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Gesellschaft und Einzelwesen [ eine methodologische Studie ] [2/2]
2. Kapitel Gesellschaft und Organismus
Ein ähnlicher Gedanke der Gleichheit der Gesellschaft und des Menschen tritt im 19. Jahrhundert in ganz anderer Form und mit neuem Inhalt auf. Jetzt werden nicht aus der Voraussetzung, daß man den Staat als einen Menschen betrachten soll, um seine Beschaffenheit richtig zu erkennen, gewisse Schlüsse gezogen, sondern umgekehrt die Vergleichung selbst tatsächlich durchgeführt und ihre Geltung und Bedeutung geprüft. Das ist entschieden der charakteristischste Zug für die ganze Art des methodologischen Vorgehens beim Aufbau der neueren Analogie zwischen Staat und Individuum. Noch PLATON und HOBBES kannten keine qualitativen Unterschiede zwischen Staat und Mensch; den quantitativen Unterschied dagegen gaben sie bloß dadurch an, daß sie den Staat als größer als den Einzelmenschen oder als einen ungeheuer großen Menschen bezeichneten. Dieser außerordentlich auffalled erscheinende Umstand erklärt sich sehr einfach daraus, daß die früheren Denker nur dieselben Qualitäten an Staat und Einzelmensch der Betrachtung unterzogen haben. Denn sie erforschten dieselben nur insofern, als sie psychisch-ethische und politisch-rechtliche Individuen sind; die ganze Menge der mannigfaltigen sozialen Funktionen dagegen ließen sie fast ohne Berücksichtigung. Es ist selbstverständlich, daß ihnen dabei jede Verschiedenheit dieser Gebilde entgehen mußte und nur der Gegensatz in den Dimensionen bewußt werden konnte. Ganz etwas anderes beabsichtigen die neueren Forscher. Sie wollen den gesamten Komplex der gesellschaftlichen Erscheinungen mit Hilfe der Analogie untersuchen. Es entsteht daraus die Notwendigkeit, alle Gleichheits- und Verschiedenheitspunkte genau festzustellen und zu beurteilen. Bei ihnen geht der Vergleich zwischen Staat und Mensch viel tiefer und gewinnt eine größere Bedeutung; aber er ist auch nicht mehr so unanfechtbar. Ihnen kommt es nicht darauf an, nur rein menschliche Seiten diesen beiden Gebilden abzugewinnen und nur dasjenige zusammenzustellen, worin sie unbedingt gleich sind, sondern darauf, sie in ihrem ganzen und in ihrer komplizierten Mannigfaltigkeit als Naturprodukte aufzufassen, zu vergleichen und zu erkennen. Während also die früheren Vergleiche mehr formalen, begrifflichen Charakter haben und daher große Ähnlichkeit mit bloßen Bildern und Metaphern besitzen, gewinnen diese eine sachliche, inhaltliche Bedeutung, weil sie nicht mehr zwei begriffliche Gesamtheiten von gewissen homogenen Merkmalen, sondern die Dinge selbst vergleichen wollen. Sie müssen daher als reale Analogien bezeichnet werden. Die Grundlage für die Anwendung der Analogie mit dem Organismus auf die Gesellschaft bildete die mächtige Entwicklung der Naturwissenschaften und besonders der Biologie. Dem logischen Charakter der Naturwissenschaft entsprechend und vielleicht im Gegensatz zu der ursprünglichen Absicht, bloß sachliche Beziehungen festzustellen, operiert man jetzt nicht mit den spezielleren Begriffen, wie Staat und Mensch, sondern mit den generelleren, wie Gesellschaft und Organismus. Nicht mit dem einzelnen Menschen wird jetzt die Gesellschaft verglichen, sondern überhaupt mit dem lebenden Körper. Auch der Schwerpunkt der Gleichheitsmomente wird vollständig verschoben. Denn wie schon erwähnt wurde, stützen sich jetzt die Forscher nicht auf die ethisch-rechtliche Bedeutung des Staates und die äußeren Merkmale derselben, sondern auf die funktionellen Eigenschaften und die Tätigkeiten der Gesellschaft. Dadurch aber wurde nicht nur der Inhalt der Untersuchung bereichert, sondern auch der Gegenstand derselben verändert. Demnach ist die Identifizierung der älteren und der neueren Analogien ebenso aus rein formalen, wie aus inhaltlichen Gründen ganz unzulässig. Sicher bedeuteten diese Veränderungen einen Fortschritt, weil man eine Menge von sozialen Erscheinungen der Erforschung unterworfen hat und die Gesellschaft dort suchte, wo sie am meisten wirkt und am klarsten zum Vorschein kommt. Allein diese aktive Auffassung der Gesellschaft als eines lebenden Wesens, zusammen mit der Hineinziehung eines weiten Gebietes der sozialen Erscheinungen in die Untersuchung ist der einzige Vorzug der organischen Theorie. Denn die Bezeichnung der Gesellschaft als eines lebenden Wesens gibt eigentlich noch keine Aufklärung über dieselbe. Sie scheint eine nichtssagende Tautologie zu sein, weil das Leben der Gesellschaft als einer aus Menschen bestehenden Kollektiveinheit selbstverständlich ist. Probleme entstehen erst dann, wenn die Fragen aufgeworfen werden, worin die Eigentümlichkeiten des Lebens bestehen, nach welchen Regeln oder Gesetzen es verläuft, und wie man die Substanz, in der das Gesellschaftsleben vor sich geht, definieren muß. Die Beantwortung aber gerade dieser drei entscheidenden Fragen über die Natur der Gesellschaft durch die organische Theorie ist sehr mangelhaft und im höchsten Grad widerspruchsvoll. Eigentlich sind die wichtigsten Seiten dieser Probleme in der Fragestellung gar nicht enthalten; man vermeint sie schon durch die bloße Vergleichung zu entscheiden, während man durch diese doch der Antwort um keinen Schritt näher kommt. Durch die Bezeichnung Gesellschaft als eines Organismus hat man vor allem die zentrale Frage von der gesellschaftlichen Substanz, die sonst über alle anderen den Ausschlag geben müßte, als untergeordnet zurückgeschoben. Jetzt fragt man nicht, worin dieselbe besteht, und welche Eigenschaften oder innere und äußere Merkmale sie hat, sondern wo man dieselbe suchen muß. Die ersten und wichtigsten Bestandteile dieser allgemeinen Frage sind angeblich durch das Wort "Organismus" schon gelöst. Unter diesem in der Naturwissenschaft gebildeten Begriff des Organismus, welcher jetzt ein sozialer genannt wird, werden alle diejenigen gesellschaftlichen Gebilde subsumiert, die dazu passen. Ein solches Verfahren bedeutet jedoch bloß die Veränderung des Namens, aber keine logisch vollendete Konstruktion. Denn dadurch gewinnt man, statt eines näher und präzise definierten Begriffs, vielleicht nur eine anschaulichere Vorstellung, wie es gewöhnlich der Fall bei den Bildern ist. Am unbeholfensten zeigt sich die organische Theorie bei der Definierung der Gesellschaft als eines Ganzen und der Bestimmung der Grenzen des gesellschaftlichen Wesens. Obgleich manche ihrer Vertreter ausdrücklich anerkennen, daß im Mangel an fester äußerer Gestalt bei einer Gesellschaft der wichtigste Unterschied zwischen dem sozialen und einem biologischen Organismus besteht (43), so ist das nichtsdestoweniger der Punkt, in dem bei der gegebenen Fragestellung der größte logische Widerspruch der ganzen Theorie liegt. Bevor man nämlich fragt, ob die Gesellschaft ein Organismus ist, muß man sich darüber verständigen, ob die Gesellschaft überhaupt ein physischer Körper ist. Das allgemeinste Hauptmerkmal eines physischen Körpers ist aber die Ausdehnung im Raum und die äußeren Umrisse. Auch ein biologischer Organismus hat in seiner äußeren Gestaltung ganz genaue substanzielle Grenzen. Denn wenn er auch auf der Schwelle der dinglich faßbaren Körper liegt, weil seine aktive Bedeutung die hervorragendste Eigenschaft seines Wesens bildet und in seinem Begriff immer mitaufgefaßt werden muß, so kann er doch in jedem Augenblick seines Bestehens als identisch mit seinen früheren zeitlichen Stadien definiert werden. Demgegenüber haben diejenigen sozialen Gebilde, welche die Soziologen der organischen Schule mit dem Ausdruck "Gesellschaft" bezeichnen, nicht nur keine bestimmte Gestalt und äußere Grenzen, sondern können sogar nicht einmal in ihrem Ganzen als identische Formen ein und desselben, verschiedene Entwicklungsperioden durchmachenden Substrats anerkannt werden. SPENCER bezeichnet manchmal als Gesellschaft eine Horde oder ein Dorf in Zentralafrika, eine vollständig ausgebildete Gesellschaft dagegen hält er für möglich nur in einem Staat oder in einem Volk (44). Solche soziale Erscheinungen bieten doch zu viele heterogene Elemente dar, um ohne Widerspruch unter ein und denselben Begriff untergeordnet zu werden. Ebenso schwankt SCHÄFFLE zwischen dem Volk und dem Staat, indem er einmal das eine, ein anderes Mal den anderen mit dem Wort "Gesellschaft" bezeichnet (45). Die Gesellschaft definiert er als einen "Komplex von Personen und äußeren Gütern" oder "als ein höheres Integral und Differential aller organischen und unorganischen Körper und Bewegungen". (46) Eine solche Vereinigung der heterogensten Elemente ergibt jedoch keinen Begriff eines einheitlichen Körpers. Sie beschreibt nur die Mannigfaltigkeit der sozialen Erscheinungen und der materiellen Vorbedingungen derselben, welche häufig mit einem Wort als Gesellschaft zusammengefaßt werden. Noch weniger ist bei ihm die räumliche Anschauung dieses Körpers gegeben, wenn man denselben als "an die äußerst schmale Zone auf ein wenig unter und ein wenig über die Oberfläche örtlich gebunden" betrachtet. (47) Andererseits wieder führt seine Behauptung - die hier nicht näher geprüft werden soll -, daß "es kaum einen tierischen, pflanzlichen oder mineralen Körper gibt, welcher nicht von mehreren Seiten in den Dienst des sozialen Lebens gezogen wäre," (48) zur Erwägung, daß es sich hier nicht um einen Körper, sondern um ein ganzes Stück Welt handelt. Wir empfangen hier eine Summe äußerst mannigfaltiger Vorstellungen, die in ihren wesentlichen Zügen auch nur annähernd nicht definiert werden kann. Im Gegensatz zu diesen Theoretikern will RENÉ WORMS einen mehr einheitlichen Gesellschaftsbegriff bilden. Er fängt allerdings mit der Betrachtung der Gesellschaft als solcher oder mit der Gesamtheit der Menschheit an, aber schon bei den ersten Erwägungen sind nicht mehr die sozialen, sondern die biologischen Gesichtspunkte für ihn entscheidend (49). Er ist durch sie vollständig beeinflußt, wenn er die unmittelbare Wechselwirkung, anstatt sie als das eigentliche Merkmal des sozialen Lebens aufzufassen, ganz unberücksichtigt läßt. Die Gesellschaft selbst definiert er als verschieden vom Staat und identisch mit der Nation oder mit dem Volk (50). Im Widerspruch jedoch mit seinen früheren Ausführungen gibt er später zu, daß auch die Familie oder der Stamm ursprünglich eine Gesellschaft sind (51). Zuletzt hält er für möglich, daß einst die ganze Menschheit sich in eine Gesellschaft verwandelt (52). In dieser Weise werden schließlich durch diesen Gesellschaftsbegriff die äußerst entgegengesetzten Begriffe eines konkreten, abgeschlossenen Dings oder eines Organismus, eines realen Zusammenhangs vieler Individuen in einer sozialen Vereinigung und einer bloßen gedanklichen Zusammenfassung aller Menschen in eine abstrakte Einheit nebeneinander gestellt und als gleich angesehen. Ebenso ungenügend ist die Antwort der organischen Schule auf die Frage von der Zusammensetzung des gesellschaftlichen "Körpers". Bei der Behandlung dieses Problems operieren ihre Anhänger meistenteils mit höchst ungenauen Begriffen, wie Körpermasse, Teil, Form, Wachstum Beziehung der Teile usw. Die Unzugänglichkeit dieser Begriffe besteht darin, daß sie keine feste Grenze haben und je nach dem Standpunkt verschieden aufgefaßt werden können. Schon ARISTOTELES hat diese Kategorien in die Naturwissenschaft eingeführt. Wir verdanken aber dem höheren Stand der modernen Naturwissenschaften, daß sie jetzt ganz abgelehnt sind, sofern sie nicht eine vollständig präzise Bedeutung erhalten haben. Von der organischen Schule aber werden sie mit beliebig wechselndem, im Voraus nicht definierten Umfang und Inhalt auf die Gesellschaft angewendet. Sehr oft werden sie sogar im Laufe ein und derselben Ausführung je nach dem Bedürfnis erweitert oder verengt. So bezeichnet SPENCER als den einfachsten Teil des sozialen Organismus manchmal die Individuen und dann wieder die Familien (53). Ebenso erblickt SCHÄFFLE, nachdem er seinen Begriff der Gesellschaft als aus Personen und äußeren Gütern zusammengesetzt definiert hat, die "einfachste vitale Einheit des sozialen Personenreichs" in der Familie, welche er als einen "gesellschaftlichen Elementarorganismus" darstellt (54). Nur WORMS will auch darin konsequent sein, indem er für den einfachsten Bestandteil der Gesellschaft lediglich das Individuum ausgibt (55). Bei der Durchführung der Analogie zwischen Gesellschaft und Organismus geht er viel weiter als die anderen Theoretiker derselben Schule. Er versucht nicht nur die Gesellschaft den biologischen Organismen, sondern auch die letzteren der ersteren zu nähern, indem er ganz äußerlich die Monadenlehre von LEIBNIZ übernimmt. Dadurch kann er jeder Zelle des lebenden Körpers einen bestimmten Grad von Bewußtsein und Freiheit mitteilen, was ihm die Umwandlung derselben in eine Art von Individuen und ihre Zusammenfassung zur Gesellschaft gestattet (56). Allein die Anwendung dieses äußerst individualistischen Standpunktes auf die Auffassung der Gesellschaft führt ihn zu ganz sonderbaren Schlüssen. Denn sie nötigt ihn, einen ganz verkehrten Gesellschaftsbegriff zu bilden und bei der Definition desselben das wichtigste Merkmal des gesellschaftlichen Zusammenseins, die psychische Wechselwirkung zwischen Gesellschaftsmitgliedern, außer Betracht zu lassen. In seinem Individualismus geht WORMS so weit, aus dem Begriff der Gesellschaft alle wirtschaftlichen und geistigen Vereinigungen und sogar die Familie zu eliminieren, indem er behauptet, daß wir fortwährend die Familie verlassen, während wir in der Gesellschaft immer bleiben. (57) Eine solche Leugnung der Zugehörigkeit zum Gesellschaftsbegriff der wichtigsten sozialen Bande und Funktionen kann nur bei der unklaren und rein äußerlichen Auffassung der ihnen zugrunde liegenden gesellschaftlichen Substanz aufgestellt werden. Man glaubte jedoch nicht nur die Substanz der Gesellschaft genügend zu bestimmen, indem man dieselbe als einen Organismus betrachtet hat, sondern damit auch das gesellschaftliche Leben zu definieren, indem man es in der Beziehung der Teile erblickte. SPENCER beginnt seine Beweisführung mit der Behauptung, daß das Ganze, welches aus lebenden Teilen besteht, auch lebendig sein muß (58). Zu diesem Schluß gelangt er auf dem Weg der Disjunktion [Unterscheidung - wp], indem er alle Aggregate in zwei große Klassen - die organischen und die anorganischen teilt. Allein dieses Verfahren der kontradiktorischen Disjunktion ist sehr gefährlich, und seit den ersten Dialektikern der eleatischen Schule führte es zu den widersinnigsten Behauptungen. Auch SPENCER beweist mit seiner Anwendung eigentlich gar nichts, weil er in seinen Prämissen und in seinem Schlußsatz nur dieselbe magere Tatsache wiederholt, daß die Gesellschaft aus lebenden Wesen besteht. Daraus aber, daß die Gesellschaft aus lebenden Teilen besteht, und selbst lebt, kann man nicht die beiden Schlüsse ziehen, welche SPENCER zu beweisen sucht, daß die zusammengesetzte Substanz und das zusammengesetzte Leben der Gesellschaft der Substanz und dem Leben ihrer Teile gleich sein muß. Viel eher muß man schon voraussetzen, daß durch diese Voraussetzung oder durch das soziale Zusammensein ein neues Wesen und ein neues Leben entsteht. Dem gegenüber behauptet SPENCER, daß die Gesellschaft als ein aus lebenden Teilen bestehendes Aggregat, welches ebenso wie jene wächst, sich differenziert, und in seinem Bau sich vervollständigt, ein Organismus sein muß. (59) Wenn man auch diese formale Ähnlichkeit gern zugeben kann, so beweist sie doch nicht auch die sachliche und inhaltliche Gleichheit. Um die letztere aber zu konstruieren, ist SPENCER genötigt, im Widerspruch zu seinen Voraussetzungen, eine Masse von unlebendigen Elementen, aus denen die Umgebung und die materiellen Vorbedingungen des gesellschaftlichen Zusammenseins bestehen, als zur Gesellschaft selbst gehörende Bestandteile zu betrachten (60). Demnach, statt die Prozesse, in denen sich das Leben der Gesellschaft offenbart, zu analysieren und ihre Eigenschaften festzustellen zu versuchen, substanzialisiert er dieselben in den Mitteln, wie Wegen, Kanälen, Telegraphen, Fabriken, Industriedistrikten usw., in denen diese Bewegungen zustande kommen, und stellt sie als Bindegewebe zwischen den gesellschaftlichen Gliedern dar. Durch dieses Vorgehen wird das methologische Verfahren ganz entgegengesetzt demjenigen, welches für die wirklichen Aufgaben aller sonstigen Wissenschaften die Voraussetzung bildet. Denn die zusammengesetzten und mannigfaltigen Erscheinungen werden dabei nicht in ihre einfacheren Elemente begrifflich aufgelöst, sondern weiter kompliziert. Trotzdem erscheint diese Verkennung der wichtigsten wissenschaftlichen Interessen notwendig für die Ausführung der organischen Theorie, wenn man die Eigentümlichkeiten derselben in Betracht zieht. Man kann doch keine annähernde Ähnlichkeit des Lebens der Gesellschaft und der Funktionen des biologischen Organismus aufzeigen ohne Subsumierung der dem eigentlichen sozialen Leben fremden Elemente unter einem allgemeinen Begriff der Gesellschaft. Die auffallende Ähnlichkeit der gesellschaftlichen Tätigkeit mit den Lebenserscheinungen eines Organismus findet gerade auf die unlebendigen Bestandteile der Gesellschaft im weiteren Sinn Anwendung, wie auf das Territorium, das Verkehrswesen und den Warenumlauf, auf den Ackerbau und die Industrie (61). Das Gebiet dagegen, in dem die Gesellschaft am meisten als lebend auftritt, nämlich die psychische Einwirkung der Mitglieder aufeinander, die geistige Betätigung, die Ausbildung der ethischen und rechtlichen Normen, die Schaffung der Institutionen für die Vollziehung dieser Aufgaben, muß bei der organischen Auffassung der Gesellschaft fast völlig außer Acht bleiben. (62) Derselbe Widerspruch zwischen der Bezeichnung der Gesellschaft als eines lebenden Körpers und der Einführung zahlreicher unlebendiger Bestandteile wiederholt sich auch bei anderen Theoretikern. So untersucht SCHÄFFLE alle sozial-ökonomischen Prozesse als Nationalökonom und Sozialpolitiker in ihrem wirklichen Verlauf, wie sie uns in ihrer realen Mannigfaltigkeit gegeben sind. Diese Parteien seines Buches gehören auch zu den wichtigen und besten im Gegensatz zu denjenigen, in denen er die sozialen Begriffe zu definieren versucht. Der Versuch aber, die Gesamtheit der verschiedensten sozialen Prozesse, die er einzeln mit größtem Erfolg analysiert, als Leben zu bezeichnen, mißlingt ihm, denn wir glauben ihm nicht, daß sie alle zusammen einen so einheitlichen Vorgang bilden können, dessen Substrat noch nicht einmal eine abgeschlossene Einheit ausmacht, sondern ein "sozialer Körper" ist, in dem, wie wir oben gesehen haben, "kaum ein tierischer, pflanzlicher oder mineralischer Körper" fehlt. Gleich diesen Theoretikern glaubt auch RENÉ WORMS die sozialen Vorgänge besser zu erklären, wenn er in seinem sozialen Organismus die ökonomische Tätigkeit als System der Ernährung, die Werkstätten und Fabriken als die sozialen Organe des industriellen Typus, die Straßen und Eisenbahnen als Blutgefäße usw. auffaßt. (63) Auch er scheidet dafür die wichtigste und unmittelbar gegebene Betätigung der Vergesellschaftung, die psychische Wechselwirkung aus dem Begriff der Gesellschaft aus. Trotzdem hält er für notwendig, bei der Untersuchung der kollektiven Vernunft und des kollektiven Bewußtseins auch von einem Nervensystem des gesellschaftlichen Organismus zu sprechen. (64) Diese bildliche Darstellung des wichtigsten Resultats des gesellschaftlichen Zusammenseins kann selbstverständlich keine Auskunft über dasselbe geben. Darin zeigt sich aber dasselbe für die organische Schule so charakteristische Bestreben, die Funktionen der Gesellschaft zu substanzialisieren und als Organe zu bezeichnen, statt sie in ihren eigenartigen und wesentlichen Eigenschaften zu erforschen (65). Durch dieses Verfahren, welches den sonst üblichen wissenschaftlichen Methoden widerspricht, erreicht auch WORMS selbstverständlich keine tiefere Erkenntnis in die Natur der Gesellschaft, sondern beeinträchtigt auch die beschreibenden Teile seiner Untersuchung, die sehr realistisch gehalten sind. Übrigens wollen die Vertreter der organischen Theorie keine festen Grenzen bestimmen, wo das gesellschaftliche Sein anfängt, und wo es aufhört. Sie kümmern sich nicht um einen einheitlichen Begriff der Gesellschaft und begnügen sich mit der populären flüssigen Vorstellung, wobei sie sich auf ihre Evolutionstheorie stützen, die allen in Bewegung und in immer sich veränderndem Zustand betrachtet. Man findet bei ihnen sogar keinen ernsten Versuch, das Gemeinsame aller gesellschaftlichen Formen auszuscheiden und das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen, um alle Merkmale des Gesellschaftsbegriffs in einer Einheit zu verbinden. Denn nicht die einzelnen Formen der Gesellschaft und die spezifischen Merkmale des sozialen Zusammenseins dienen den Organologen als Grundlage für die Bildung des Gesellschaftsbegriffs, sondern ein schon ganz fertiger und in der Naturwissenschaft konstruierter Begriff des biologischen Organismus entscheidet bei ihnen über die Durchführung der Grenze zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Formationen und über die Ausscheidung des Wesentlichen vom Unwesentlichen für die Soziologie. Darum hat die organische Schule keinen einheitlichen Begriff der Gesellschaft, abgesehen von der Bezeichnung derselben als eines Organismus, geschaffen. Wenn wir also die Ergebnisse unserer bisherigen einzelnen Ausführungen über den von der organischen Schule gebildeten Gesellschaftsbegriff zusammenfassen, so finden wir, daß ihm alle Eigenschaften eines auch nur relativ vollkommenen logischen Begriffs fehlen. Man vermißt an ihm am meisten alle Vorzüge eines logischen Denkprodukts, wie die Konstanz, durchgängige feste Bestimmtheit und Deutlichkeit, ebenso wie die Sicherheit und Allgemeingültigkeit der von ihm präzisierten Wortbezeichnung. (66) Nur der laxe Gebrauch der populären sprachlichen Ausdrücke gestattet den Vertretern der orgischen Schule, die verschiedenen von ihnen betrachteten sozialen Gebilde mit dem gleichen Namen "Gesellschaft" zu bezeichnen. Aber auch diese unklare und elastische Vorstellung von der Gesellschaft wird dabei um keinen Grad präziser, fester und bestimmter formuliert. Umgekehrt sogar werden ihr manche Vorzüge eines durch den natürlichen Verlauf des Assoziationsprozesses gebildeten Erzeugnisses genommen. Das geschieht dadurch, daß man diese flüssige Gesellschaftsvorstellung, statt sie selbst zu analysieren und logisch zu vervollkommnen, willkürlich mit einer anderen und ihr vollständig fremden Vorstellung zusammenstellt (67). Wie wir oben gesehen haben, glauben die Anhänger der organischen Schule die ganze reale und konkrete Mannigfaltigkeit der verschiedensten sozialen Gebilde dadurch überwinden zu können, daß sie dieselben als Organismen auffassen. Zu dem Zweck müssen sie aber auch den Begriff des Organismus möglichst locker, verschwommen und unbestimmt formulieren. Beim jetzigen Zustand der Naturwissenschaften bedarf dieser Begriff einer immer noch schärferen Abgrenzung, und man geht nicht fehl, wenn man behauptet, daß hauptsächlich die Soziologen und manche Rechtsgelehrte dazu beitragen, diese Aufgabe besonders zu erschweren. Man sollte überhaupt die Aufforderung, eine so komplizierte Vorstellung wie die Gesellschaft im Ganzen möglichst einfach aufzufassen, als eine unberechtigte Zumutung abweisen. Die organische Schule hat durch ihr Verfahren aber noch nicht einmal eine relative Vereinfachung erreicht, sondern ihren Gesellschaftsbegriff durch die Vermengung mit ganz anderen Vorstellungen immer mehr kompliziert. Sie verfolgt also Bestrebungen, die von den verschiedensten Standpunkten aus also im schroffsten Gegensatz zu rein wissenschaftlichen Zielen stehend zu betrachten sind. Deshalb ist es so schwer, diese Theorie von ihren schwachen Seiten zu packen. Das vollständige Leugnen der anerkannten Regeln der Begriffsbildung macht sie unangreifbar. Der Vertreter der organischen Schule kann immer einen Ausweg finden, weil er keine allgemeingültigen logischen Normen anerkennt. Er untergräbt damit die allgemeinen Grundlagen des Denkens. Um einen Fortschritt in der Wissenschaft zu erreichen, muß man sich aber über die einfachsten Begriffe verständigen. Wenn dieselben Erscheinungen mit verschiedenen Namen bezeichnet werden, oder die verschiedenen mit denselben, wenn gleiche sprachliche Ausdrücke unmittelbar nacheinander verschiedenes bedeuten, dann kann man zu keinen allgemeinen Ergebnissen gelangen. Alle diese methodologischen Gesichtspunkte könnten jedoch als nicht maßgebend für die Beurteilung der organischen Theorie abgewiesen werden. Die Analogie zwischen Gesellschaft und Organismus mag fehlerhaft sein, bei der Durchführung derselben mögen willkürliche Annäherungen, Unterstellungen und logisch nicht gerechtfertigte Beziehungen festgestellt werden, der organische Gesellschaftsbegriff mag nicht im Mindesten dem Produkt einer logisch vollendeten Theorie entsprechen, und die organische Theorie kann doch einen bestimmten Wert behalten; muß ja doch schon die Tatsache, daß sie zuerst die Gesellschaft von ihrer funktionellen Seite aufgefaßt hat, als entschiedener Fortschritt bezeichnet werden (68). Ihre wichtigste Aufgabe besteht in dem Bestreben, die Gesetze des sozialen Lebens und der sozialen Entwicklung zu entdecken. Wenn nun die organische Theorie wenigstens einen richtigen Weg aufweist, auf dem man die sozialen Gesetze wirklich suchen muß, dann ist ihr Wert ungeheuer groß. Darum kann diese Theorie erst dann richtig beurteilt werden, wenn man untersucht, in welchem Grad sie diesen Forderungen der Wissenschaft genügt. In den letzten Jahrzehnten ist es sehr geläufig geworden, zu behaupten, daß die Naturgesetze auch für die gesellschaftlichen Erscheinungen gelten, oder daß dieselben allgemeinen Gesetze in der Gesellschaft wie auch in der Natur herrschen müssen (69). Solche angeblich wissenschaftlichen Redensarten verdanken ihre Entstehung hauptsächlich dem oberflächlichen Gebrauch der Worte "Gesetz" und "Naturgesetz". Daraus, daß diese in den modernen Naturwissenschaften so stark benützt werden, schließt man gewöhnlich, daß sie eine ganz klare und präzise Bedeutung haben, welche von allen in demselben Sinn verstanden wird. In Wirklichkeit aber haben wir keine "Naturgesetze" im Allgemeinen. Was die Naturwissenschaft bis jetzt erreicht hat, besteht in der Entdeckung der mechanischen, astronomischen, physischen, chemischen, physiologischen und sonstigen Gesetze. Der Begriff "Naturgesetz" faßt bloß diese getrennten Klassen von Gesetzen in einem gemeinsame begriffliche Gruppe zusammen. Es gibt aber kein höheres Naturgesetz, in dem all diese Gesetze auch wirklich aufgehen könnten. Wenn wir also prüfen, was diesen einzelnen, verschiedenen Reihen der Naturgesetze gemeinsam ist, dann können wir nur die kausale Verbindung der Erscheinungen als solche ausscheiden. Dieser gemeinsame Zug aller Naturgesetze ist jedoch selbst kein Gesetz, sondern eine Norm unseres Denkens. (70) Auf der anderen Seite kann auch die "Natur" nicht als allgemeines Merkmal für diese Reihe von Gesetzen gelten, weil man in diesem Fall den Naturbegriff im engeren Sinn nimmt, welcher historisch ganz erklärbar und nichtsdestoweniger einer zufälligen Herkunft ist. Im weiteren Sinne gehört zur Natur nicht nur die seelische Tätigkeit des Menschen, soweit wir sie im kausalen Zusammenhang erklären können, sondern auch die gesellschaftlichen Erscheinungen. Die Soziologen der organischen Schule haben also vollständig recht, wenn sie die Gesellschaft als direkte Fortsetzung der Natur in diesem Sinne auffassen. Um jedoch zu beweisen, daß wir die sozialen Erscheinungen nur dann begreifen können, wenn wir sie unter dem Gesichtspunkt der kausalen Verbindung betrachten, braucht man nicht den ganzen Apparat der Naturwissenschaften und die Analogie zwischen den gesellschaftlichen und rein natürlichen Erscheinungen. (71) Dazu genügt schon das logische Postulat, daß wir nur das verstehen, was wir als notwendig oder in einem kausalen Zusammenhang auffassen, und die daraus folgende einfache methodologische Überlegung. Die erfolgreiche Anwendung derselben logischen Grundsätze wie bei der Untersuchung der Naturerscheinungen kann man als schon bekannt voraussetzen (72). Man muß sogar bei der Erforschung der sozialen Geschehnisse die eigentlichen Naturgesetze ganz aus der Erwägung ausscheiden, um jedes Mißverständnis zu beseitigen, weil keine der uns bekannten Naturgesetze im engeren Sinn, weder die mechanischen noch die physischen, noch die chemischen oder physiologischen auf die gesellschaftlichen Vorgänge direkt anwendbar sind. Wenn wir einmal die Gesetze des sozialen Lebens entdecken, so werden das in erster Linie soziale Gesetze sein, und erst als solche werden sie unter einen höheren methodologischen Begriff subsumiert werden, der vielleicht auch "Naturgesetz" genannt werden kann. Allein außer den oben genannten Naturgesetzen gibt es noch andere, welche auch die Bezeichnung "Naturgesetz" beanspruchen, und auf die sich die Soziologen der organischen Schule am meisten berufen. Das sind nämlich die biologischen Gesetze. Diese Art der Gesetze bildet mit den kosmologischen und geologischen eine besondere von der ersten verschiedene Gruppe. In dem historisch bedingten Sprachgebrauch werden beide Gruppen zwar in ein und demselben Begriff als Naturgesetze zusammengefaßt, ihren methodologischen Grundsätzen nach sind sie aber voneinander prinzipiell verschieden. Die erste Kategorie der Gesetze, welche aus den mechanischen, astronomischen, chemischen, physischen, physiologischen usw. Gesetzen besteht, trägt ein gewisses zeitloses Gepräge. Sie gelten immer dann, wenn eine entsprechende Erscheinung als Voraussetzung vorhanden ist. Ihrem Begriff nach bestehen sie in einer einfachen und direkten Verbindung von zwei unmittelbar nacheinander folgenden Vorgängen. Als Ausdruck einer unbedingten Notwendigkeit werden sie als allgemeine, dauernd geltende Sätze formuliert. Wenn sie auch verschiedene Reihen bilden, so handeln diese Reihen nicht von zeitlich ununterbrochenen Erscheinungsgruppen, sondern von homogenen Klassen der Erscheinung, welche aus den heterogenen, mannigfaltig verwickelten Naturprozessen ausgeschieden werden. Denn die Naturgesetze im engeren Sinn, ebenso wie sie zeitlos sind, werden auch - rein logisch betrachtet - außer des wirklichen Raums konstruiert, obgleich sie nur von der den Raum ausfüllenden Materie handeln. Sie beruhen auf der Abstraktion und Isolierung gewisser Stoffbeziehungen, welche in so reiner Form in der Natur nirgends vorkommen. Darum kann man sagen, daß die Naturgesetze in demselben Sinn von der abstrakten Materie handeln, wie die mathematischen Gesetze vom abstrakten Raum, und daß, wie die mathematischen Gesetze unräumlich, ebenso auch die Naturgesetze dinglich-unräumlich sind, weil sie nicht die konkreten, sondern die transzendentalen Beziehungen der Stoffe und Räume im Auge haben. Die Wissenschaft abstrahiert in diesem Fall von allen sachlich-konkreten Bedingungen, sie läßt vorläufig außer Betracht, daß einerseits räumlich kein Vorgang isoliert geschieht, und daß andererseits zeitlich jede Wirkung ihrerseits eine Ursache ist. Ihr Aufgabe besteht nur in der Erklärung jedes einzelnen Vorgangs, in der Feststellung jedes Paares der zusammenhängenden Geschehnisse. Das wird in der Weise erreicht, daß man, berechtigt oder unberechtigt, die Voraussetzung macht, daß nur die homogenen Erscheinungen die gegenseitige Ursache bilden können. Darum muß man für einen astronomischen Vorgang eine astronomische Erklärung im Gravitationsgesetz suchen, für einen physischen eine physische, für einen chemischen eine chemische. So entsteht die methodologische Teilung der Natur in die verschiedenen homogenen Reihen, und die in dieser Weise isolierten Gruppen von Erscheinungen bilden den konkreten Hintergrund für die Konstruierung verschiedener Naturgesetze. Sie sind jedoch nur begrifflich isoliert; sachlich geschieht kein einziger Vorgang in der Natur, der nur physisch oder chemisch wäre. Einen ganz anderen Charakter tragen die Naturgesetze, welche zur zweiten Klasse gehören. Die kosmologischen, geologischen und biologischen sind eigentlich die konkrete Anwendung der Naturgesetze, nicht so, wie wir sie in unseren Laboratorien und bei unseren Experimenten untersuchen, sondern so, wie sie in der lebendigen Natur wirken. Hier treten sie in einem ununterbrochenen Fluß der natürlichen Geschehnisse auf. Darum besteht ihr Hauptmerkmal im Hinzutreten des zeitlichen Moments, sodaß der fragliche Prozeß immer nur als ein einmaliger betrachtet werden muß. Das wird dadurch erreicht, daß man die Erscheinungen unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung oder der Evolution auffaßt. Die uns bekannten mechanischen und Gravitationsgesetze als zeitlose gelten ewig. Bei der Entwicklung des Sonnensystems aber mußten sie in den verschiedensten und verwickeltsten individuellen Modifikationen auftreten. Es ist ganz begreiflich, daß im Moment der Bildung der Planeten, als die Erde, wenn wir das hypothetisch annehmen, noch die Gestalt eines Saturnringes hatte, und der Merkur mit der Venus noch nicht von der Körpermasse der Sonne abgetrennt war, dieselben Gravitationsverhältnisse sich in bestimmter Verschiebung befanden. Ebenso stark modifiziert wirkten infolge der mannigfaltigsten Komplikationen die uns bekannten physischen, chemischen und physiologischen Gesetze in der sekundären und tertiären Epoche der Bildung der Erdkruste, in der Zeit der Ablagerung der Steinkohlenschichten auf unserer Erde, und solcher vegetabilischen und tierischen Formen, wie fossile Pflanzen, Ichthyosauren und Plesiosauren. Und zu diesem Moment der Zeit bei den kosmologischen, geologischen und biologischen Gesetzen tritt noch ein bestimmtes räumlich-dingliches Moment hinzu. Im wirklichen Raum finden die Beziehungen, welche durch die eigentlichen Naturgesetze festgestellt werden, nirgends isoliert statt, sondern immer räumlich neben- und miteinander in der verwickeltsten realen Mannigfaltigkeit und an den kompliziertesten Dingen. Kein einziger chemischer oder physischer Vorgang kann in der Natur einzeln geschehen, sondern er geht stets in Begleitung mit hundert anderen gleichzeitigen Vorgängen vor, die sich in demselben Raum und an demselben Stoff abspielen. Infolgedessen erscheinen die realen Naturprozesse vollständig anderen Wesens als die ursprünglichen Beziehungen zwischen den einfachsten begrifflich isolierten Elementen, und die Vertreter der Entwicklungstheorie glauben etwas ganz Neues entdeckt zu haben, wenn sie außer den zeitlosen nocht die "Entwicklungsgesetze" konstruieren. Allein in der Natur können keine anderen Gesetze wirken, als diejenigen, die wir im isolierten Zustand als zeitlose und außerhalb des wirklichen Raums befindliche in unseren Laboratorien und Arbeitsstuben durch eine bestimmte vereinfachende und synthetische Tätigkeit unserer Vernunft entdeckt haben. Deshalb enthalten die kosmologischen Gesetze nichts Neues im strengen Sinn des Wortes, oder nichts, was nicht schon in den mechanischen, astronomischen und chemischen Gesetzen zum größten Teil ausgesprochen gewesen wäre. Ebenso beruhen auch die geologischen Gesetze nur auf der Kombination der mechanischen, physischen, chemischen und physiologischen Gesetze, wie sie im realen Raum auf der Erde geschehen. Aber deshalb sind auch die kosmologischen, geologischen und biologischen Gesetze keine Gesetze mehr im Sinne dauernd geltender Beziehungen. Die uns früher bekannten Naturgesetze haben durch ihre Anwendung und Vereinigung ihre abstrakte und isolierte, zeitlose und unräumliche Bedeutung verloren und werden jetzt betrachtet, wie sie im wirklichen Raum und in einem ununterbrochenen zeitlichen Verlauf oder in der Natur selbst als lebendige Kräfte wirken. Diese zwei Kategorien von Naturgesetzen sind also nicht sachlich, sondern begrifflich verschieden. Während die ersteren allgemeine und dauernd gültige Sätze aufstellen, behandeln die letzteren alles vom Gesichtspunkt des zeitlichen Verlaufs, der Veränderung und Neubildung. Zwischen den ersteren und den letzteren findet sich eine logische Kluft, die nur sachlich überbrückt werden kann, weil sie beide dieselben Dinge betreffen. Die ersteren treten nun zwar sachlich in der realen Welt an derselben Körpermasse immer aneinander gebunden auf; trotzdem aber können wir sie nicht die einen auf die anderen zurückführen. Ein chemisches Gesetz können wir nicht als ein mechanisches auffassen, oder umgekehrt ein mechanisches als ein chemisches (73). Diese logischen Reihen, welche die verschiedenen Gruppen der Naturgesetze der ersten Klasse bilden mit ihren Voraussetzungen, wie die gravitierenden Körpermassen, die wellenförmigen Ätherbewegungen, die chemischen Elemente und die Affinität zwischen ihnen, bleiben für uns immer prinzipiell getrennt und unvermittelt (74). Weder ihre sachliche Verbindung in den komplizierteren Prozessen der lebendigen Natur, wie sie die Entwicklungswissenschaften untersuchen, noch ihre hypothetische Vermittlung, welche in den höchsten Synthesen, wie in der Theorie der Unzerstörbarkeit der Materie und der Erhaltung der Energie, in denen alle Differenzen des empirischen Seins und Geschehens verschwinden, ihren Ausdruck findet, verändert im Mindesten das unversöhnliche begriffliche Verhältnis der verschiedenen Reihen der Naturgesetze oder ermöglicht ihre Zusammenfassung in eine allgemeine und dauernd geltende Formel. Auch wenn die neuesten Versuche, wie sie sich in den Bestrebungen der physikalischen Chemie äußern, zur vollständigen Verbindung der beiden Gebiete führen sollten, werden sie nicht die Bedeutung des methodologischen Prinzips der Aufstellung der verschiedenen apodiktisch geltenden Sätze durch die einzelnen Wissenschaften zerstören, das bis jetzt so fruchtbar und wirksam war. Diesen begrifflich unversöhnlichen Charakter der verschiedenen Reihen der Naturgesetze hat schon COMTE besonders hervorgehoben (75). Er hat es jedoch nicht für nötig gehalten, die von ihm am Anfang aufgestellten Gesichtspunkte auch weiter konsequent durchzuführen. Viele bloß sachliche Erwägungen haben ihn vom rein logischen Standpunkte abgelenkt. Diese Inkonsequenz COMTEs erklärt sich dadurch, daß er die verschiedenen Betrachtungsweisen der Naturerscheinungen nicht unterschieden hat, die später in der Aufstellung der dauernd geltenden Naturgesetze einerseits und der "Entwicklungsgesetze" andererseits ihren Ausdruck fanden. Denn statt die Naturwissenschaften nach dem logischen Charakter der von ihnen formulierten Sätze zu beurteilen, hat er in den von ihnen behandelten Gegenständen eine Rangordnung festgestellt (76). Er unterscheidet in der Gesamtheit der theoretischen Wissenschaften nur zwischen den beschreibenden Naturwissenschaften, zu denen er die ganze sogenannte Naturgeschichte rechnet, und die nur Material liefern, und den dogmatischen, gesetzerforschenden Naturwissenschaften (77). Im Aufbau der letzteren findet er eine natürliche Hierarchie, welche zum Teil durch ihr historisches Auftreten, hauptsächlich aber durch die sachliche Ordnung der verschiedenen Naturphänomene bedingt ist (78). In dieser Weise findet er die sachliche Vermittlung zwischen den verschiedenen Reihen der Naturerscheinungen und konstruiert bestimmte künstliche Übergänge zwischen den einzelnen Wissenschaften. Jede höhere Wissenschaft, da sie mit generellen Erscheinungen zu tun hat, arbeitet bei ihm für die nächstfolgende speziellere Wissenschaft vor. Aufgrund dieses Zusammenhangs erschien ihm auch die Folgerung, die er für den Aufbau der neuen sozialen Wissenschaft in den Vordergrund schob, der direkte Übergang von der Physiologie und Biologie zur Soziologie als schon erwiesen (79). Er hat die Frage sogar nicht einmal gestellt, ob die Tatsachen, mit denen die Soziologie zu tun hat, nicht vollständig heterogener Natur sind. Dadurch also, daß er jetzt bloß eine sachliche Vermittlung feststellt und sie seinen weiteren Ausführungen zugrunde legt, hat er seine frühere scharf logische Trennung zwischen den verschiedenen Klassen der Phänomene und ihren Gesetzen vollständig eingebüßt (80). Gerade aber diese, durch seine Inkonsequenz entstandene, Meinung COMTEs und nicht seiner erster bedeutender methodologischer Gedanke wurde von seinen Nachfolgern äußerst verschärft und durch die evolutionistische Schule bis zum Äußersten getrieben. Während COMTE noch bloß dinglich-räumliche Vermittlungen zwischen den verschiedenen "Reihen" der Naturphänomene konstruierte, suchten die Evolutionisten sie als verschiedene Stufen ein und desselben zeitlichen Prozesses zu betrachten. (81) Denn die Vertreter der Entwicklungstheorie stellten sich die Aufgabe, überall die zeitlichen Übergänge zwischen den verschiedensten Naturerscheinungen festzustellen, um sie als identisch behandeln zu können und alles ausschließlich von demselben Standpunkt des Fortschreitens zu begreifen. Durch die räumliche und zeitliche Kontinuität der Erscheinungen verleitet, glaubten sie die verborgensten und wichtigsten Naturgesetze entdeckt zu haben, während sie bloß eine alte Anschauungsweise, die nichts beweist und nichts erklärt, viel konsequenter durchgeführt und sie nur zum Teil mit neuem Inhalt, der durch die eigentlichen Naturwissenschaften gewonnen war, ausgefüllt haben. Indem sie aber bloß den Verlauf und das Aneinanderreihen in der Ausdehnung, oder das zeitliche und räumliche Nach- und Nebeneinandersein der Dinge und Erscheinungen feststellten, mußten sie den Begriff des Naturgesetzes, d. h. eines allgemeinen und dauernd geltenden Satzes ganz fallen lassen. Für sie ist alles fließend, übergehend, relativ; nichts ist dauernd und allgemeingültig. Der hervorragendste Repräsentant dieser methodologisch-monistischen Richtung in der Wissenschaft ist gewiß SPENCER. Seine ganze synthetische Philosophie beruth auf dem Ausgleich der Widersprüche, die auf logischem Weg nicht beseitigt werden können, oder auf der übertriebenen Anwendung der Identitätslehre, die er in einem rein zeitlichen Sinn versteht. Deshalb kann man ihn als den bedeutendsten modernen Hegelianer bezeichnen, obgleich er seine wissenschaftlichen Ansichten unabhängig von HEGEL ausgebildet hat (82). Wenn wir jetzt nach dieser allgemeinen methodologischen Erörterung, die den prinzipiellen Gegensatz zwischen den Gesetzes- und Entwicklungswissenschaften festzustellen zur Aufgabe hatte, uns nach der Stellung der Soziologie umsehen, so können wir dieselbe nur in die zweite Klasse der Naturwissenschaften im weitesten Sinne, neben die Kosmologie, Geologie und Biologie setzen. Gleich den anderen Wissenschaften aus dieser Kategorie untersucht die Soziologie einen zeitlich ununterbrochenen Entwicklungsprozeß in einem abgeschlossenen Kreis von Erscheinungen. Die Biologie kann aber dabei ebensowenig die Voraussetzung für die Soziologie bilden und das Material für ihre Schlüsse liefern, wie die Geologie und Kosmologie dasjenige für die Biologie liefert. Alle diese Naturwissenschaften müssen als vom methodologischen Standpunkt vollständig gleichberechtigt (83) und ebenso sachlich wie begrifflich unabhängig voneinander erkannt werden. Die Kosmologie untersucht die Entwicklungserscheinungen der Weltkörper, die Geologie diejenigen der Erdkruste, die Biologie diejenigen der Pflanzen- und Tierarten, und man muß annehmen, daß die Soziologie die Entwicklungsvorgänge in der Gesellschaft zu erforschen hat. Für die ersten drei Erscheinungsgebiete haben wir als Voraussetzung die generellen, dauernd geltenden Naturgesetze, welche wir als die mechanischen, astronomischen, physiologischen usw. kennen gelernt haben. Wenn wir also die Erklärung der Entwicklungsprozesse der Gesellschaft oder die Soziologie als Wissenschaft hinstellen wollen, dann müssen wir auch bestimmte allgemeine Gesetze mit dauernder Geltung als Voraussetzung für dieselbe haben. Nun können aber die mechanischen, physischen, chemischen und physiologischen Gesetze nicht dieselbe Geltung für die Gesellschaft, wie für den Rest der Natur beanspruchen. Denn nur bildlich kann man von der Mechanik oder Physiologie des sozialen Lebens sprechen. Die neuen Gesetze müssen also durch eine unmittelbare Erforschung der gesellschaftlichen Erscheinungen selbst festgestellt werden. Darum können es keine anderen Gesetze als soziale sein. Die Soziologen der organischen Schule aber wollen, wie wir sahen, die soziologischen oder Entwicklungsgesetze der Gesellschaft früher feststellen, als sie die sozialen Gesetze entdeckt haben. Deshalb steht die moderne Soziologie ihrem inneren Wert nach nicht höher als die Astrologie oder Alchemie des Mittelalters. Sie ist eine einfache Übertragung fremder Ideenreihen auf das Gebiet der sozialen Erscheinungen. Aus dieser Erwägung über die wissenschaftliche Stellung der Soziologie folgt jedoch ein anderer außerordentlich wichtiger Schluß. Der Entwicklungsprozeß der Gesellschaft, den die Soziologie zu behandeln hat, ist nicht weniger zusammengesetzt und mannigfaltig bedingt, als der Entwicklungs- und Bildungsprozeß der Weltkörper, der Erdkruste oder der Pflanzen- und Tierarten. Ebenso wie wir z. B. die Ablagerung der Schichten in der Erdkruste nicht durch die chemischen Gesetze allein erklären können, sondern auch die mechanischen und physischen in Betracht ziehen müssen und gar nicht die Frage aufwerfen können, welche von diesen Gesetzen entscheidend für den Vorgang waren, sind wir auch nicht imstande, die Bildung der Stände durch eine einzige kausale Reihe, z. B. durch die geistige Überlegenheit und psychische Einwirkung der intellektuell Stärkeren auf die Schwächeren zu erklären. In diesem mannigfaltigen Prozeß der Gesellschaftsentwicklung müssen also viele soziale Gesetze gleichzeitig wirken, die nicht nur zu derselben Gruppe gehören und eine homogene Reihe bilden, sondern in heterogene Gruppen auseinanderfallen und in den verschiedensten sachlichen Kombinationen auftreten. Deshalb besteht die nächste methodologische Aufgabe der dogmatischen Sozialwissenschaften darin, ein richtiges Einteilungsprinzip für die mannigfaltigen sozialen Erscheinungen zu entdecken. Die letzteren umfassen bekanntlich so heterogene und prinzipiell entgegengesetzte Vorgänge, wie die ökonomische materielle Entwicklung, die kausalbedingte psychische Wechselwirkung der Gesellschaftsmitglieder und den ethisch-rechtlichen Aufbau der durch Zwecke bedingten Normen und Regeln. Erst wenn aus dieser Mannigfaltigkeit der konkreten sozialen Geschehnisse die homogenen Reihen begrifflich ausgeschieden werden, wird es möglich, nicht nur ihre Gesetzmäßigkeit, sondern auch die für sie geltenden Gesetze festzustellen. Dem gegenüber wurde sogar die Berechtigung des Bestrebens, die sozialen Gesetze zu entdecken, bestritten, da es keine solchen geben kann, weil die Gesetze im Sinne eines Naturgesetzes nur den kausalen Zusammenhang zwischen den einfachsten Elementen aufzuweisen haben. (84) Wenn diese Behauptung nun auch eine bestimmte Berechtigung hat, so kann sie doch durch eine falsche Formulierung ein großes Mißverständnis hervorrufen. Die Naturwissenschaft geht in der Tat darauf aus, alles in die einfachsten Bestandteile aufzulösen, und die definitive Naturerkenntnis kann erst durch das Vordringen bis zu den letzten unauflösbaren Urphänomenen erreicht werden. Trotzdem aber ist das Bestehen der Naturgesetze als allgemeiner und dauernd geltender Formeln für die komplizierteren Gebilde gar nicht in Frage gestellt. Schon manche Teile der Physik stellen sich die Aufgabe, die Gesetze der Aggregatzustände der Naturkörper zu untersuchen, indem sie von der chemischen Zusammensetzung derselben vollständig abstrahieren (85). Noch in einem höherem Maße gilt das für die Physiologie, welche die höchst verwickelten und mannigfaltigen Prozesse des Lebens zu erforschen hat. Wenn dieselben auch auf die ursprünglicheren mechanischen, physischen und chemischen Vorgänge zurückgeführt werden könnten, so würde trotzdem das Bestehen der besonderen physiologischen Gesetze nicht im Mindesten aufgehoben. Denn die physiologischen Gesetze, welche die Erscheinungen der Ernährung, des Stoffwechsels und der Fortpflanzung bestimmen, sind ebenso generell und gelten in demselben Sinn für alle lebenden Wesen, wo es solche überhaupt gibt, wie die physischen und chemischen Gesetze überall dort gelten, wo die betreffenden Stoffbeziehungen vorhanden sind (86). Noch die komplizierteren Gebilde setzen die psychologischen Gesetze voraus. Schon die einfachsten Elemente der Bewußtseinszustände können nur auf den oberen Stufen der physischen Entwicklung zustande kommen. Die psychischen Erscheinungen im Ganzen vollends finden erst im höchsten und kompliziertesten der lebenden Organismen, im Menschen statt. Ansich enthält also die Behauptung nichts Widersprechendes, daß die menschlichen Aggregationszustände oder die Gesellschaften trotz der Kompliziertheit der in ihnen zustande kommenden Prozesse ihre eigenen Gesetze haben. Man muß jedoch streng unterscheiden zwischen der Zusammengesetztheit einer sozialen und einer historischen Erscheinung. Wenn es ganz richtig ist, daß es so wenig "historische Gesetze" geben kann, wie es Gesetze des Palmen- oder Buchenwachstums gibt (87), so kann man dasselbe nicht von den sozialen Geschehnissen und ihrer Gesetzmäßigkeit behaupten. Der Unterschied besteht nicht in der Rangordnung der Dinge selbst, sondern im logischen Verfahren bei der Bildung der Begriffe. Jedes geschichtliche Ereignis muß notwendig als individuell und zufällig angesehen werden (88). Das Charakteristische an ihm besteht in den vielen konkreten Zügen, welche gar nicht in die Kategorie des Gesetzes als der Feststellung der generellen Beziehungen passen. Das Gesetz betrifft die einfachsten und letzten Elemente der Dinge nicht so sehr im sachlichen, wie vielmehr hauptsächlich im begrifflichen Sinn, nachdem alle konkreten Züge abgelöst sind. Denn die Vereinfachung ist in diesem Fall bloß eine logische Tat, obgleich sie häufig auch durch Experiment unterstützt werden kann. Auch die letzten Urphänomene gehen in den Rahmen eines Gesetzes gar nicht ein, wenn sie individuell sind. Das Gesetz ist ein allgemeiner, abstrakter Ausdruck der Beziehungen zwischen den begrifflich isolierten Elementen der Dinge, welche außer dem wirklichen Zeitverlauf und außer der empirischen Raumausdehnung konstruiert werden. Darum können nur die höchsten Gattungsbegriffe in einem Relationssatz in Beziehung gesetzt werden, der als Gesetz eine allgemeine und dauernde Geltung hat. Aus dem Begriff des Gesetzes als eines generellen Verhältnisses folgt konsequenterweise, daß alle Artbegriffe aus ihm ausgeschlossen sind. Weder die Bäume, noch die Tiere als solche können ihre Naturgesetze haben, ebensowenig wie die Luft ihre hat. Die Lebenserscheinungen dagegen überhaupt, abgelöst von allen einzelnen spezifischen Formen, bilden den Gegenstand der Gesetze aufstellenden Wissenschaft, trotz ihrer außerordentlichen Kompliziertheit, ebenso wie die Gesetze der Aggregatzustände der Gase durch die Physik untersucht werden. In derselben Weise kann man die sozialen Erscheinungen im allgemeinen nur in ihren wesentlichsten Merkmalen und abgelöst von allen individuellen Zügen oder in begrifflich vereinfachter Form in Gesetze fassen. Die Gesellschaft ist zwar eins der kompliziertesten Gebilde, sie ist aber nicht eine Art eines anderen Dinges, z. B. eines Menschen; für sie gibt es einen höheren Gattungsbegriff, der das Wesentlichste an ihr erschöpfen könnte. Sie kann entweder als eine konkrete mannigfaltige Vorstellung genommen werden, oder das Material für die generellen sozialen Begriffe bieten. Der Umstand, daß die Gesellschaft nichts Dingliches enthält, was nicht schon von vielfachen Seiten den Gegenstand der Physik, Chemie oder Physiologie ausmacht, beeinträchtigt gar nicht ihre Eigenschaft als eines besonderen eigenartigen Wesens. Denn die sozialen Prozesse und Vorgänge enthalten noch etwas mehr, was für sich erforscht werden muß, und das genügt für den Aufbau der dogmatischen Sozialwissenschaften. Die moderne Psychologie fragt nicht, ob die Seele noch abgetrennt vom Körper Etwas ist; sie hat nur die psychischen Zustände, die als Tatsache gegeben sind, zu untersuchen. Noch weniger beschäftigt sie sich mit der chemischen Zusammensetzung des Körpers oder identifiziert die mechanischen und physischen Vorgänge und Funktionen in einem Organismus mit den seelischen Zuständen. Ebenso müssen auch die sozialen Erscheinungen, die uns gleichfalls als eine Wirklichkeit besonderer Art gegeben sind, ganz unabhängig von den körperlichen Erscheinungen, welche das Gebiet der Naturwissenschaften im engeren Sinne wie der Physiologie und Biologie ausmachen, untersucht werden. Der Fehler der organischen Schule besteht eben darin, daß sie diese zwei Seiten ein und desselben Dings, nämlich der Gesellschaft, identifiziert, statt sie zum Zweck der Erforschung zu trennen und einzeln zu analysieren. Am häufigsten wird jedoch gegen die Möglichkeit, die sozialen Gesetze zu entdecken, der Einwand erhoben, daß weniger die gesellschaftlichen Prozesse selbst, wie die in ihnen wirkenden Ursachen zu kompliziert sind. Denn jede soziale Erscheinung wird durch viele verschiedene Ursachen, die gleichzeitig wirken, hervorgerufen. Allein dieser Vorwurf beruth auf derselben Unfähigkeit, aus dem Begriff des Gesetzes die tatsächliche Verursachung jeder konkreten spezifischen Erscheinung auszuscheiden, sowie auf dem Übersehen seines Wesens als einer allgemeinen und abstrakten Formel der generellen kausalen Beziehungen zwischen zwei begrifflich isolierten Elementen. Jede konkrete Naturerscheinung ist nicht nur durch eine unendlich komplizierte Reihe der Ursachen, sondern auch durch die zufällige Kreuzung der verschiedensten Ursachenreihen hervorgerufen, genau so wie ein individueller gesellschaftlicher Vorgang. Die ersteren sind nicht minder individuell und zusammengesetzt als die letzteren (89). Sogar in unseren Laboratorien bei den Experimenten sind wir nicht imstande, vollständig isolierte Vorgänge herzustellen. In der kleinsten Retorte, in der wir eine chemische Reaktion beobachten, gehen noch die mechanischen und physikalischen Prozesse vor, wie die Gravitations- und Kapillarvorgänge, die Ausscheidung der Wärme und der Elektrizität. Wir sprechen aber in diesem Fall nicht von der Mannigfaltigkeit der Ursachen, weil wir die verschiedenen Reihen der Erscheinungen begrifflich voneinander trennen und die kausalen Beziehungen nur im Gebiet jeder einzelnen Reihe feststellen. Wenn aber weder die physischen, noch die physiologischen Gesetze, wie wir oben gesehen haben, das eigentliche soziale Leben betreffen können, so ist auch die Behauptung unrichtig, daß nur die individualpsychologischen Gesetze in der Gesellschaft wirken. Die Tatsache, daß man alle sozialpsychischen Erscheinungen auf die Vorgänge im einzelnen Bewußtsein notwendig zurückführen muß, weil die Gesellschaft keine andere Substanz als diejenige der einzelnen Menschen hat, kann noch keinen Ausschlag geben. Denn die Gesellschaft im Sinne der psychischen Wechselwirkung ruft im Bewußtsein des Einzelnen psychische Zustände hervor, die vollständig heterogener Natur sind, und deren Gesamtheit ein besonderes Gebiet der spezifisch sozialen Funktionen ausmacht, welches für sich untersucht werden muß. Sie sind neue und zusammengesetzte Erscheinungen auf individualpsychologischer Unterlage aufgebaut in ähnlicher Weise, wie etwa die physiologischen Erscheinungen auf der Basis der physikalischen und chemischen Prozesse. Die besonderen physiologischen Gesetze wären doch auch dann nicht aufgehoben, könnte man alle Lebenserscheinungen im tierischen Körper auf die mechanischen, physikalischen und chemischen Vorgänge zurückführen, weil die Eigenartigkeit der Lebensfunktionen damit noch nicht erschöpft wäre. Schon die Tatsache, daß diese ursprünglicheren Naturprozesse unter gewissen Bedingungen in einer bestimmten Kombination stattfinden und Lebenserscheinungen ergeben, und zwar stets und immer nach denselben Grundsätzen, wo immer diese Bedingungen vorhanden sind, genügt, um besondere Gesetze aufzustellen, die gleichfalls allgemeine, dauernde und apodiktische Bedeutung haben, welche nur in der realen räumlichen und zeitlichen Ausdehnung beschränkter ist. Ebenso werden wir vielleicht einmal imstande sein, alle den psychischen Erscheinungen parallelen physiologischen Vorgänge aufzuweisen, und das wird nicht im Mindesten den Bestand der selbständigen psychologischen Gesetze angreifen. Zwischen den psychischen und den physiologischen Erscheinungen ebenso wie zwischen den physiologischen und den chemischen besteht eine prinzipielle begriffliche Kluft, die unüberbrückbar ist, und das Aufrechterhalten der verschiedenen Gesetzesreihen erfordert. In gleicher Weise können wir auch einen bestimmten prinzipiellen Gegensatz zwischen den individual- und sozialpsychischen Erscheinungen nachweisen. Wenn man nämlich den Menschen als ein bewußtes Wesen vom Rest der Natur prinzipiell unterscheidet, so muß man auch in der Einwirkung eines anderen bewußten Wesens auf ihn ein ganz neues, prinzipiell verschiedenes Element gegenüber der Wirkung aller sonstigen Eindrücke erblicken. (90) Denn ein fremdes Gefühl oder ein fremdes Wollen wirkt auf uns völlig anders als eine Naturerscheinung oder eine Landschaft (91). Dieser grundsätzliche Gegensatz tritt bei der Wechselwirkung der Gefühle von verschiedenen Individuen noch nicht so deutlich zutage. Hier kann nur eine auffallende Reizbarkeit oder Abstumpfung der Gefühle eintreten; das könnte aber auch bloß als graduelle Modifikation aufgefaßt werden, die nur eine Steigerung der gewöhnlichen Bewußtseinserscheinungen darstellt. Dagegen zeigen sich ganz klar bei der Einwirkung eines Willens auf den anderen die Erscheinungen, die im prinzipiellen Gegensatz zu den sozial nicht beeinflußten Bewußtseinsvorgängen stehen. Der Mensch allein kann zielbewußt wollen und handeln. Deshalb verhält sich der menschliche Wille gegen die Natur immer und ausschließlich bejahend, wenn der Mensch hinter ihr nicht ein lebendiges bewußtes Wesen herausfühlt, wie das durch die animistischen Vorstellungen oder durch die religiösen und ästhetischen Gefühle verursacht wird. Im Gegensatz dazu kann ein Mensch gegenüber einem anderen Menschen seinen Willen vollständig verleugnen. Wenn er zum Beispiel die Befehle eines anderen ausführt, so ist sein Wille gleich dem Willen des Befehlenden geworden. Jede Unterordnung, welche die Grundlage der sozialen Gliederung ausmacht, ist darauf begründet (92) und wäre vollständig unerklärbar, wenn der menschliche Wille sich in einem sozialen Zusammenhang so verhalten würde, wie er sich gegen die unbewußte Natur verhält. Daher enthält der Satz "Dein Wille geschehe" ein eminent soziales Prinzip. Diese Tatsache des Auslöschens des individuellen Willens durch die Einwirkung eines anderen auf ihn tritt bei den Massenerscheinungen besonders klar hervor. Während die Willensentschlüsse im individuellen Bewußtsein größtenteils durch die inneren Prozesse der Begründung und Motivation bestimmt werden, wird die Masse hauptsächlich durch die äußeren Ursachen und zwar durch die Einwirkung der Einzelnen aufeinander geleitet. Eine Masse kann durch die bloße psychische Wechselwirkung ihrer Mitglieder zu ganz unerwarteten Willensentschlüssen und Handlungen bewegt werden, die für jeden Einzelnen vollständig unmotiviert bleiben (93). Auf diese Erscheinung hat zuerst die Kriminalpolitik ihre Aufmerksamkeit gelenkt. Hier wiederholte sich die bekannte Tatsache, daß die Aufstellung von neuen Problemen und die wissenschaftliche Behandlung jungfräulicher Gebiete erst aus den praktischen Bedürfnissen erwächst. Das Leben selbst hat die Frage von der Verantwortlichkeit der Teilnehmer an den Massenverbrechen gestellt. Denn wenn die Masse in ihren Handlungen nicht durch Erwägungen und Motive geleitet wird, dann sind ihre Handlungen als unmotivierte vom ethischen Standpunkt aus unfrei, und deshalb kann hier die Strafe, welche ausschließlich als eines der Motive wirkt, nicht die gleiche Bedeutung haben, wie bei den individuellen Verbrechen. Infolgedessen haben diejenigen Kriminalisten vollständig Recht, welche die Täter bei der Verübung eines Massenverbrechens für halb unzurechnungsfähig halten (94). Wenn auch solche Massenerscheinungen, die sich in reiner Form äußern, verhältnismäßig eine Ausnahme bilden und dadurch, wie alle Merkwürdigkeiten und Kuriositäten, in hervorragendem Maße die Phantasie und das geistige Interesse erwecken, so zeigen uns doch die gewöhnlichen gesellschaftlichen Erscheinungen viele Abstufungen dieser Macht der gegenseitigen Einwirkung der Gefühle und Willen auf die Einzelnen und die Gesamtheit (95). Man kann sogar sagen, daß die Gesellschaft gerade in dieser Wechselwirkung besteht, weil ihr Hauptmerkmal die Modifikation der individuellen Bewußtseinsinhalte ausmacht. In den Massenerscheinungen tritt das Ergebnis dieses Prozesses nur in auffallend gesteigerter Form auf, die über die Heterogenität dieser Erscheinung im Vergleich mit den individual-psychischen Vorgängen keinen Zweifel übrig läßt. Um aber konsequent zu bleiben, müssen wir jede Modifikation des Gefühls und des Willens im gesellschaftlichen Leben als Hinzutreten eines neuen Elements, als einen prinzipiell neuen Prozeß betrachten. Dadurch können wir in weites Gebiet der gesetzmäßigen sozialen Erscheinungen begrifflich isolieren, welches für sich, ganz losgelöst von allen anderen körperlichen und geistigen Erscheinungen untersucht werden muß (96). Die Gesetze dieser Erscheinungen zu entdecken obliegt der Gesellschaftswissenschaft im engeren Sinne. Hier können wir uns noch einmal überzeugen, daß die Auffindung der sozialen Gesetze erst dann möglich wird, wenn der Komplex der heterogenen Erscheinungen, welche die konkrete Vorstellung der Gesellschaft im weitesten Sinne ausmacht, in die einzelnen homogenen Reihen geteilt wird. Die Hauptfrage betrifft also die Aufstellung eines richtigen Einteilungsprinzips. Bis jetzt sind die meisten Versuche, diese Aufgabe zu lösen, vollständig gescheitert, weil man als Einteilungsmomente entweder die historisch-individuellen oder die sachlich-naturwissenschaftlichen, aber nicht die logischen Gesichtspunkte einführen wollte (97). - Die Gesellschaft als Ganzes oder als eine mannigfaltig komplizierte Vorstellung kann kein Gegenstand der Erkenntnis im Sinne einer kausalen Erklärung der Erscheinungen sein. Die Vertreter der organischen Schule bezeichnen die Gesellschaft als Organismus und halten diese Umtauschung der Worte für eine Definition. Man kann aber sagen, daß die Gesellschaft mehr und zusammengesetzter als der biologische Organismus ist. Nur mit dem Menschen selbst, der in seiner geistigen Struktur den Inhalt der sozialen Prozesse zum Teil widerspiegelt, kann sie verglichen werden. Aber auch den beherrscht sie vollständig durch manche Seiten ihres Wesens, wie durch die ethisch-rechtlichen Vorschriften und die staatliche Organisation. Deshalb ist sie auch höher als der Mensch. Wenn demnach LILIENFELD, einen alten Gedanken wieder aufnehmend (98), die Gesellschaft im Ganzen als eine Art Makrokosmos, der als sozialer neben dem physischen Makrokosmos steht, betrachtet, so muß man diese Vergleichung als die richtigste bezeichnen (99). Die Erkenntnis dieser sozialen Welt ohne Auflösung derselben in ihre Bestandteile ist jedoch ein logischer Widerspruch. In ihrer Mannigfaltigkeit als solche ist sie unerkennbar und kann bloß von den verschiedensten Seiten betrachtet und äußerlich beschrieben werden. Hier zeigt sich auch der wahre Charakter der organischen Theorie, die kein methdologisches Prinzip für die Erforschung der gesellschaftlichen Erscheinungen enthält, sondern nur ein Systematisierungsmittel darbietet, nach dem alle Ergebnisse der meistenteils beschreibenden Sozialwissenschaften äußerlich in ein System gebracht werden. Dadurch befriedigt sie gewisse Bestrebungen nach einem enzyklopädischen Aufbau der Wissenschaften und ist zu diesem Zweck ein vollständig geeignetes und berechtigtes Mittel. Wenn man die organische Theorie von diesem Standpunkt aus beurteilt, dann muß man hervorheben, daß die deutsche Literatur im Werk von SCHÄFFLE das beste Buch dieser Art besitzt (100). ![]()
43) Vgl. Herbert Spencer, The social organism, Essays, Vol. 1, Seite 393. "Die Hauptunterschiede zwischen Gesellschaften und einzelnen Organismen sind folgende: - 1. Daß Gesellschaften keine spezifischen äußeren Formen haben ..." 44) Vgl. Herbert Spencer, Prinzipien der Soziologie, Bd. 2, § 265. 45) Vgl. Albert Schäffle [101], Bau und Leben des sozialen Körpers, Bd. 1, zweite Auflage, Seite 137 und 265. 46) vgl. Schäffle, a. a. O., Seite 18. 47) vgl. Schäffle, a. a. O., Seite 28 48) vgl. Schäffle, a. a. O., Seite 28 49) Vgl. René Worms, Organisme et société, Seite 28f. "Wenn die Elemente nicht in den Bereich der Biologie fallen, kann das aus ihnen gebildete Ganze nicht in den Bereich der Soziologie fallen." 50) Vgl. Worms, a. a. O, Seite 27. "Die Gesellschaft unterscheidet sich daher von Rasse und Staat. Ist sie identisch mit der Nation oder dem Volk? Wir haben gerade mit Ja geantwortet." 51) vgl. a. a. O., Seite 37. "Wir haben aber auch darauf hingewiesen, dass ursprünglich die einzige bekannte Gesellschaft die Familie oder der Stamm war." 52) vgl. a. a. O., Seite 37. "... sie (die Gesellschaft) könnte eines Tages größer sein, es könnte eine Konföderation von Völkern oder sogar der gesamten Menschheit geben." 53) Vgl. Spencer, a. a. O., Bd. 1, § 7 und Bd. 2, § 225 und Paul Barth, Die Philosophie der Geschichte als Soziologie, Seite 100. 54) Vgl. Schäffle, a. a. O., Bd. 1, Seite 35. 55) Vgl. Worms, a. a. O., Seite 27f. 56) Vgl. Worms, a. a. O., Seite 59f. 57) Vgl. a. a. O., Seite 30: "„Ist es ausreichend, dass ein Treffen von Menschen dauerhaft ist, um eine Gesellschaft zu bilden?“ Mehr nicht, unserer Meinung nach. Es gibt sehr dauerhafte Gruppierungen, die diesen Namen nicht verdienen, zumindest nicht in dem Sinne, in dem wir ihn verstehen und in dem die allgemeine Soziologie ihn verstehen muß. Dazu gehören kommerzielle, literarische, wissenschaftliche oder philanthropische Vereinigungen. Notwendigerweise wird die Frau, insbesondere der Mann, einen Teil der Zeit außerhalb und weit weg von zu Hause, während sie nicht außerhalb der Gesellschaft leben können. Soll aber, was für Mann und Frau gilt, nicht auch für die ganze Familie gelten? - Anscheinend nicht. Ganz zu schweigen davon, daß die Familie nicht so langlebig ist und oft nicht einmal das gesamte Leben eines Menschen dauert. Wir verlassen ständig unsere Familie, aber die Gesellschaft verlassen wir nicht." 58) Vgl. Spencer, a. a. O., Bd. 2, § 213. 59) Vgl. Spencer, a. a. O., Bd. 2, § 214-223. 60) Vgl. a. a. O., § 239-240. 61) Wenn auch der biologische Organismus gewisse tote Bestandteile enthält, wie Haare und Nägel, so machen sie bloß einen verschwindend kleinen Teil des ganzen Körpers aus und bedingen in keiner Weise die Lebensfunktionen desselben; gerade das Gegenteil ist der Fall beim sozialen Organismus. 62) Vgl. Paul Barth, a. a. O., Seite 106. 63) Vgl. René Worms, a. a. O., Seite 163f und 197f und Barth, a. a. O., Seite 161. 64) vgl. Worms, a. a. O., Seite 228f. 65) Dieser Standpunkt wird besonders stark und in ganz paradoxer Weise in der neuesten Schrift von Paul von Lilienfeld vertreten, vgl. "Zur Verteidigung der organischen Methode in der Soziologie", Seite 40. "Ein solches Wandern der höheren Bewußtseinselemente wird im sozialen Organismus deshalb ermöglicht, weil die das soziale Nervensystem bildenden Elemente, die Personen, nicht mechanisch aneinander geknüpft sind, sondern selbst meistenteils Wanderzellen sind und auf die mannigfachste Weise gegen die sie erreichenden sozialen Reize reagieren können." Seite 44: "Ihre Persönlichkeiten (der großen Männer) stellen solche Zellenelemente in den betreffenden sozialen Nervensystemen dar, um die sich neue Gewebe und Organe gebildet haben, und die dazu beigetragen haben, die früheren aufzulösen und umzugestalten." Seite 48: "Die sozialen Verbände haben wir als Nervensysteme bezeichnet ... Ganz ebenso (nach den mechanischen Gesetzen) entwickelt sich das soziale aus Individuen bestehende Nervensyste nach denselben Gesetzen, wie die vielzelligen Organismen und speziell wie das aus Neuronen bestehende individuelle Nervensystem." Seite 49 und - "Gedanken über die Sozialwissenschaft der Zukunft", Bd. 5, Seite 2. 66) Vgl. Sigwart, Logik, Bd. 1, zweite Auflage, Seite 316. 67) Vgl. Robert von Mohl, "Enzyklopädische Staatswissenschaften", zweite Auflage, Seite 41. "Es verstößt bekanntlich gegen die ersten Gesetze der Logik und Arithmetik, wesentlich ungleichartige Dinge miteinander zu vergleichen. Ungleichartig sind nun aber einmal der einzelne menschliche Körper oder Geist und die zum Wollen oder Handeln bestimmten Einrichtungen des Staates." 68) Vgl. Carl Menger, "Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften und der politischen Ökonomie insbesondere", Seite 139f. 69) Vgl. Gustav Ratzenhofer, Die soziologische Erkenntnis: Positive Philosophie des sozialen Lebens, Seite 18 und 84f. Paul von Lilienfeld, Gedanken über die Sozialwissenschaft der Zukunft, Bd. 2, Seite 28, 43, 74f. Er vertritt besonders den Standpunkt, daß für die Gesellschaft als eine "Fortsetzung der Natur" dieselben allgemeinen Gesetze wie für die Natur gelten müssen. 70) Vgl. Alois Riehl, Der philosophische Kritizismus, Bd. 2, Seite 225. "Das Kausalgesetz ist nämlich nicht selbst ein Naturgesetz, sondern das Gesetz, das die allgemeine Form der Naturgesetze bestimmt und das der Geist befolgt, indem er die Natur erforscht." - Windelband, Präludien, Seite 217. 71) Die entgegengesetzte Meinung wird durch die ganze Schule von Comte vertreten, der sie zuerst in scharfer Form ausgesprochen hat. Vgl. Auguste Comte, Cours de philosophie positive, dritte Auflage, Bd. 1, Seite 81: "... Physiologen, die sich nicht durch ein Vorstudium der Astronomie, Physik und Chemie auf ihre spezielle Arbeit vorbereitet haben, haben an einer der Grundbedingungen ihrer intellektuellen Entwicklung versagt. Dies gilt umso offensichtlicher für Geister, die sich der positiven Erforschung sozialer Phänomene widmen wollen, ohne sich zuvor allgemeine Kenntnisse in Astronomie, Physik, Chemie und Physiologie angeeignet zu haben." Dazu vgl. Lilienfeld, a. a. O., Seite 8f. und Ratzenhofer, a. a. O., Seite 11 und 84f. 72) Die Anwendung dieses Grundsatzes auf die Psychologie vgl. bei Windelband, a. a. O., Seite 218: "Für die wissenschaftliche Untersuchung braucht deshalb die Geltung des Kausalitätsgesetzes für die Erkenntnis des Seelenlebens nicht besonders begründet zu werden, sondern sie versteht sich von selbst: denn das Kausalitätsgesetz wäre aufgehoben, sobald in dem Ablauf der erfahrungsmäßigen Tatsachen irgendeine Erscheinung angenommen würde, welche nicht die gesetzlich notwendige Wirkung ihrer Ursachen wäre." 73) Man muß sehr tief in der Identitätslehre Hegels stecken, um den folgenden Satz aufzustellen: "Aller Naturprozeß ist Mechanismus. Der Organismus ist unbekannter Chemismus, also doppelt unbekannter Mechanismus." (Vgl. Ludwig Knapp, System der Rechtsphilosophie, Seite 25) 74) Vgl. Heinrich Rickert, Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, Seite 118: "Andererseits würden jedoch, auch wenn eine solche Umwandlung der Begriffe (in einheitliche Relations- oder Gesetzesbegriffe) gelungen wäre, die Untersuchungen, die nur innerhalb eines Ausschnitts der Wirklichkeit angestellt sind, und die für diesen Ausschnitt gefundenen Gesetze niemals ihren selbständigen Wert verlieren. Es könnte mit anderen Worten eine allgemeine Theorie der Körperwelt niemals die speziellen physikalischen Theorien überflüssig machen oder die Physik ganz in Mechanik auflösen." 75) Vgl. Comte, a. a. O., Bd. 1, Seite 43: "Indem ich der positiven Philosophie das Ziel zuordnete, im einzigen Körper einer homogener Lehre das gesamte erworbene Wissen über die verschiedenen Ordnungen der Naturphänomene zusammenzufassen, lag es weit von meinen Gedanken entfernt, mit der allgemeinen Untersuchung dieser Phänomene fortzufahren und sie alle als Wirkungen eines einzigen Grundsatzes zu betrachten, da sie ein und demselben Gesetz unterliegen." Seite 44: "In meiner tiefen persönlichen Überzeugung betrachte ich diese Unternehmungen zur universellen Erklärung aller Phänomene durch ein einziges Gesetz als überaus chimärisch, auch wenn sie von den kompetentesten Intelligenzen angestrengt werden." Und Seite 45: "Laplace präsentierte erfolgreich eine Vorstellung, nach der man in chemischen Phänomenen nur einfache molekulare Effekte der Newtonschen Anziehung sieht, die durch die Form und gegenseitige Position der Atome verändert werden. Aber . . . . dabei scheint fast sicher, daß die Schwierigkeit bei der Anwendung (dieser Vorstellung) so groß wäre, daß wir gezwungen wären, die heute als natürlich etablierte Trennung zwischen Astronomie und Chemie als künstlich aufzufassen." Darüber vgl. John Stuart Mill, System der Logik, Bd. 2, § 2, 3, 4. 76) Vgl. a. a. O., Seite 49: "Sie besteht darin, daß die Klassifikation aus dem Studium der zu klassifizierenden Objekte selbst hervorgeht und durch die realen Verwandtschaften und die natürliche Kette, die sie darstellen, bestimmt werden muß, so daß diese Klassifikation selbst Ausdruck der allgemeinsten Tatsache ist, die sich durch den eingehenden Vergleich der darin erfaßten Objekte manifestiert." 77) Vgl. a. a. O., Seite 56: "Es ist notwendig, in Bezug auf alle Ordnungen von Phänomenen zwei Arten von Naturwissenschaften zu unterscheiden: Die abstrakten und allgemeinen Naturwissenschaften haben zum Ziel, die Gesetze zu entdecken, die die verschiedenen Klassen von Phänomenen regeln, indem wir alle Fälle berücksichtigen, die wir uns vorstellen können.; die anderen konkreten, besonderen, beschreibenden, die manchmal unter dem Namen Naturwissenschaften im eigentlichen Sinne bezeichnet werden, bestehen in der Anwendung dieser Gesetze auf die tatsächliche Geschichte verschiedener existierender Wesen." 78) Vgl. a. a. O., Seite 64 und 66. 79) Vgl. a. a. O., Seite 73-74. 80) Vgl. a. a. O., Seite 68-71 81) Dadurch, daß Comte eine gewisse Anordnung der Dinge im Raum zur Basis seiner Systemausführung macht, gewinnt seine Konstruktion eine bestimmte Ähnlichkeit mit dem viel früheren naturphilosophischen System von Schelling, wobei man selbstverständlich von allen sonstigen Motiven des Denkens beider Philosophen, wie von der verschiedenen empirisch-kausalen einerseits und teleologischen Betrachtungs- und Erklärungsweise andererseits, absehen muß. Ganz frappant erscheint dann die Ähnlichkeit des Schicksals beider Systeme in der Umbildung des einen in die Evolutionstheorie und des anderen in die Philosophie Hegels durch die Einführung des zeitlichen Moments. Über Schelling vgl. Windelband, "Geschichte der neueren Philosophie", Bd. 2, Seite 241. "Er (Schelling) hat weder geleugnet noch andererseits ausdrücklich behauptet, daß dieser Übergang des Unvollkommenen in das Vollkommenere eine historische Tatsache, d. h. ein zeitlicher Prozeß ist, und seine Entwicklungslehre ist daher nicht im eigentlichsten Sinne als Deszendenztheorie [Abstammungs- | wp] aufzufassen. Die Entwicklung ist für ihn ein ideelles Verhältnis, dasselbe wie bei den großen Philosophen des Altertums und wie bei Leibniz; sie will nur sagen, daß die Stufenleiter der Natur ein System von Erscheinungen bildet, in welchem jede einen bestimmten Platz im Verhältnis zu den übrigen einnimt und in dessen Zusammenhang sich die Grundidee in allen ihren Beziehungen ausbreitet." 82) Vgl. Kuno Fischer, Hegels Leben, Werke und Lehre, Seite 219: "Was heutzutage, am Ende unseres Jahrhunderts, Monismus genannt wird, das hieß am Anfang desselben, als Hegel seine philosophische Laufbahn begann, Identität oder Prinzip der Identität." 83) Diese Auffassung steht im Gegensatz zu Rickerts Meinung, der in der Reihe der nach ihren historischen Bestandteilen geordneten Naturwissenschaften der Biologie die erste Stelle einräumt (vgl. a. a. O., Seite 271 und 277f). Uns kommt es aber hier nicht auf die materiellen Voraussetzungen verschiedener Wissenschaften an, sondern auf den logischen Charakter der Sätze, die jede von ihnen aufstellt. Von diesem Standpunkt aus können wir keinen Unterschied zwischen der Biologie, Geologie und Kosmologie erblicken (vgl. a. a. O., Seite 285). Die Eigentümlichkeit dieser Wissenschaften besteht darin, daß sie keine Sätze aufstelen, deren Inhalt eine dauernde Geltung hat! Wenn in ihnen auch eine Menge von solchen Sätzen verwendet wird (vgl. a. a. O., Seite 290), so sind sie doch sämtlich in anderen Wissenschaften gewonnen. Nur der undifferenzierte Zustand der modernen Naturwissenschaften gestattet, sie zu den einen, statt zu den anderen Wissenschaften zu rechnen, und dieser Umstand verhüllt den eigentlichen Charakter der heutigen Modewissenschaft der Biologie besonders. Wenn man das aber tut, so muß man auch den Gegensatz zwischen Biologie einerseits und der Chemie, Physik usw. andererseits, der vom Gesichtspunkt der "historischen" Bestandteile dieser Wissenschaften gar nicht besteht und sich in einen graduellen Unterschied verwandelt, für einen prinzipiellen anerkennen. 84) Vgl. Georg Simmel, "Die Probleme der Geschichtsphilosophie", Seite 39. 85) Vgl. Sigwart, Logik, zweite Auflage, Bd. 2, Seite 698: "Die mechanische Theorie der Gase sieht von ihren chemischen Differenzen ab, soweit sie sich nicht zugleich, durch die Differenzen des spezifischen Gewichts in ihrem Gebiet geltend machen; wie vielerlei Gase es gibt, ist nicht ihre Aufgabe aufzuzählen, da sie sich nicht begnügt auszusprechen, daß wenn ein Körper ein Gas ist, er unter bestimmten Gesetzen des Druckes, der Wärmeausdehnung, der Wärmekapazität usw. steht" und Seite 640: "Die Mechanik des Himmels gibt in großartiger Einfachheit ein Bild solcher Konstruktion, das freilich streng genommen auch nur durch eine Abstraktion möglich ist; indem nur die Bewegung der Massen im Raum betrachtet und von anderen Beziehungen, wie z. B. der Licht- und Wärmestrahlung, abgesehen wird; indem nur zwei allen Körpern gemeinsame unveränderliche Eigenschaften als Grund ihrer Bewegungen angenommen werden, folgen die Bahnen und die Geschwindigkeit der Planeten aus ihren Massen, Entfernungen und der vorangehenden Bewegung nach einfachen Gesetzen, und die Schwierigkeit liegt höchstens in den Rechnungsmethoden, welche aus den von Moment zu Moment sich ändernden Relationen einer Mehrheit von Elementen ihre immer nach demselben Gesetz folgenden weiteren Änderungen abzuleiten haben." 86) Sigwart, a. a. O., Seite 506, stellt den Satz auf: "Auch die Physiologie zeigt im weiten Umfang allgemeine Sätze, welche nur den Charakter empirischer Gesetze haben." Daß Physiologie viele solche Elemente enthält, hat am besten Sigwart selbst bewiesen. Allein man muß bestreiten, daß alle physiologischen Gesetze nur "empirische" sind. Die allgemeinen Sätze, welche die Vorgänge bei den Ernährungs-, Stoffwechsels- und Fortpflanzungsprozessen bestimmen, tragen ihrer logischen Struktur nach denselben Charakter, wie bei anderen generellen Naturwissenschaften. Sie sind ebenso allgemeingültig und notwendig, weil sie ebenso für alle lebenden Wesen gelten, wie z. B. die Sätze der Chemie für alle Elemente. Deshalb können sie mit demselben Recht und in demselben Sinn als Naturgesetze betrachtet werden. Sigwart gibt das nur zum Teil zu, indem er behauptet (a. a. O., Seite 509): "Ebenso können wir die beschreibenden Gesetze der Physiologie unter der Voraussetzung als allgemeingültig annehmen, daß weder in der Natur der Individuen, noch in den allgemeinen Bedingungen ihres Lebens eine Veränderung eintritt." Tatsächlich aber sind wir genötigt, bei der Bildung der allgemeinsten Sätze diese Voraussetzung nicht zu machen, sondern von allen relativ zeitlichen Gesichtspunkten einfach abzusehen. 87) Vgl. Georg Simmel, Über Massenverbrechen, "Die Zeit", Nr. 157. 88) Vgl. Windelband, Geschichte und Naturwissenschaft, Seite 21 89) Vgl. Rickert, a. a. O., Seite 258: "Es ist daher ganz und gar irreführend, wenn gesagt wird, eine bedeutende historische Persönlichkeit sei zu kompliziert, um in die Begriffe der Naturwissenschaft eingehen zu können, ein körperlicher Vorgang nicht." Seite 260: "Etwas Einfacheres als ein Stück Schwefel kann es doch nicht geben, und trotzdem ist jedes Stück Schwefel, das wir nicht auf die Natur des Schwefels sondern auf seine individuellen Besonderheiten ansehen, eine unübersehbare Mannigfaltigkeit und daher ganz genau so unbegreiflich wie etwa Goethe oder Kant." 90) Vgl. Gabriel Tarde, Les lois sociales, Seite 28: "Der Kontakt eines Geistes mit einem anderen Geist ist in der Tat im Leben eines jeden von ihnen ein völlig separates Ereignis, das sich deutlich von all ihren Kontakten mit dem Rest des Universums abhebt und zu den unerwartetsten Geisteszuständen führt, die von der physiologischen Psychologie am wenigsten erklärt werden können." 91) Wenn Simmel ("Die Zeit", Nr. 157), den Satz aufstellt: "Innerhalb eben dieser (der Psychologie) kann ich nun zwischen dem Einfluß etwa einer Landschaft oder eines religiösen Eindrucks oder einer umgebenden Menge keinen prinzipiellen Unterschied entdecken", so meint er hier die "Landschaft" augenscheinlich in einem künstlerischen Sinn als den Ausdruck einer Stimmung oder eines bestimmten Gefühls. In diesem Fall projiziert der Mensch seine eigenen Bewußtseinszustände in die Natur und erhält dann von ihr die entsprechenden Wirkungen. Dasselbe geschieht auch bei den religiösen Gefühlen, in denen der Mensch entweder sich selbst verdoppelt oder eine unklare Empfindung seines Zusammenhangs mit der ganzen religiösen Gemeinde hat. Es handelt sich also in den Beispielen, die Simmel anführt, um eine direkte und eine indirekte Wirkung der Menschen auf uns. Dagegen ist der Unterschied zwischen dem Einfluß der unbewußten Natur und dem eines anderen bewußten Wesens auf uns ein prinzipieller. Die Scheidung kann selbstverständlich nur begrifflich wie z. B. zwischen Chemie und Physik, und nicht sachlich durchgeführt werden. Alle Vorgänge geschehen doch in demselben Bewußtsein und gleichzeitig, ebenso wie die chemischen und physischen Prozesse sich auf derselben Körpermasse gleichzeitig abspielen. 92) Vgl. Hermann Lotze, Mikrokosmos, Bd. 2, Seite 330: "In der Tat ist der ungebildete Mensch, je weniger weit gesteckt und vielseitig die Ziele seines eigenen Strebens sind, umso mehr zur Bewunderung fremder Kraft und Größe und zur Unterordnung der seinigen geneigt, ein Zug, ohne dessen glückliches Vorhandensein die Möglichkeit eines geselligen Zusammenlebens schwer denkbar wäre. Diese Fügsamkeit bildet sich zu einer Treue und Hingebung an die Führer und Leiter aus, in der ohne Zweifel ein Keim echt sittlicher Entwicklung enthalten ist. Aber diese Sittlichkeit ist nicht durch allgemeine Gesetze der Gesinnung geregelt, sondern sie haftet an der persönlichen Geltung dessen, gegen den die Handlungen gerichtet sind." - Sigwart, a. a. O., Seite 621. - Georg Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen, Seite 94: "Denn Gemeinschaft besteht auch nur in Beziehungen vernünftiger Wesen; solche Beziehungen sind aber nur möglich, indem der Wille des Einen zugunsten des Anderen sich einschränkt ..." Vgl. dazu von demselben Verfasser "Gesetz und Verordnung", Seite 193f. 93) Vgl. Gustav Le Bon, Psychologie des Foules, Seite 11f und 147: Verbrechen eines Massenmenschen werden in der Regel durch eine starke Suggestion motiviert, und die daran beteiligten Personen werden anschließend davon überzeugt, daß sie einer Pflicht nachgekommen sind, was beim gewöhnlichen Kriminellen überhaupt nicht der Fall ist." 94) Vgl. Scipio Sighele, Psychologie des Auflaufs und der Massenverbrechen, Seite 154f. 95) Vgl. Otto Stoll, Suggestion und Hynotismus in der Völkerpsychologie, Seite 14 und 512. 96) Der näheren methodologischen Begründung dieses Gedankens ist das ganze sechste Kapitel gewidmet. 97) Dilthey, Einleitung in die Geisteswissenschaften, Seite 52f und 118f, betrachtet als Einzeldisziplinen der Sozialwissenschaft die Anthropologie, Rechtswissenschaft und Staatswissenschaft. Die Anthropologie hat aber mit den gesellschaftlichen Erscheinungen nichts zu tun, sie ist eine beschreibende Naturwissenschaft gleich der Botanik und der Zoologie. Zwischen Rechts- und Staatswissenschaft kann man andererseits keinen prinzipiellen methodologischen Unterschied finden. Man muß sie vielmehr nach Ausscheidung mancher heterogener Elemente zusammenschmelzen. Ebenso enthält die Lehre von den Kultursystemen, wie sie Dilthey konstruiert, die verschiedensten Elemente, welche in keiner Weise methodologisch vereinigt werden können. 98) Vgl. Otto Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. 3, Seite 14: "Wie der Makrokosmos der Welt und wie der Mikrokosmos des Individuums, zwischen die er sich gewissermaßen als Mesokosmos eingliedert, ist der platonische Staat ein aus Geist und Materie und einem dritten die Idee mit der Sinnlichkeit verknüpfenden Element bestehendes zoon." Bernatzik, a. a. O., Seite 190, Note 96. "Das principium unitatis des Weltganzen und das Postulat einer Verbandseinheit der ganzen Menschheit, die (im Anschluß an das Gleichnis in Paulus Brief an die Korinther 1, 12, 4-28) als "corpus mysticum" Christi betrachtet wurde sind die Grundlagen der patristischen und scholastischen Philosophie von Augustinus angefangen bis zu Thomas von Aquin, Dante, Nicolaus von Cues u. a.; sie sind auch die Elemente der organischen Staatslehre." Vgl. Gierke, a. a. O., Bd. 3, Seite 106f und 515f und Windelband, a. a. O., § 29 (Makrokosmos und Mikrokosmos). 99) Vgl. Lilienthal, a. a. O., Bd. 1, Seite 281: "... so stellt der soziale Mensch in Bezug auf die ganze Menschheit, als organisches Ganzes d. h. als sozialen Makrokosmos einen sozialen Mikrokosmos dar. Mit anderen Worten: die menschliche Gesellschaft als Summe der ganzen sozial-historischen Entwicklung der Menschheit repräsentiert einen einzigen von einer Einheit des Lebens und der Entwicklung durchdrungenen, dem physischen Kosmos, von dem sie einen Teil bildet, gleichen sozialen Kosmos. Dies ergibt sich aus allen unseren vorausgeschickten Deduktionen." 100) Vgl. Gustav Schmoller, Zur Literaturgeschichte der Staats- und Sozialwissenschaften, Seite 221-232. |