ehre oder Vorteil gewährt werden; und wissenschaftliches Denken lehrt, daß darunter in der Tat alle mögliche Lust begriffen ist, nämlich alle geistige unter Ehre, alle körperliche und sinnliche unter Nutzen oder Interesse. Demnach sind dies die Dinge, welche unmittelbar und als Zwecke erstrebt werden, die Menschen aber und ihre Geselligkeit sind nur in zweiter Linie ein Mittel zu diesen Zwecken. Folglich sind die Motive welche Menschen zusammenführen, entweder Not oder Eitelkeit. - Im weiteren Verlauf des Gedankens begegnet nun dem Verfasser eine eigentümliche Verwirrung. Man erwartet die Schlußfolgerung, daß aus einem von beiden Motiven, also aus dem natürlichen Egoismus, wie andere gesellige Zusammenkunft, so auch die politische Vereinigung der Menschen zu erklären ist. Aber im Gegenteil: eben dies wird nun ausdrücklich geleugnet.
    "Auf das Streben nach Ruhm kann keine Gesellschaft, weder von bedeutender Zahl, noch von langer Dauer, gegründet werden; deswegen, weil das Großtun wie auch die Ehre, wenn für alle vorhanden, für niemanden vorhanden ist; da nämlich beides auf Vergleichung und Auszeichnung beruth ... die Interessen dieses Lebens können freilich durch gegenseitige Hilfe gefördert werden; jedoch da das viel eher geschehen kann durch Herrschaft über andere als durch Gemeinschaft mit ihnen, so darf es niemandem zweifelhaft sein, daß die Menschen ihrer Natur nach, wenn die Furcht nicht vorhanden wäre, mit viel größerer Begierde nach Herrschaft als nach Gemeinschaft streben würden."
Man wird hier zum andern Mal in seiner Erwartung getäuscht; denn, wenn schon ein Gegensatz gegen die egoistischen Triebe ins Treffen geführt werden sollte, so mußte man nach der früheren Schrift (welche dieser Erörterung fehlt) füglich annehmen, es werde die vernünftige Einsicht genannt werden. Freilich aber: diese Thesis würde nicht der Aufgabe entsprechen, welche der Autor sich nach meiner Vermutung vorgestellt hatte. Auf der anderen Seite: daß die egoistischen Triebe Streit und Unterjochung verursachen, war die Grundlage seines Begriffs vom Naturzustand; daß dieselben auch eine Ursache des Friedens sind, konnte er nicht einräumen, ohne jenen Begriffe, wenigstens sofern er als ein ursprünglich allgemeiner gedacht war, zu zerstören. Der ganze Gedanke kommt offenbar in Verlegenheit. Zu ihrer Lösung oder vielmehr Umgehung hebt sich unvermerkt über den im Grunde gedachten Gegensatz von Trieb und Intellekt ein anderer: von einem positiven, d. h. mit einem Lustgefühl und einem negativen oder mit Unlust verbundenen Trieb; von Begierde und Furcht. Nun gilt was von Affekt und Willen im Allgemeinen gesagt war, daß sie nur auf Ehre und Vorteil ausgehen und darum keine Gemeinschaft begründen können, nur von der Begierde; sie will nur das Eigene, sie ist unbedingt egoistisch; mehrere Begierige können nicht zusammen bestehen! Also muß Gemeinschaft, da sie als Tatsache vorliegt und eine Erklärung fordert, durch Furcht möglich geworden sein; Furcht ist bereit, vom Eigenen abzugeben, wenn nur - bei vorausgesetzter Gleichheit - die Andern es auch tun wollen; also wenn sie in gleicher Weise Furcht haben. Mehrere Fürchtende können zusammen bestehen. So entsteht das große Paradoxon: die gegenseitige Furcht der Menschen voreinander vereinigt dieselben Menschen zur Gemeinschaft miteinander (Kap. I, 2. Schluß:
    "Es ist also zu statuieren, daß der Ursprung großer und langdauernder Gesellschaften nicht in gegenseitigem Wohlwollen, sondern in gegenseitiger Furcht bestanden hat.")
9. Die ganze Theorie der Naturgesetze als der Gebote richtiger Vernunft tritt im Wesentlichen unverändert wieder auf. Dieselben können aber innerhalb dieses Rahmens bloß die Bedeutung abstrakter wissenschaftlicher Wahrheiten haben, welche aus den festgestellten Obersätzen, daß es vernünftig ist sein Leben und seine Glieder zu erhalten und daß der Tod das größte natürliche Übel ist, durch ein streng methodisches Denken abgeleitet worden sind (vgl. Kap. II, 1). Die Entstehung menschlicher Gemeinschaften ist nicht von ihrer Erkenntnis abhängig gewesen. Aber ist den diese das wirkliche Problem des Autors? Nach dem Plan seiner Doktrin ist sie es nicht. Dieser besteht nicht darin, die Gemeinschaft als solche und ihre verschiedenen empirischen Formen zu erklären, sondern den einheitlichen Begriff der staatlichen Gemeinschaft in den Konsequenzen welche ihr Zweck als notwendig erfordert, darzustellen. HOBBES muß bei genauerer Betrachtung zugeben, daß der faktische Zustand völliger Vereinzelung und des Krieges aller gegen alle, nicht mit dem Begriff des Naturzustandes ausschließlich gegeben ist; sondern im Krieg selber bilden sich Genossenschaften, sei es daß einer sich Mehrere unterwirft, sei es, daß Mehrere sich einträchtig zusammenschließen indem ihre Willen auf ein und denselben Zweck gerichtet sind (de cive c. I, 14). Aber eine solche Eintracht und Gemeinschaft ist nicht gleich dem politischen Zustand; sie enthält keine genügende Sicherheit für ihre Dauer; die Zusammengesellten können in jedem Augenblick wieder auseinanderlaufen und werden dazu geneigt sein, vermöge des Wesens und des Wechsels der Affekte. Nur eine gemeinschaftliche Macht kann die Menschen zusammenhalten. Macht bedarf eines Willens als ihres Trägers. Aus den vielen Willen muß also ein Wille, wie derselbe auch immer zustande kommt, der aber in jedem Augenblick sich zu äußern die Fähigkeit haben muß, fortwährend die Handlungen aller nach sich zieht, d. h. für alle gültig ist. Dieser Wille kann also nicht in einer jedesmaligen Einstimmigkeit aller bestehen; denn es ist eben nicht darauf zu rechnen daß diese dauernd vorhanden ist. Ein dauernder Wille kann nur der Wille einer Person sein, sei es einer natürlichen, d. h. eines Menschen; oder einer künstlichen, d. h. einer Versammlung; der Wille einer Versammlung ist der Wille ihrer Mehrheit (de cive, C. V, 7). Ein solcher allgemeingültiger persönlicher Wille ist nun jedenfalls - so dachte HOBBES - nicht von Natur da, und kann nicht, wie jene zeitweilige Eintracht, durch eine zufällige Übereinstimmung gleichsam von selber entstehen. Wenn er irgendwo vorhanden ist, so muß er mit Bewußtsein gemacht worden sein. Er kann nur gemacht werden durch Verträge. Der natürliche Mensch schließt keine Verträge: das Kind kennt den Begriff gar nicht, der Erwachsene nicht ohne weiteres ihren Nutzen (Note zu de cive c. I, 2). Mithin ist Einsicht dazu erforderlich; also nicht bloß, wenn alle Affekte als zu Feindseligkeit reizend gedacht werden, um ihnen entgegenzuwirken; sondern auch wenn es Affekte gibt, die zum Frieden geneigt machen, um mehr als eine gelegentliche Friedlichkeit, um einen friedlichen Zustand möglich zu machen.

10. HOBBES macht noch in der Dedications-Epistel (die wie ich annehme, später geschrieben wurde als der Text) einen neuen Versuch, den Gegensatz auszugleichen. Kühn setzt er hier die Vernunft identisch mit der natürlichen Furcht vor dem Tod. Er sagt, daß er auf dem Weg der Analyse dahin gelangt ist, zwei vollkommen sichere Postulate der menschlichen Natur zu finden: einmal die natürliche Begierde, kraft deren jeder einen eigentümlichen Gebrauch der ansich gemeinschaftlichen Sachen fordert; sodann aber die natürliche Vernunft, vermöge welcher (qua) ein jeder bemüht ist, den gewaltsamen Tod als das höchste Übel der Natur zu vermeiden. Offenbar führt diese Wendung den schroffsten Widerspruch gegen die Begriffsbestimmungen herbei, welche der Autor selber in den "Elements of Law" dargelegt hatte. Die Position ist unhaltbar. Wie stark HOBBES die Schwierigkeit fühlte, geht daraus hervor, daß er sich in der Vorrede und den Noten welche der Ausgabe von 1647 hinzugefügt wurden, zu wiederholten Malen an einer neuen Umformung des Gedankens versucht. In der Vorrede (2) betont er nachdrücklich, daß die Menschen den "Gebrauch und die Disziplin der Vernunft nicht von Natur haben". Und in der ersten Note zu jener Stelle, welche die Motive des geselligen Lebens erörterte (Kap. I, 2) gesteht er zwar ein, daß dem Menschen durch (seine) Natur oder sofern er Mensch ist, d. h. gleich mit seiner Geburt die dauernde Einsamkeit unerträglich wird; daß er also die Zusammenkunft (congressum) mit anderen einem Naturzwang gemäß anstrebt; aber (hier wird ihm klar was dieser Unterschied auch für die psychologische Frage bedeutet, da ihn der Text der Stelle nicht betrachtet hatte) politische Gesellschaften seien nicht bloße Zusammenkünfte, sondern Bündnisse, zu deren Abschluß Treue und Verträge notwendig sind. Die Erörterung gipfelt in dem Satz, daß der Mensch zur Gesellschaft nicht von Natur, sondern durch Bildung (disciplina) tüchtig geworden ist. Die zweite Note zu derselben Stelle versucht noch, den Begriff der Furcht zu retten, indem sie ihn in das intellektuelle Gebiet hinüberzieht; es war eingewandt worden, wenn die Menschen einander gefürchtet hätten, so würden sie nicht einmal ihren gegenseitigen Anblick haben ertragen können; HOBBES erwidert, die so sprechen, verstehen wohl unter fürchten nichts Anderes als in Schrecken geraten (perterri); er aber begreift darunter jede Voraussicht eines zukünftigen Übels. In der Tat konnte er im Einklang mit seinen Prinzipien sagen, es sei diese Furcht des Einen vor dem Andern (nicht angeboren, sondern) selber ein Produkt der Erfahrung und sei im Bewußtsein mit der Erwartung zukünftiger Leiden verbunden. Aber er durfte diese Erwartung nicht gleichsetzen mit vernünftiger Einsicht. Dennoch tritt auch in dieser Schrift mehrere Male die Tendenz hervor, eine Erkenntnis der Vernunftgesetze als der politischen Vereinigung vorhergehend in den Geist der beteiligten Menschen zu verlegen; so hatte es schon im Text geheißen Kap. III, 31 med.:
    "Diesen (den Kriegs-) Zustand erkennen Alle leicht während sie sich in ihm befinden, als übel; und folglich, daß der Friede gut ist; die also über gegenwärtiges Gutes nicht übereinkommen konnten, kommen überein über zukünftiges; und eben dieses ist das Werk der Vernunft, denn das Gegenwärtige wird durch die Sinne, das Zukünftige nur durch die Vernunft wahrgenommen."
Und eine Note zu Kap. II, 1. versucht in anderer Weise den Begriff der vernünftigen Einsicht zu erweitern: richtige Vernunft im Naturzustand der Menschen bedeutet bei ihm nicht, wie bei vielen Anderen, ein unfehlbares Vermögen, sondern den Aktus des Denkens, d. h. das einem Jeden eigentümliche und hinsichtlich seiner Handlungen wahre Denken; was dann ausführlich erläutert wird. Es ist offenbar, daß hierdurch dem richtigen Denken sein Charakter abstrakter Wahrheit und allgemeiner Gültigkeit genommen wird.

11. Zu diesen Umdeutungen der Begriffe stellt sich in einen deutlichen Gegensatz der Leviathan.
    "Durch richtiges Denken wird nichts hervorgebracht als allgemeine, ewige und unveränderliche Wahrheit." (P. IV, 46. Engl. WW. ed. Mol. III, Seite 664).
Und das 5. Kapitel, welches Vernunft und Wissenschaft zu seinem besonderen Gegenstand hat, schließt die Erörterung der ersteren mit dem Satz:
    "Es ergibt sich, daß Vernunft nicht, wie Sinnlichkeit und Gedächtnis, uns angeboren ist, noch bloß durch Erfahrung erlangt, wie Klugheit, sondern erworben durch bewußte Mühe (by industry): 1) in Bezug auf eine passende Namensgebung, 2) durch Aneignung einer guten und ordentlichen Methode im Fortschreiten von den Elementen, welches die Namen sind, zu Behauptungen, welche durch die Verbindung eines Namens mit einem anderen gemacht werden; und so zu Syllogismen, welche die Verbindungen einer Behauptung mit eine anderen sind; bis wir zu einer Kenntnis sämtlicher Konsequenzen der Namen kommen, welche zum behandelten Gegenstand gehören; und dies ist es, was man Wissenschaft nennt."
Daselbst ferner:
    "Die meisten Menschen, obwohl sie den Gebrauch des Denkens eine kurze Weglänge haben, wie im Zählen bis zu einiger Höhe; so dient es ihnen doch zu einem geringen Nutzen im gewöhnlichen Leben; in welchem sie sich regieren, die einen besser, die anderen schlechter, je nach den Unterschieden von Erfahrung, Schnelligkeit des Erinnerns, und Richtungen auf verschiedene Zwecke; insonderheit aber je nach Glück oder Mißgeschick und jeder nach den Irrtümern des anderen. Denn was Wissenschaft angeht, oder bestimmte Regeln ihrer Handlungen, so sind sie davon so weit entfernt, daß sie nicht einmal wissen, was es ist."
Die Theorie der Affekte aber und des Naturzustandes der Menschen (Kap. XIII, Seite 103) gelangt zu dem Resultat, daß es drei Hauptursachen des Streites gibt: Konkurrenz
2) Mißtrauen,
3) Eitelkeit. Und gegen Ende desselben Kapitels heißt es dagegen: es sei eine Möglichkeit vorhanden, aus dem Naturzustand herauszukommen, welche teils in den Affekten, teils in der Vernunft besteht; die Affekte welche die Menschen zum Frieden geneigt machen, sind eine Furcht vor dem Tod; das Verlangen nach solchen Dingen als zu einem bequemen Leben notwendig sind; und Hoffnung, durch Arbeit dieselben zu erlangen. Und "Vernunft unterbreitet (suggested) schickliche Friedensartikel, aufgrund deren die Menschen zum Frieden gebracht werden können." Nun muß man sich erinnern: daß HOBBES gerade in diesem Werk aller Wissenschaft eine bloß begriffliche Bedeutung zuschreibt; wodurch er allerdings für den Charakter seiner politischen Doktrin den angemessenen Ausdruck gefunden hat. Durch die klare Entscheidung hierüber wird aber die historische Frage nach der Entstehung der wirklichen Gemeinwesen völlig in den Hintergrund geschoben. HOBBES mußte sagen, daß von einem Staat als etwaigem Naturgebilde eine rationale Wissenschaft unmöglich ist; und daß sich seine Lehre durchaus nur auf ein denkbares Ding bezieht, als wovon allein es eine Demonstration geben kann. Ich zeigte (im zweiten Artikel unter 20), wie sich dieser Gedanke dahin umbildete, daß Demonstration nur da am Platze ist, wo die Ursachen und die Erzeugung eines Körpers in unserer Macht stehen; deshalb nicht von Naturgebilden, sondern nur von Kunstwerken; "politische Philosophie sei demonstrierbar, weil wir das Gemeinwesen selber machen." Aus diesem Gesichtspunkt könnte dann allerdings der Autor behaupten, daß um ein ideelles und richtiges Gemeinwesen zu konstruieren und demnach auch, um es in der wirklichen Welt aufzubauen, vernünftige Einsicht und wissenschaftliche Erkenntnis der Regeln, nach denen es geschehen muß, notwendig ist. In der Tat tritt nun der Begriff des Staates als eines Kunstwerkes in dieser Schrift zum ersten Mal deutlich hervor. Die Einleitung selber beginnt mit den Worten:
    "Natur, die Kunst, durch welche Gott die Welt geschaffen hat und regiert, wird durch menschliche Kunst, wie in vielen anderen Stücken nachgeahmt, so auch in diesem, daß sie ein künstliches Lebewesen zu schaffen vermag";
und, nach dem Vergleich des tierisch-menschlichen Organismus mit einer Maschine, heißt es ferner:
    "Kunst geht noch weiter, indem sie jenes vorzüglichste Werk der Natur nachbildet, den Menschen. Denn durch Kunst wird jener große Leviathan geschaffen, genannt ein Gemeinwesen oder Staat, welcher nur ein künstlicher Mensch ist; obwohl von größerer Statur und Kraft als der natürliche, usw."
Und im Verlauf des Werkes begegnen mehrere Stellen, in welchen das Bewußtsein von der rein ideellen Bedeutung der Theorie, also vom Mangel einer Kongruenz der empirischen Staatsgebilde mit derselben, in entschiedener Weise kundgetan wird. Am Ende des 20. Kapitels heißt es:
    "Der größte Einwand (gegen die Darstellung des Begriffs der Souveränität) ist derjenige aus der Praxis: wenn man frägt, wo und wann eine solche Macht von Untertanen anerkannt worden sei? Aber man kann die Gegenfrage tun: wann oder wo ein Reich lange frei gewesen ist von Aufruhr und Bürgerkrieg? . . . In jedem Fall, ein Einwand aus der Praxis von Menschen, welche die Ursachen und die Natur von Gemeinwesen nicht bis zum Grund untersucht und mit exakter Vernunft erwogen haben, und täglich unter den Übelständen leiden, die aus der Unwissenheit darüber entspringen, ist unkräftig. Denn wenn auch an allen Plätzen der Welt die Menschen das Fundament ihrer Häuser auf Sand legen würden, es könnte nicht daraus geschlossen werden, daß es so sein muß. Die Kunst, Gemeinwesen zu schaffen und zu erhalten, besteht in gewissen Regeln, wie Arithmetik und Geometrie; nicht, wie Ballspielen, bloß in Übung."
Ebenso Kapitel 30 gegen ähnliche Einwände:
    "Solche Leute argumentieren so schlecht, als wenn die wilden Völker Amerikas leugnen wollten, es gebe irgendwelche Gründe oder Prinzipien der Vernunft, um ein Haus so zu bauen, daß es so lange dauert wie die Materialien; weil sie noch nie ein so gut gebautes sahen. Zeit und Tätigkeit erzeugen alle Tage neue Erkenntnis. Und wie die Kunst, gut zu bauen, von Vernunftprinzipien hergeleitet ist, die von tätigen Menschen beobachtet wurden, welche die Natur der Materialien und die verschiedenen Wirkungen von Figur und Proportion kennen zu lernen anhaltend beflissen waren, lange Zeit nachdem die Menschen in kümmerlicher Weise angefangen hatten zu bauen; so auch, lange nachdem die Menschen begonnen haben, Gemeinwesen zu errichten, unvollkommene und danach angetan, in Unordnung zurückzufallen, können Prinzipien der Vernunft durch ein emsiges Nachdenken ausfindig gemacht werden, um deren Verfassung, außer durch äußere Gewalt unzerstörbar zu machen. Und derart sind die, welche ich in dieser Abhandlung auseinandergesetzt habe."
Endlich Kapitel 31: erwägend, wie verschieden diese Doktrin von der Praxis ist ..., sei er auf dem Punkt, seine Arbeit für so nutzlos zu halten, wie die Republik des PLATO. Jedoch er tröstete sich mit der Hoffnung, daß einmal irgendein Souverän diese Wahrheit der Spekulation in den Nutzen der Praxis übertragen wird. - Und auch in einem Kapitel, welches abweichend von diesem Gesichtspunkt die Dinge welche zur Auflösung eines Gemeinwesens tendieren, bespricht (Teil II, Kap. 29), werden in erster Linie diejenigen erwähnt, welche in unvollkommener Einrichtung ihre Ursache haben, und werden mit den Krankheiten eines natürlichen Körpers verglichen, die von einer mangelhaften Erzeugung herrühren. Daß bei einem Gemeinwesen als eigentlichem Kunstwerk dergleichen innere Krankheiten gar nicht vorkommen können, war in der vorletzt angeführten Stelle ausdrücklich gesagt.
LITERATUR - Ferdinand Tönnies, Anmerkungen über die Philosophie des Hobbes, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 4, Leipzig 1880
    Anmerkungen
    1) auf den er sich auch an einer anderen diese Lehre enthaltenden Stelle ausdrücklich beruft: De corp. P. IV, cap. XXV, 12. Freilich war auch mit der aristototelisch - galenischen Physiologie eine solche Annahme verträglich und findet sich wirklich an dieselbe angeknüpft.
    2) praef. ad. lectt.; daß dieselbe zu den Additamenten gehört, ergibt sich schon aus dem Inhalt und aus der Form der Lettern, welche jene miteinander gemein haben. Daß dagegen die Dedications-Epistel schon in der ersten nur als Manuskript gedruckten Ausgabe (Paris 1642, in 4°) enthalten gewesen ist, ließ sich nach den entsprechenden Merkmalen wohl vermuten, obgleich sie das Datum November 1, 1646 trägt. Durch Einsicht in das der Bodleiana zu Oxford gehörige Exemplar jener Ausgabe, eines der wenigen vorhandenen, konnte ich mir die Vermutung bestätigen: das Datum ist dort: November 1, 1641.