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Der Bourgeois und die religiösen Mächte
Im Gegensatz der beiden ausgezeichneten Forscher, soweit es sich um das Verhältnis von Katholizismus und Protestantismus überhaupt zum kapitalistischen Geist dreht, scheint mir das letzte Recht durchaus bei MAX WEBER zu liegen - wie sehr auch der äußere Anschein SOMBART recht geben mag. SOMBART hätte aus den Quellen der protestantischen Schrifttümer noch weit mehr Stellen finden können als er angeführt hat, in denen Erwerbs- und Besitzstreben und die hierzu geeignet machenden Tüchtigkeiten als bloße Hemmungen der echten Heilsgewinnung der individuellen Seele die verächtlichste Beurteilung finden; er hätte auch noch weit mehr Stellen aus der thomistischen Literatur geben können, in der das vernunft- und (indirekt) gottgewollte Recht eines solchen Strebens mit den zu ihm gehörigen Tüchtigkeiten (Klugheit, die "Königin der Tugenden", Mäßigkeit, Sparsamkeit) behauptet wird. Die Darstellung, die SOMBART - im einzelnen - vom Geist der thomistischen Ethik in ihrem Verhältnis zum Wirtschaftsleben gibt (die Anregung zu seinen Studien ging von der Schrift FRANZ KELLERs "Unternehmung und Mehrwert", 1912, Schriften der Goerresgesellschaft aus), hat uns von seiner These nicht zu überzeugen vermocht - so dankenswert das hierzu neu beigebrachte Quellenmaterial auch ist. Schon dadurch wird seine Darstellung schief und einseitig, daß er die rationale Gesetzesethik im Thomismus aus dem organischen Ganzen dieser großen systematischen Aussprache des spätmittelalterlichen christlich-sittlichen Bewußtseins heraus - und von der Ethik der religiös-sittlichen Heilsordnung schroff ablöst - ja gar noch behauptet, daß der "wesentliche Bestandteil" der thomistischen Lehre die augustinische Idee der Gottesliebe als dem absoluten und höchsten, schlechthin einfachen sittlichen Endzweck eine praktische Bedeutung für die Gestaltung des Wirtschaftsethos überhaupt nicht besitze. Gerade die organische Ganzheit und die lebendig empfundene Kontinuität der beiden Teile dieser Ethik, der natürlich rationalen und der spezifisch christlichen Gnaden- und Erlösungslehre ist aber das spezifisch Katholische und Thomistische an dieser Ethik. Für jedes Handlungs- und Lebensgebiet haben denn auch beide Teile zu gelten und es liegt nicht im Geist des THOMAS AQUINO, etwa das gesamte Wirtschafts- und politische Leben ausschließlich der natürlichen rationalen Ethik zuzuweisen. Auch das sogenannte "sittliche Naturgesetz" ist für THOMAS nur die in der Vernunft des Menschen sich vernehmlich machende Stimme der einheitlichen "lex divina" (2). Erst im Laufe des durch den franziskanischen Nominalismus und Voluntarismus eingeleiteten Zerfalls des Ideensystems der Hochscholastik, dessen Vertreter (DUNS SCOTUS, WILHELM von OCKHAM) prinzipiell den Willen und den Zweck in Gott wie Mensch über die Idee des Vernunft gesetzes stellen, ist eine solche dualistische Gebietsteilung zwischen dem, was der Vernunft und dem Offenbarungsgesetz unterliegt, zustande gekommen, wie sie SOMBART schon hier voraussetzt. Noch weniger aber dürfte gelten, daß die rationale Gesetzesethik eine höhere, allgemein praktische Bedeutung besitze als die Liebes- und Gnadenethik. Nach SOMBART könnte es erscheinen, als seien dem Bürger und Kaufmann jener Zeit von Kindesbeinen an moralische Lehrbücher in die Hand gegeben worden, die diese rationalen Teile der thomistischen Ethik enthielten. Faktisch aber waren die Lehren des THOMAS zunächst nur für den gelehrten Teil des Kleruns bestimmt und konnten erst vornehmlich durch die Beichtpraxis hindurch eine erweiterte Wirkung erhalten. Daß aber gerade in dieser Praxis das "natürliche" Sitten- und Tugendsystem gewaltig vor dem spezifisch-christlichen Lehrgehalt zurücktrat, darüber lassen uns die Spuren, die wir von dieser besitzen, nicht den geringsten Zweifel. Auch materiell hat sich die herrschende Beichtpraxis der Zeit nicht den subtilen Ausdeutungen z. B. des kanonischen Zinsverbotes angeschlossen, die spätere Thomisten wie CAJETANUS, ANTONIUS von FLORENZ, BERNARDUS von SIENA ihm gaben. Ihre eigentliche Stoßkraft erhielt die "rationale Ethik" erst durch ihre volle Ablösung vom christlichen Ethos der Gnade und Liebe, wie sie sich erst spät durch den Sozianismus und die vordringenden Theologie und moderne Naturrechtslehre der Aufklärung vollzog. Daß in der Erziehung - soweit sie durch Priester geleitet war - gleichwohl die natürliche Vernunft- und Gesetzesethik eine erhebliche Rolle spielte, ist allerdings sicher. Aber daß ihr Sinn und Geist in dieser Richtung geradezu die Lösung der Preisaufgabe war: "Wie erziehe ich den triebhaften und genußfrohen Seigneur einerseits, den stumpsinnigen und schlappen Handwerker andereseits zum kapitalistischen Unternehmer" - wie SOMBART sagt -, dazu scheint uns SOMBART nicht im entferntesten stichhaltige Gründe beigebracht zu haben. Die Ausführungen FRANZ KELLERs, von dem SOMBART ausging, sind nur ein typisches Zeugnis von der Art und Weise, wie ein gewisser soi disant [selbstredend - wp] "fortschrittlicher" Zentrumskatholizismus sich das Bild eines der größten kirchlichen Schriftsteller zurechtlegt, um den Vorwurf der sogenannten "Rückständigkeit" des Katholizismus - gemessen an den Idealen des modernen liberalen Bourgeois natürlich - zu widerlegen. Das hierzu beliebte Verfahren besteht darin, daß man überall die religiösen und mystischen Teile des thomistischen Gottes - und Weltbildes wegschneidet oder zurückdrängt, um nur das zurückzubehalten, was den drei typischen Hauptgestalten des heutigen deutschen "öffentlichen" Katholizismus, dem Politiker, Genossenschaftler und dem Schulmeister passen mag; daß man prinzipiell nebensächliche Teile der moralischen Kasuistik zu den zentralen Ideen des thomistischen Lehrsystems emporbauscht oder vor solchen Einzelheiten seinen Geist völlig vergißt. Hätte SOMBART in die Werkstätte seines Gewährsmannes etwas tiefer hineingeblickt, so wäre er kaum seinen Suggestionen verfallen. Schon zwei durchgängige Züge der Ethik des THOMAS - müssen sie vor dem Charakter eines "Erziehungsbuches für kapitalistische Unternehmer" unbedingt bewahren: Ihr streng intellektualistischer, kontemplativer und darin antiker Charakter, und ihre organische, auf dem aristotelischen Formbegriff beruhende Auffassung aller menschlichen Gesellschaft als einer im wesentlich stabilen Ordnung von in Ständen geordneten Menschen und menschlichen Betätigungsweisen. Schon daß hier alle und jede "Willenstätigkeit" im Dienst der Kontemplation Gottes und der Liebe zu Gott steht und das Endziel aller menschlichen Unruhe in ein ruhevolles Beschauen der göttlichen Majestät - nicht wie für fast alle Modernen (LEIBNIZ, LESSING, Faust-GOETHE, KANT usw.) in eine Art des "unendlichen Strebens", der unendlichen Vervollkommnung verlegt ist, muß den irdischen Unternehmungen jenen blutigen "Ernst" und jene absolute Gewichtigkeit nehmen, die sie für den kapitalistischen Menschen in all seinen Spielarten besitzen. Die "dianotetischen" [Verstandes- /wp] Tugenden - darunter auch die klare Erkenntnisfähigkeit des Guten und Rechten selbst - bleiben den "praktischen" auch bei THOMAS übergeordnet. So erscheint auch die ganze Gesellschaft von einer priesterlichen intellektuellen Aristokratie beherrscht. Dazu gehört es - ganz jenseits einzelner Lehrsätze - zur Struktur der Weltanschauung, aus der dieses Lehrsystem als eines der möglichen hervorging, daß alles und jegliches menschliche Arbeitsstreben in einer festen, formalen und im Kern stabilen Ordnung des Universums und der Natur seine absolute Grenze findet - einer Formordnung, die auch die Gesellschaft und ihre Gliederung mitumfaßt und die nicht - wie bei allen modernen Philosophen - erst durch Kräfte und Tätigkeiten des menschlichen Geistes als hervorgebracht gilt. Auch Ehe, Familie, Stand und Beruf sind solche gottgeordnete, unveränderliche Formen, durch welche die sich immer neu erzeugenden Generationen von Individuen nur wie durch die Tore eines streng architektonisch gefügten Gebäudes der menschlichen Gesellschaft hindurchschreiten - sie nur in ihren positiv rechtlichen Fassungen zuweilen verschieden maskierend. Wenn SOMBART den Kardinal CAJETANUS anführt, der in seinem Kommentar zu THOMAS die Auffassung zurückweist, ein rusticus [Bauer - wp] müsse immer rusticus, ein artifex [Künstler - wp] immer artifex, ein civis [Bürger - wp] immer civis bleiben und der gegen eine solche Interpretation des THOMAS bemerkt, es sollte "jeder rechtmäßig über seinen Stand in dem Maße hinauswachsen, als er Tugenden und Kräfte" hierzu besäße, so ist diese Interpretation nicht nur streng thomistisch und gar nicht eine arge Erweiterung der thomistischen Lehre - sondern sie entspricht auch in ihrem Kern ganz der traditionellen Lehre der großen griechischen Philosophie (3) Und gerade diese Interpretation ist das äußerste Gegenteil der kapitalistischen Gesellschaftsauffassung! Wären die Standesunterschiede nur positiv geschichtliche Tatsachen und wären sie nicht vielmehr nach THOMAS inadäquate Abbilder einer "natürlichen" und göttlichen Ordnung in den Naturen, Tugenden und Kräften der Menschengruppen selbst, gäbe es nach ihm nicht einen rusticus, artifex, civis usw. "von Natur aus", gerade dann hätte jedes Individuum ein unendliches Feld seiner Werdensmöglichkeit vor sich. Dann und nur dann wäre die erste Voraussetzung für den kapitalistischen Geist gegeben. Denn eben dann gäbe es für das Konkurrenzstreben, für das "Emporkommen" keine andere Grenze als diejenige, die in den momentanen historischen Macht verhältnissen gelegen ist, die selbstverständlich niemals einen Anspruch auf Dauer besitzen können. Gegenüber dieser inneren Struktur des Thomismus, der das äußerste Gegenteil des kapitalistischen Systems darstellt, besagen die von SOMBART angeführten Einzelheiten aus der thomistischen Moral- und Tugendlehre nur wenig. Auch sie gewinnen erst in diesem Ganzen ihren Sinn. Es geht nicht an, den Begriffen des THOMAS von AQUINO, auch wenn sie dieselben Worte und Namen haben wie die sittlichen Begriffe unseres Zeitalters, diese letzteren zu substituieren. Gewiß will auch THOMAS eine "Rationalisierung des Lebens" und dies im Gegensatz zu manchen Reformatoren, von denen einige, wie z. B. LUTHER, allen Rationalismus - die "Hure Vernunft" - schroff abweisen. Gewiß will er eine "Zurückdämmung der erotischen Triebe". Aber weder ist die Art dieser "Rationalisierung" dieselbe, welche zum homo capitalisticus führt, noch will er diese Rationalisierung zum Zweck der Förderung des neuen Wirtschaftsmenschen (was übrigens auch SOMBART zugibt). Es geht nicht an - wie es jetzt nicht nur bei SOMBART Mode wird -, den "rationalen" Menschentypus ohne weiteres dem "Zweckmenschentypus" gleichzusetzen, ja dem "utilistischen Typus" - die edle griechische "Ratio" der gemeinen "Intelligenz". Der "Rationalismus" des kapitalistischen Typus hat mit dem griechischen ethischen Rationalismus des ARISTOTELES, dem der Tugendbegriff des THOMAS entnommen ist - sowie alle Grundbegriffe seines Systems - nur den Namen gemein. Die "Rationalisierung des Lebens", die THOMAS mit seinem Tugend - und Erziehungssystem anstrebt, zielt an erster Stelle auf eine innere Ordnung und Harmonie der Seele und ihrer Kräfte hin, und dies zu dem Ziel, sie zu einem reinen und klaren Gefäß für die Aufnahme der Offenbarungswahrheiten und eines übernatürlichen Gnadenlebens zu machen. Die Vernunft und die "Lebensrationalisierung" wird gerade darum hochgehalten, um auch in das weltliche Leben des Alltags den Strom der in den kirchlichen Gnadenmittlen strömenden Gnaden und Erlösungskräfte einfluten zu lassen und es so mit diesem zu durchsäuern. Auf diese Durchsäuerung - damit auch auf moralische Kasuistik - verzichtet später der Protestantismus prinzipiell und wird damit antirationalistisch. Und gerade dadurch emanzipiert und säkularisiert er die "Weltlichkeit" und überläßt sie ihren eigenen gottfremden Gesetzen! Und damit erst entsteht jene spezifisch moderne "Rationalisierung" des Lebens, die eigentlich nur Technisierung ist. Jetzt sind Affekte, Passionen, Sinnlichkeit nicht mehr zu ordnen, einzuschränken um das Glück des ritterlichen Sieges willen, welchen das "Vernunftwesen" Mensch im Kampf mit untergeordneter Begierde freudig feiert - ganz unabhängig von der Erreichung äußerer Zwecke und Vorteile, welche ein solches Leben verheißt -, sondern darum, weil sie sich gegenüber der Verfolgung langer kontinuierlicher äußerer Mittel und Zweckreihen als störend und hemmend erweisen. Das moderne rationalistische Tugendsystem entspringt überall der Idee der Kraftersparnis im Gebrauch der Zeit und der Lebenskräfte um guter Geschäfte willen, nicht der Idee des freien, freudigen, ritterlichen Opfers eines Niedrigeren für ein Höhere - gleichgültig für welchen äußeren Zweck! Hier ist auch die geschäftliche Solidarität, die bürgerliche Wohlanständigkeit nur ein letzter äußerer Abglanz und eine Gewähr einer inneren rationalen Harmonie der Seele; dort wachsen auch die scheinbar rein sittlichen Wertprädikate des inneren Menschen aus dem Bedürfnis der besonderen Berufstätigkeit und aus dem sozialen Kreditwert der betreffenden Eigenschaften heraus. Die "Tugend" des THOMAS ist ein innerer "Habitus" der Person, die Tugend des kapitalistischen Menschen ist "Disposition" zu gewissen Handlungen. Wenn die Scholastiker die Arbeit schätzen und den Müßiggang ("otiositas"), den sie von "otium" (4), Muße und erst recht von allem gottgeweihten Leben, z. B. der Mönche, scharf unterscheiden, streng verbieten, so ist es nicht an erster Stelle die Nutzwerte schaffende Kraft der Arbeit, die sie preisen, sondern die in ihr gelegene geregelte Tätigkeit, die über vielerleit Anfechtungen hinwegsetzt, ihre den inneren Menschen stählende und ordnende Kraft. Eben weil der Müßiggang der Anfang aller "Laster" ist, nicht weil nichts Nützliches bei ihm herauskomt, wird er verworfen; nicht, - weil Zeit "Geld" ist. Auch im Zusammenhang, den SOMBART zwischen der christlichen "Zurückdämmung der erotischen Triebe" und der Seelenstruktur des modernen Wirtschaftsmenschen sehen will, sehe ich noch eminent schwierige Probleme. Keinesfalls kann man sagen, "THOMAS habe erkannt, daß die bürgerlichen Tugendne nur gedeihen können, wo das Liebesleben des Menschen eine Einschränkung erfahren hat". Denn daß THOMAS' Stellungnahme zum Erotischen von diesem Gesichtspunkt her diktiert war, - davon kann doch keinesfalls die Rede sein. Zwischen der erotischen Askese des mordernen Wirtschaftsmenschen und derjenigen des THOMAS ist ein Wesens unterschied - soweit hier überhaupt etwas generelles über den gerade hierin so vielfarbigen modernen kapitalistischen Typus zu sagen ist. Wie dem kapitalistischen Typus die christliche Keuschheitsidee, die Idee des freien Opfers der Geschlechtslust zur Befreiung des Geistes für die Kontemplation einer göttlich-himmlischen Sphäre völlig fremd ist, so fremd ist auch dem Thomismus eine Zurückdämmung der erotischen Leidenschaften als bloßer Störenfriede eines rationellen wirtschaftlichen Handelns. Wenn THOMAS von einem Zusammenhang von Verschwendung und Hingabe an die sexuellen Triebe spricht, so denkt er hier kaum an einen psycho-energetischen Zusammenhang (5) dieser Impulse (der überdies auch sachlich mehr als fraglich ist), sondern eben nur daran, daß sexuelle Ziele ein häufiges Motiv der Verschwendung seien. Völlig fern aber liegt es ihm, die Keuschheit als bloßes Mittel zu stetiger wirtschaftlicher Arbeit zu empfehlen. Vor allem aber hat die "Zurückdämmung" der erotischen Triebe in der christlichen und Bürgermoral einen völlig verschiedenen Sinn. Innerhalb der kapitalistischen Bewegung finden wir nigends einen systematischen Kampf gegen die Richtung der inneren seelischen Energien, die zum Geschlechtsgenuß drängen und eine gleichzeitige Ableitung dieser Energie - bei Erhaltung ihrer Kraft - in die eine große konzentrierte Passion, welche seit dem hl. BERNHARD die katholische Frömmigkeit kennzeichnet: die Liebe zu CHRISTUS und die Nachfolge seiner in seinem "armen Leben". Auch der Protestantismus bricht - wie ALOIS RITSCHL zeigte - überall mit dem Nachfolge-Ideal, ja stellt JESUS als sittliches Vorbild und sittlichen Gesetzgeber bewußt völlig zurück gegenüber seiner Eigenschaft als Erlöser und Opferlamm für die sündige Menschheit. Auch er verwertet nicht mehr die erotischen Energien für das Himmlische. Ja, er sperrt es so einseitig ab von allem religiösen Heilsweg, daß ihm Liebe und Solidarität in keiner Form mehr - auch nicht als pure "Menschenliebe" - als Bedingung zur Erreichung der Seligkeit gilt und auch die Ehe - so sehr sie gegen das mönchische Leben empfohlen wird - ihren sakramentalen Charakter verliert. Auch sie ist nur das Zugeständnis an die unüberwindbare Sündigkeit und Konkupiszenz [Verlangen - wp] des Menschen. Ihre innere allgemeingültige Rechtfertigung - auch für den Priester und homo religiosus - stützt sich allein auf die nach LUTHER unaustilgbare radikale Sündhaftigkeit des fleischlichen Menschen; nicht aber auf eine positive Heiligung. Die erotische Askese des kapitalistischen Menschen aber beginnt zuerst von außen - d. h. beim sinnlichen Geschlechtsgenuß selbst, nicht bei den seelischen Energien, die zu ihm hinleiten und in die er normalerweise als Ausdruck hineinverflochten ist. Hier wird nicht die erotische Leidenschaft in eine religiöse Liebesenergie umgewandelt und so "nach oben" gerichtet, sondern sie behält ihre natürliche Richtung bei; nur ihre sinnliche Realisierung wird ihr soweit versagt, als sie die Kontinuität eines rationellen wirtschaftlichen Handelns durchbrechen könnte oder nicht selbst wieder in die Richtung eines geschäftlichen Interesses (Geldheirat) geleitet wird. Je mehr aber im Verlauf der kapitalistischen Entwicklung der moderne Wirtschaftsmensch sich von aller religiösen Geistesrichtung entbindet, desto schärfer wird die Abgrenzung zweier erotischer Grundtypen: des mehr oder weniger begüterten wirtschaftlichen Konsumententypus, bei dem die ja nur mehr durch Arbeits- und Geschäftsrücksichten ethisch begrenzte Erotik des neuen Bürgertyps sich, nach Wegfall dieser ihrer Hemmungen, in mehr oder weniger libertinistischer Form betätigt, und des Produzenten- und Unternehmertypus, in dem die Arbeitsenergie und der geschäftliche Ehrgeiz das Erotische teils niederhalten, teils die in ihm enthaltene psychische Energie selbst in ein grenzenloses Gewinnstreben verwandelt. In diesen beiden typischen Formen aber ist die hier nicht - wie im Katholizismus - innerlich verwandelte und vergeistigte sexuelle Begierde gerade eine Haupttriebkraft der kapitalistischen Entwicklung. SOMBART hat in seinem Buch "Luxus und Kapitalismus" selbst sehr klar gezeigt, wie der Bedarf jener Frauenschicht, die vor dem ersten dieser beiden Typen selbst mehr oder weniger zur "Ware" wird, die gewerbliche und industrielle Entwicklung befeuert hat; und wie die moderne Großstadt als Konsumentenstadt besonder für diese Art "Luxus" entstanden ist. Dem ersten dieser Typen mag auch der religiös entleerte Priestertypus und Mönch der Renaissance (Avignon) vorgearbeitet haben. Der zweite aber, der kapitalistisch "asketische" Unternehmertypus, hat mit der katholischen "Askese" sicher keinerlei Kontinuität. Großes Gewicht legt SOMBART weiter darauf, daß die thomistische Moral mit dem frühchristlichen Armutsideal breche, wogegen der Protestantismus, selbst in seiner calvinistisch-englisch-puritanischen Form zwar prinzipiell den thomistischen Satz der Unabhängigkeit des Reichseins und Armseins für die Erreichung des religiösen Heils teile, aber eher die Armut vorzöge. (Siehe die von ihm zitierten Stellen von THOMAS und BAXTER, Seite 316 und 325) Nun muß aber zunächst festgestellt werden, daß, abgesehen von der Zeit der chiliastischen Hoffnungen der ersten Gemeinden auf die demnächstige Wiederkunft CHRISTI, die christliche Moral ein "Armutsideal" in dem Sinne, daß Armut schlechthin als besser gegolten hätte als Reichtumg, überhaupt nicht gekannt hat. Auch von den Vätern weicht THOMAS hier durchaus nicht in dem Maße ab als SOMBART meint. Was allein als religiös-ethischer Wert galt, war der frei Akt des Abtuns, der Hingabe eines vorhandenen Reichtums, die "freiwillige Armut" - ein Akt, der sowohl vorhandenen Reichtum als den positiven Wert des Reichtums voraussetzt. In diesem Sinne "folgt" FRANZISKUS dem reichen Jüngling des Evangeliums. Denn nur so ist ein "Opfer" und ein freies Opfer möglich. Dieses Armutsideal aber als Weg zur volen Freiheit, zur Souveränität des Geistes in Liebe und Kontemplation Gottes, hielt auch THOMAS von AQUIN genau wie die Väter zumindes für die "Berufenen", den "Räten" der Kirche Folgenden, also zunächst für alle Mönche fest, wogegen es der Protestantismus mit seiner Verwerfung der zwei ethischen Stufen der Laien und Religiösen und der "Verdienst" prinzipiell preisgab, und die "Bewährung" in Werken der durch Glaube und Gnade nunmehr allein bestimmten "Rechtfertigung" ausschließlich in die weltliche Berufstätigeit verlegte. Ja, schärfer gesagt, war es der neue weltliche Arbeitstrieb des jungen Bürgertums, das überall hinter den Reformatoren steht, das erst zu solchen religiös-dogmatischen Formulierungen führte, die wie die "Rechtfertigung nur durch den Glauben", aber auch CALVINs Gnadenwahl und ZWINGLIs alltätige Offenbarung erlaubten, alle "unfruchtbaren", d. h. "bloß" dem Dienste Gottes geweihten Werke, und damit auch den gesamten kirchlichen Kult-Mechanismus auszuschalten. Treffend hebt WILHELM DILTHEY hervor: "Der Mönch oder Priester der katholischen Kirche wollte Gottes Werk tun und CHRISTUS in sich nachleben, dies aber unter Loslösung von den gewöhnlichen Geschäften der Welt. LUTHERs germanische Aktivität fand sich abgestoßen von jedem Werk ohne wirkende Kraft, von jeder Arbeit ohne Leistung. In der Welttätigkeit selbst, im Berufsleben erfaßte er den von Gott gegebenen Spielraum für die im Glauben enthaltene Kraft." (siehe: Das natürliche System der Geisteswissenschaften, Werke II, Seite 215) Diesen großen Tatsachen gegenüber besagen aber die zitierten Sätze des THOMAS von AQUIN sehr wenig. Nicht nur wurden (man denke nur an Spanien) durch das Armutsideal des Mönchstums dem Wirtschaftsleben und durch sein Keuschheitsideal der, die kapitalistische Entwicklung antreibenden, Bevölkerungsvermehrung, ein gewaltiges Maß von Kräften entzogen, sondern - was viel wichtiger ist - auch auf die nichtmönchische Bevölkerung wirkte schon das Dasein dieses im Mönchstum inkorporierten Ideals, das im Franziskanertum den anderen Bettelorden auch mit dem Volksleben in eine fortwährende innigste Berührung trat, als eine starke Beschwichtigung und Ermäßigung des Erwerbstriebes ein und ließ den mit materiellen Erwerbstätigkeiten betrauten Menschentypus - schon durch seine bloße Existenz als "Ideal" - nie zu jenem naiven Gefühl der unbedingten Berechtigung seiner Erwerbsarbeit und seines Erwerbsstrebens kommen, gescheige zu jenem Gefühl einer unendlichen, nie voll erfüllbaren Pflicht zu Arbeit und Erwerb, wie unter dem Protestantismus. Wenn, abgesehen von dieser Tatsache, THOMAS - für die Nichtreligiösen - nur den guten oder richtigen Gebrauch sowohl des Reichtums als der Armut lehrt und den Habitus der Seele, der ihm entspricht, als "liberalitas" bezeichnet, so scheint mir auch hier SOMBART dem Gedankengang des THOMAS einen nicht entsprechenden Sinn beizulegen. Dies tritt auch darin hervor, daß er "liberalitas" mit "Wirtschaftlichkeit" übersetzen will, ja eine "Vorstufe der santa masserizzia" [geheiligten Haushaltswaren - wp] in ihr finden will; daß er in den thomistischen Lehren weiter eine Empfehlung der bürgerlichen Einnahmewirtschaft und eine Verwehrung der seigneuralen Ausgabewirtschaft sieht. Der wahre Sinn der "liberalitas" ist aber - so wenig sie, wie SOMBART richtig sagt, "Freigiebigkeit" ist - ein ganz anderer als ihr SOMBART zuschreibt. Nicht im entferntesten meint liberalitas "Sparsamkeit" oder "Wirtschaftlichkeit" als die Fähigkeit, sich Wirtschaftswerte oder Geld "aufzusparen", mehr einnehmen als ausgeben, auch nicht Ökonomie im relativen Sinn des Wortes "sparen" von "billig und gut kaufen", sondern innere Freiheit gegenüber dem Unterschied von Arm und Reich und den darauf beruhenden Genußmöglichkeiten, und daraus folgend ein solches Sicheinrichten mit seinem Besitz - sei er groß, sei er klein - daß Verschwendung und Geiz, die eben das Gemeinsame der unfreien Liebe zum Materiellen haben (dort mehr zu den durch das Geld erreichbaren Genüssen, hier mehr zum Geld selbst), vermieden werden. Faktisch ist die "liberalitas" nichts anderes als die zur freiwilligen "Armut" im Sinne des Nichtbesitzes (im Unterschied vom Nichtsbesitzen (6) gehörige untere Stufe, die Tugend der "Besitzenden"! Trotzdem ist SOMBART zuzugeben, daß unter den normativen Sätzen, welche wir die einflußreichsten katholischen und protestantischen Morallehrer und Prediger aussprechen hören, der Unterschied der Färbung besteht, daß jene mehr die religiös "richtige" Anwendung des Reichtums, diese mehr seine Gefahren für das Heil betonen. Aber wie so häufig in der Geschichte der Moral, darf man aus so einer, in pädagogischer Einstellung gegebenen Normierung, bei der man stets eine gewisse Menschenschicht und deren faktisches Verhalten im Auge hat, nicht ohne weiteres auf den sittlichen Geist oder - wie ich andernorts sagte - das "Ethos" derer schließen, die diese Normen erteilen (7). Bei gleichen ethischen Wertvorzugsgesetzen können die "Normen", die man für verschiedene Schichten daraus ableitet, noch sehr verschieden sein. Ja, häufig muß man von den "Normen" sogar ex contrario [über einen Umkehrschluß - wp] auf das Ethos schließen. Zur Norm wird nur die Verwirklichung solcher als "richtig" anerkannter Vorzugsgesetze zwischen Verhaltensweisen erhoben, die man nicht schon durch vorhandene, deutlich sichtbare Kräfte erwartet. Eben da THOMAS selbst Mönch ist, der auf allen Besitz verzichtet hat, und innerhalb des Spielraums seiner Wirksamkeit eher eine zu große Gleichgültigkeit gegen Besitz und Reichtum sieht und erwartet, sucht er in seinem echt scholastischen Bestreben, die Lebensgüter abzustufen, das relative Recht des Reichtums hervorzuheben. Der Mönch zeigt immer gerne, er sei nicht "nur" Mönch, er könne auch das weltliche Leben voll verstehen und würdigen. Jene protestantischen Lehrer dagegen rechnen bereits mit dem starken Erwerbstrieb derer, an die sie sich wenden; sie stehen mitten im Leben und suchen eher zu bremsen als zu befeuern. Diese grundverschiedene Einstellung allein dürfte jene verschiedene Färbung veranlassen. Das größere "Interesse" und die größere "Sympathie" der Scholastiker mit dem jungen bürgerlichen Wirtschaftsleben ihrer Zeit gegenüber den Protestanten hat aber eine noch weit tiefere Wurzel als die eben genannte. Sie liegt in einem allgemeinen Wesenszug der katholischen und protestantische Auffassung von Religion und Moral, von Evangelium und Gesetz. Der katholische Moralist will bis auf den heutigen Tag das gesamte weltliche Leben bis ins konkreteste hinein unter religiös-sittliche Normen beugen, die im letzten Grund aus der lex divina [göttlichem Recht - wp] fließen und denen zu gehorchen ihm keine geringere Bedingung für Heil und Seligkeit ist als der Glaube an CHRISTUS, seine Gnade und Erlösung. Darin liegt zugleich der Anspruch der Kirche beschlossen, das gesamte Leben der Kultur einschließlich des Wirtschaftslebens sittlich und religiös zu leiten und nichts von der gesamten menschlichen Werktätigkeit als indifferent für die Erreichung der höchsten Lebensziele anzusehen. Indem der gesamte Protestantismus (hier einig) das "Gesetz", nicht nur die sogenannte Judicilia- und Ceremonialgesetze, sondern auch Sittengesetz und Dekalog [Zehn Gebote - wp] für "endlich" und "irdisch" erklärt und es nur um des "weltlichen Friedens willen" (LUTHER) als verpflichtend, nicht aber als religiös und zur Rechtfertigung und Seligkeit verbindlich ansieht, verzichtet er auch prinzipiell auf jede Art von sittlich-religiöser Leitung des Wirtschaftslebens. "Das Gesetz bleibe außer dem Himmel, d. i. es bleibe außerhalb des Herzens und Gewissens. Dagegen bleibe auch die Freiheit des Evangeliums außer der Welt, das ist außer dem Leib und seinen Gliedern." (LUTHER, Briefe an die Galater) Eine Stelle für zahllos viele! Dieser Unterschied ist aber unendlich wichtiger als die besonderen weit auseinandergehenden Meinungen und Gesinnngen, die einzelne Reformatoren und einzelne Scholastiker über den Sinn, den Wert und die Ziele der wirtschaftlichen Arbeit besaßen. Die protestantische dualistische Scheidung und Analogisierung der Gegensätze Leib - Geist, Gesetz - Evangelium, Welt - Himmel, Obrigkeit - CHRISTUS enthält mit dem prinzipiellen Verzicht auf eine organische Durchdringung der "Welt" mit dem "Göttlichen", der Heiligung und Vergeistigung auch der Leibes sphäre des Menschen, auch den weiteren Verzicht, in rigendeiner Form den Erwerbstrieb religiös-sittlich zu begrenzen. Darum das geringe "Interesse" der protestantischen Theologen und Sittenlehrer für das Wirtschaftsleben, darum (in den ersten Zeiten) das Fehlen einer ausgedehnten moralischen Kasuistik! Daß LUTHERs wirtschaftsethischer und -politischer Gesichtskreis ganz mittelalterlich handwerksgebunden ist, wogegen CALVIN seinen aktiven, regimentalen, organisierenden Willen von vornherein auf die großen Ziele des jungen Genfer, ja, des internationalen Kapitalismus wirft, und die neuerweckte moralische Energie der von Ewigkeit her "Auserwählten" und zur Herrschaft berufenen Gemeinde gerade in dieser Richtung entbindet, besagt gegenüber dieser großen Umordnung von Religion und Wirtschaft so wenig, wie die zarten Sympathien jener Scholastiker für den aufkeimenden Erwerbsgeist des Bürgertums. Auf die prinzipielle Emanzipation des Geistes des Wirtschaftslebens überhaupt von irgendwelcher Inspiration einer spirituellen religiös-sittlichen Autorität und aller priesterlichen Leitung - darauf kommt es als einer der ersten Vorbedingungen der Entstehung des neuen kapitalistischen Geistes an! Auch bei SOMBART finde ich einen Zug jener verführerischen F. BURCKHARD-NIETZSCHEschen Perspektive, die im Katholizismus vor und bis zur Renaissance eine sukzessiv sich steigernde Verweltlichung und Entchristlichung des europäischen Lebens sieht, die - sich selbst überlassen - zur Ausschaltung der christlichen Werte aus Europa geführt hätte; die aber durch den neuen protestantischen Supranaturalismus und die Idee der "Rückkehr" zu altchristlichen Verhältnissen "unterbrochen" worden sei. Der "Kapitalismus" erscheint dann natürlich als bloßes Glied dieser Verweltlichung. Diese Auffassung aber ist grundirrig. Sie übersieht vor den verweltlichten Zuständen der Außenseite des römisch-italienischen Klerus und dessen Ausstrahlungen - die im Grunde nur zur Geschichte Italiens gehören - die Festigkeit und Kontinuität des inneren Lebens der Kirche als Weltinstitut; sie übersieht das Vorhandensein der reformfähigen Kräfte gegen diese Mißstaände innerhalb der Kirche aus der durch AUGUSTIN, BERNHARD, FRANZISKUS beseelten Frömmigkeitsform heraus; und sie verkennt vor allem, daße die "Reformation" nur in der subjektiven Intention der sie leitenden religiösen Persönlichkeiten eine "Wiederherstllung" des Urchristentums war, daß sie aber faktisch - insbesondere in ihrer Ausbreitung und Machtgewinnung - von völlig anderen Kräften bewegt war und darum auch einen ganz neuen religiös-sittlichen Zustand Europas erzeugte. Obgleich die Reformation sich in großen religiösen Persönlichkeiten aussprach, ist sie - wie in ausgezeichneter Weise DILTHEY (8) zeigte, nicht aus autochthonen [alteingesessenen - wp] religiösen Erlebnissen geboren. Es gibt keines der dogmatischen Prinzipien des Protestantismus, das nicht im Rahmen der Kirche vor der Reformation ein Unterkommen gefunden hat und auch weiterhin gefunden hätte. Das Formalprinzip der unter dem Beistand des heiligen Geistes (sanctus spiritus internus) gelesenen Schrift als letzter und genügender Quelle christlicher Erkenntnis hatten bereits spätere Franziskaner wie DUNS SCOTUS aufgestellt; das Materialprinzip LUTHERs, die "Justificatio sola fide" [Rechtfertigung allein durch den Glauben - wp] war in der vorreformatorischen Kirche Deutschlands und Italiens weithin verbreitet, ohne daß die Kirche hieran Anstoß genommen hätte; selbst bei BERNARD von CLAIRVAUX und bei FRANZISKUS von ASSISI finden sich deutliche Spuren. Die Gnadenwahllehre war die Lehre des größten Kirchenvaters AUGUSTIN. Erst nach vollzogener Reformation und Kirchentrennung erhielten diese dogmatischen Sätze als Kennzeichen der Abgefallenen den scharf häretischen Charakter, den sie seitdem für die Katholiken besitzen. (9) Was die Reformation herbeiführte, waren vielmehr die vereinigten Mächte des europäischen Individualismus, wie er sich auch in der Renaissance und im Humanismus kundtat, des germanischen Geistes, der sich dem römischen Imperiumsgedanken, wie er in der Kirche fortlebte, nun völlig entwand und vor allem der Geist des gegen die aristokratisch-kontemplative Lebensform gewandten arbeitsdurstigen, die gemüts- und willensmäßigen Eigenschaften des Menschen als dessen "Wesen" erlebenden jungen Bürgertums - verbunden mit den partikularen, gegen die Einheit des Kaisertums gerichteten fürstlichen Gewalten. Das religiöse Erlebnis und seine dogmatische Formulierung, seine biblische und philosophische Rechtfertigung aber formten sich in den leitenden Personen unwillkürlich so, daß es diese dreifachen Emanzipationskräfte vor dem christlichen Gewissen auch als gerechtfertigt und die faktische Emanzipation als pflichtmäßig geboten erscheinen ließ. Und erst als mögliche Brechstangen gegen den kirchlichen Priester- und Kulturmechanismus, der nun wie ein teuflisches Netz der Absperrung der individuellen menschlichen Seele vor ihrem Gott erschien, erhielten auch die neuen dogmatischen Lehren ihre Bedeutung und ihre brennende Leidenschaft. Die Umgießung des kultischen Werkgeistes, als der praktischen Seite von Kontemplation und Anbetung in den weltlich-praktischen Werkgeist der Berufs- und Erwerbsarbeit - das ist der Kern allen Streits um die Bedeutung der "guten Werke". Und eben darum findet das Paradoxe statt, daß der gesteigerte Supranaturalismus der protestantischen Frömmigkeit, d. h. die restlose unvermittelte Hingabe der individuellen Seele an Gottes Gnade, die Leugnung des "freien Willens" usw., die Wucht der menschlichen Willensenergie gar nicht mehr nach "oben", sondern nach "unten" auf die grenzenlose Arbeit an der Materie spannen mußte, ja erst jene grenzenlosen Willensmächte zur Formung und Ordnung der Materie entwickelte, die im griechischen und katholischen Lehr- und Lebenssystem, in dem der Mensch im Universum wie im Himmel zunächst Reiche wohlgeordneter intelligibler Substanzen kontemplierte, ganz unmöglich und unnötig waren. (10) Es ist daher nicht richtig, wenn SOMBART meint, die "religiöse Vertiefung durch den Protestantismus" hätte wie jede solche Vertiefung eine Indifferenz gegen wirtschaftliche Dinge erzeugen müssen oder gar: "Es müsse der Kapitalismus umso mehr Anhänger finden, je mehr der Blick des Menschen auf die Freuden dieser Erde gerichtet sei." SOMBART übersieht hier, daß die genetische Abfolgeordnung in der Entstehung der Triebstruktur des kapitalistischen Menschen nicht war:
2. neuer und unbegrenzter Erwerbstrieb; 3. neuer und unbegrenzter Arbeitstrieb, Ohne diese Richtungsumkehr der Willensenergie, welche der Protestantismus hervorbrachte, dürften nun aber auch die einzelnen sittlichen Begriffe und Ermahnungen nicht voll zu verstehen sein, welche einerseits die kirchlichen Thomisten, die puritanischen und später methodistischen Prediger andererseits ihren Gläubigen erteilen. Die "rationelle systematische Selbstkontrolle" innerhalb des Calvinismus und Methodismus z. B., welche MAX WEBER treffend als so fruchtbar für die Erzeugung des kapitalistischen Unternehmungsgeistes hervorhebt, hat schon darum eine ganz andere Bedeutung als bei THOMAS, weil das Ziel der durch sie entbundenen Energie nicht mehr die sittlich-religiöse Heiligung und Beseeligung ist, sondern nur die "Bewährung" eines schon vorhandenen Gnadenstandes in der Arbeit und im Beruf. Aber auch abgesehen hiervon ist sie von jener grundverschiedn. Wie bei der katholisch-thomistischen Grundvorstellung des Verhältnisses von Leib und vernünftiger Seele - daß sie zusammen ein Wesen und nicht zwei Wesen ausmachen - nicht anders zu erwarten ist, fehlt hier mit dem neuen, auf dualistischen Vorstellungen gegründeten prinzipiellen Mißtrauen von Mensch zu Mensch und jener seelisch-religiösen Inselhaftigkeit jedes Individuums auch das prinzipielle Mißtrauen in die leibliche Trieborganisation, die im Puritanertum die "Vernunft" geradezu zu einem Spionage- und Polizeisystem gegen alle natürlichen Regungen machen mußte. (12) Der vom Geist der puritanischen englischen Revolution genährte THOMAS HOBBES spricht geradezu von den "Konspirationen der Triebe", welche die Vernunft auszuspionieren habe. Erst das auch in aller protestantischen Dogmatik aufs äußerste gesteigerte Mißtraue gegen den natürlichen Menschen (als "völlig verderbt" durch den Sündenfall) konnte mit der Beseitigung der thomistischen Vorstellung einer inneren Teleologie schon im natürlichen Triebleben, die die Vernunft nur zu den höchsten Zielen hinzuleiten hatte, die neue Aufgabe zu zeitigen, daß der Mensch kraft seines gnadengeborenen Willens seine hier als "ganz chaotisch" geltenden Triebbündet zu etwas überhaupt Sinnvollem erst künstlic zu gestalten habe. Die thomistische Selbstkontrolle ist - innerhalb des Weltlebens - eine gelegentliche; sie funktioniert von Fall zu Fall, da also, wo die innere Teleologie der Triebe aussetzt. Sie ist nicht "systematische", nach innen gewandte Askesis, mit dem Ziel, einen neuen künstlichen Menschen überhaupt erst hervorzubringen. Das in den puritanischen Ländern ausgebildete äußere Spionagesystem gegen Unzucht, Trunk, Laster, Luxus aller Art - ohn Beispiel in den katholischen Ländern - entspricht nur als Folge diesem neuen Erlebnisverhältnis von Vernunft und Trieb, das auch KANT - hierin seinen puritanischen Traditionen folgend - noch zur Grundlage seiner Ethik macht. (13) Nicht um eine "Wiederbelebung" thomistischer Grundsätze - wie SOMBART sagt -, sondern um ein ganz neues handelt es sich hier; auch wahrlich nicht um eine nur andere "dogmatische Begründung" desselben moralischen Verhaltens, sondern um eine grundverschiedene Selbststellung. Hier ist äußere Natur wie innere Natur (des Trieblebens) gleichsam ein durch den gnadengestählten Bewährungswillen erst zu ordnende Chaos, nicht ein selbstwertiges, selbst schon und in sich vernunft- und zweckbewegtes Ganzes. Der äußere Technizismus der Produktion in den angelsächsischen Ländern - wie ihn FRANCIS BACON zuerst programmatisch intendierte - steht in innigster Geisteskontinuität mit diesem inneren Technizismus der Triebregelung. Gewiß, die Namen Fleiß, Betriebsamkeit, Mäßigkeit, Sparsamkeit, Keuschheit sind dieselben wie in der Tugendlehre des THOMAS. Aber was damit gemeint ist, ist himmelweit verschieden; so verschieden wie die beiden Menschentypen und ihre geistigen Grundintentionen! Nach diesen Intentionen, nicht nach zufälligen Nebenwirkungen muß aber auch das kanonische Zinsverbot in seinem Verhältnis zum Kapitalismus verstanden werden. Zunächst ist hier weder der Inhalt des Verbotes, nocht seine Begründung, noch seine zweckgeleitete Interpretation durch THOMAS und seine Schule das wichtigste. Wichtiger als all das ist vielmehr der in ihm exemplifizierte Anspruch einer spirituellen Autorität, dem Wirtschaftsleben Gesetze vorzuschreiben; und die prinzipielle Beseitigung dieses Anspruchs - mit dem Kern des ius canonicum - durch den Protestantismus. Hiervon abgesehen ist es gewiß richtig, daß die Interpretationen des Verbotes durch THOMAS, noch mehr durch ANTONIUS von Florenz und BENARDUS von Siena, auf die SOMBART hinzuweisen das Verdienst hat, die fruchtbaren Kapitalanlagen - im Gegensatz zu Konsumkredit und Wucher - begünstigen. Daß die Genannten aber die Interpretation, das Verbot gelte nicht, "wenn der Geldgeber Gewinn und Verlust des Unternehmers mittragen wolle", also schließlich doch im Grunde "stiller Geschäftsteilhaber" sei - nicht aus den naheliegendsten Gründen, die ihnen ihr Begriff des "gerechten Tausches" (14) an die Hand gab, sollten gegeben haben, sondern daß sie damit den Zweck möglichster Beförderung des wirtschaftlichen Unternehmergeistes systematisch verfolgt hätten, dafür sehr ich keinen Beweis. Die Ausbildung des Kapitalbegriffs bei BERNARDUS von Siena, "Geld habe als Kapital nicht einfach den Charakter des Geldes oder einer Sache, sondern darüber hinaus eine schöpferische Eigenschaft, die wir eben Kapital nennen" (nach SOMBART, Seite 320), zeigt nur, daß BERNARDUS nicht konsequent war. Denn sonst hätte er folgern müssen, daß jeglicher Produktionskredit mit Zinsen als solcher "Kapital"kredit erlaubt sei, nicht nur jener, wo der Geldgeber auch am Verlust des Unternehmens voll teilnehme. Diese "Einschränkung" - wie SOMBART diese Hauptsache nennt - setzt doch den "Unternehmergeist", der nach SOMBART durch diese Interpretation im Geldempfänger gefördert werden soll, im Geldgeber auch bereits im gleichen Maße voraus; er führt für ANTONIUS zu dem Widerspruch, daß pures Kapital trotz seiner "schöpferischen Eigenschaft" keine Zinsen abwerfen dürfe. Gerade weil die Scholastiker - hier ganz einig mit den Vätern - jedes arbeitslose Einkommen prinzipiell verwerfen und gleichzeitig alle wirtschaftlichen Werte - wieder mit den Vätern - an "Arbeit" und "Kosten" gebunden (15) denken, zeigen sie, daß es ihnen nie und nirgends auf die Vergrößerung des Gesamtproduktes der Volkswirtschaft oder eine "Förderung des Wirtschaftslebens" ansich ankam, - die durch Erlaubnis fest verzinslischer Kapitalanlagen reicher Nobili bei tätigen Unternehmern doch weit größer gewesen wäre, - als darauf, daß alles Einkommen wahrhaft ver - dient (16) werde und daß die Arbeit wegen ihrer sittlichen Bedeutung nicht wegen ihres Nutzerfolges zu schätzen sei. Die ganz andere Frage, ob diese religiösen und kirchlichen Neuformen erst spontan aus sich heraus den kapitalistischen Geist erzeugt haben oder doch zu den primären Ursachen seines Ursprungs gehören (mehr behauptet auch WEBER nicht), möchte ich gleichwohl im Prinzip verneinen. Sehen wir von den ganz unvorhersehbaren leitenden Persönlichkeiten ab: Aufnahmefähigkeit und Verbreitung dieser Lehren waren zweifellos durch den eben zur Herrschaft gelangenden Vital typus des "Bourgeois" vorbereitet und bedingt. Nicht der Protestantismus - auch nicht der Calvinismus hat den Bourgeoisgeist "erzeugt", sondern der Bourgeoisgeist durchbrach im Calvinismus auch innerhalb der religiösen und kirchlichen Sphäre die Schranken, die ihm die katholische Kirche, die ihm auch THOMAS von AQUIN gesetzt hatten. Auch die SOMBARTschen Einwände gegen WEBERs These von der spezifischen Bedeutung des Calvinismus für die Bildung des kapitalistischen Geistes scheinen mir auf einem Mißverständnis psychologischer Art zu beruhen. WEBER ging, sehe ich recht, von der richtigen Einsicht aus, daß in der Bildung des kapitalistischen Geistes der Ursprung der Komponente eines grenzenlosen Arbeitenwollens und Erwerbenwollens gegenüber aller Weltfreudigkeit und allem Genußstreben, aber auch gegenüber allem Streben nach Besitz und Reichtum den genetischen und zeitlichen Vorrang besitzt. Das ist aber etwas völlig anderes als was SOMBART meint, wenn er von einem grenzenlos gewordenen "Erwerbstrieb" als der letzten psychischen Ursache der kapitalistischen Wirtschaft spricht (17). Nicht der "Erwerb" oder ein "grenzenloser Erwerb" (hinaus also über alle standesgemäße Bedarfsdeckung) ist nach WEBER das primäre Strebensziel der neuen Träger des kapitalistischen Geistes: Sondern das Erwerben des Erwerbs, sein Er-arbeiten selbst - unabhängig von der nur natürlichen Folge, nämlich der Besitz- und Reichtumsbildung - wird zum Inhalt einer dauernden Willenseinstellung. Das ist eine Welt des Unterschiedes! Der calvinistische Typus "will" nicht den Reichtum oder grenzenlosen Reichtum (geschweige gar seinen Genuß), sondern er "will" das Er-werben des Reichtums, das Ver-dienen des Reichtums. Diese Aktion des "Erwerbens", "Verdienens" selbst und ihre seelische Spannung, die sich gar nicht an der Größe des erworbenen Reichtums, sondern nur an der Größe seiner jeweiligen Steigerung oder des "Profits" durch den Akt des Er-werbens, mißt - und auch nur im durchschnittlichen Fall mißt -, wird der mit dem Charakter der "Pflichtgemäßheit" umkleidete primäre Willens inhalt des puritanischen Geschäftsmannes; sekundär und erst durch Gewöhnung an die Erfolge dieser Einstellung auf Er-werben, Ver-dienen selbst entsteht dann die "Profitgier" und erst tertiär aus der Gewöhnung an die faktische, gar nicht intendierte Summierung der Profite die Gier auch nach grenzenlosem Reichtum. Und das ist nun der eigentümliche Zusammenhang mit der Prädestinations- und Gnadenlehre CALVINs, daß, in dem jede Spur der Idee des "gerechten Verdienstes" aus dem Grundverhältnis von Gott und Mensch zugunsten der absoluten Macht-Souveränität des vor allem (alttestamentlich) als "Allmächtigen" erlebten Gottes völlig beseitigt ist, das bloße Verdienen als "Ver-dienen" selbst (d. h. durch Tat sich würdig zu etwas, z. B. auch des Besitzes, des "Erwerbes" erweisen) nun ausschließlich auf außersittlichen und außerreligiösen, materiellen Wertgebieten zur allein regierenden Zielidee des Lebens wird. Gleichzeitig wird es zur Idee in deren Verwirklichung der fruchtbare, die Seele des Frommen stetig bewegende Zweifel über Erwähltheit und Verdammtheit einerseits narkotisiert wird, andererseits aber die Erwähltheit selbst sich noch zur "Bewährung" (ohne letzte Evidenz) bringt (18) Wenn SOMBART Stellen als BUTLER und aus anderen calvinistischen Schriftstellern anführt, die Verachtung nicht nur des Genusses des Reichtums, sondern auch des Reichtums selbst predigen, so besagen diese Stellen gegen den narkotisierenden und "bewährenden" Wert des Ver-dienens und Er-arbeitens des Reichtums gar nichts. Wenn die Schotten ihre Prediger mit Schimpf und Schande zur selben Zeit aus dem Lande jagten, als ihre intensivste Zuwendung auf das Wirtschaftsinteresse beginnt, so ist das kein Beweis, daß nicht eben diese Wendung durch den Calvinismus organisch vorbereitet war. Sie gewannen nur jetzt an den Profiten und deren Summierung selbst Gefallen. Aber wie wäre dies möglich gewesen, wenn das calvinistische Ethos nicht zuerst auf die Aktion des Erwerbens und Verdienens als der intensivsten Machtäußerung Gottes auf die Welt durch und in seinen "Erwählten" die überschwengliche Prämie der "Bewährung" der Heilsgewißheit gesetzt hätte? Anders steht es mit der psychologischen Beurteilung der Herkunft des calvinistischen Frömmigkeitstypus. Das tiefe Ressentiment gegen das katholische Ideal der "Heiligkeit", die der Mensch in tiefer organischer Kooperation mit der göttlichen Gnade sich selbst in sittlicher Selbstgestaltung und Liebe erwirbt und ver-dient, und die von zentraler Seligkeit und Ruhe begleitete Heilsevidenz in der Liebes- und Gebets gemeinschaft mit Gott durch CHRISTUS und durch seine Kirche, wie sie das katholische Ideal einschließt, - befeuerten in der Tiefe das dunkle, stürmiche, heiße, machthungrige Wesen CALVINs. Aus der ersten Richtung der Bewegung dieses romanisch-imperialen Gemütes erwuchs ihm einmal die Wiederaufnahme und Modifikation der augustinischen Lehre von der Gnadenwahl und damit die prinzipielle Preisgabe allen menschlichen Strebens für das Ziel der Heilsgewinnung, gleichzeitig aber die ganz unaugustinische Abspannung und Hinspannung aller früher auf dieses Ziel hingerichteten menschlichen Energien auf die rastlose materielle Welt arbeit. Nachdem der Heils- und Heiligungsprozeß zwischen Mensch und Gott durch diesen absolut unbegreiflichen Gewaltakt eines Gottes, der nur als souveräne "Macht" (19) gesehen ist, ein für alle Mal von Ewigkeit her beendet und jeder inneren Geschichtlichkeit beraubt war, mußten sich die höchsten und stärksten Energien des Menschen, die sich früher im Prozeß der Heilsgewinnung selbst betätigt hatten, ganz auf die Bearbeitung und Formung der Materie lenken und gleichsam in endlose Arbeit an ihr ausbrechen. So steht dem Ressentiment auf den "Seigneur" und die "Signori" (dem "homme ouvert" [der offene Mensch - wp] des praktischen Lebens), wie es bei ALBERTI so deutlich auftrat, sowohl bei CALVIN als in vermindertem Maß bei LUTHER das Ressentiment auf den "Heiligen"' der katholischen Auffassung (den "homme ouvert" innerhalb des Religiösen) zur Seite. Beide Ressentimentsformen sind emotionale Wurzeln der Welteinstellung des frühkapitalistischen Menschen. Die zweite Grundbewegung aber des calvinistischen Typus und die Quelle des rastlosen Arbeiten- und Geldverdienenwollens ist der ewig bohrende unselige Zweifel des Individuums, ob es wohl zum Himmel auserwählt oder zur Hölle verworfen sei. Denn nun wird jene endlose Weltarbeit die einzige Form der narkotisierenden Hinwegsetzung über die nach CALVIN auch für den Erwählten fehlende echte unmittelbare Heilsevidenz. Nur in dem die immer bloß hypothetische Annahme der Auserwähltheit "bewährenden" Spannungs erlebnis - das die Aktion der Weltbearbeitung begleitet, ist nun ein Surrogat für die im Kern der Existenz fehlende Heilsevidenz, d. h. für die metaphysische innere Leere, gegeben (20). Das ist hier ausschlaggebend: die religiös-metaphysische Verzweiflung des modernen Menschen ist überall Wurzel und Beginn des sich nach außen ergießenden endlosen Tätigkeitsdrangs. Schon BLAISE PASCAL kannte (siehe Pensées) diesen Typus genau, der sich durch eine innere metaphysische Unsicherheit in den Strom äußerer Geschäfte stürzt und der im calvinischen Typus seine reinste Ausprängung findet (21). Die seelischen Mächte der religiös-metaphysischen Verzweiflung, eines sich steigernden Welt- und Kulturhasses, eines prinzipiellen Mißtrauens von Mensch zu Mensch (siehe die Belege bei MAX WEBER), das alle Gemeinschaft zugunsten lauter "einsamer Seelen und ihres Gottes" zersetzt, und schließlich alle menschlichen Verbindungen auf solche von äußerem Rechtsvertrag und Nutzinteresse zurückleitet, sind die im Calvinismus gesetzten Wurzeln des kapitalistischen Geistes. Daß im Laufe der historischen Entwicklung die christlich-kirchliche Symbolisierung und Scheinrechtfertigung der neuen seelisch-geistigen Mächte des neuen Menschentypus zurücktrat und daß sich in jener Weltanschauung und "Erlebnisstruktur", die WILHELM DILTHEY in seinem Aufsatz "Das natürliche System der Geisteswissenschaften im 17. Jahrhundert" alle Zweige der Kultur und des Wissens durchwaltend, so trefflich aufwies, der Geist des neuen Bürgertums immer deutlicher und offener aussprach und immer mehr die früher gewählten religiösen und dogmatischen Masken ablegte, in die er sich bei seinem Ursprung gehüllt, - das ist nur daraus begreiflich, daß eben derselbe "Geist" schon hinter den Reformatoren und ihrem Anhang als der eigentliche Dampf aller religiösen Neuerungen getrieben hatte. Bei all seiner Sympathie zum "Natürlichen System" - die wir nicht teilen - gesteht schließlich auch WILHELM DILTHEY: "Innerhalb des wirtschaftlichen Gebietes hat das natürliche System die furchtbare Konsequenz des Kapitalismus hervorgebracht. Das bewegliche Kapital ist innerhalb der modernen Rechtsordnung ganz so wie einst innerhalb der Ordnung des römischen Imperiums unbegrenzt in seiner Macht. Es kann fallen lassen, was es will, und ergreifen, was es will. Es gleicht einer Bestie mit tausend Augen und Fangarmen und ohne Gewissen, welche sich wenden kann wohin sie will". (Werke II, Seite 245). ![]()
1) Eine Fülle des Beachtenswerten findet sich auch für die hier behandelte Frage bei ERNST TROELTSCH, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, Tübingen 1912, 2. Hälfte. Da ich das großangelegte Werk erst nach dem Druck dieses Aufsatzes las, konnte das dort Ausgeführte hier nicht mehr berücksichtigt werden. 2) Eine neue vorzügliche Darstellung der Ethik des hl. THOMAS gibt WAGNER in seiner Schrift "Das Naturgesetz nach der Lehre des Thomas von Aquin". 3) So beruhen nach PLATON die Stände darauf, daß die Seelen der Menschen in ihrer Präexistenz die Ideenwelt in verschiedener Art und Adäquation geschaut haben; so wurden - nach PLATON - die Einen je nach der Fülle, die sie schauten, Weise, Könige, Soldaten, Gewerbetreibende. ARISTOTELES aber lehrt, daß es von "Natur aus" Herren und Sklaven gäbe, daß dieser Unterschied aber keineswegs mit dem positiv rechtlichen zusammenfalle. Ein positiv rechtlicher "Sklave" kann z. B. sehr wohl ein "natürlicher" Herr sein. 4) Der thomistische Intellektualismus, dem die höhere und natürlichere Einstellung des Menschen zur Welt die kontemplative ist, empfindet genau wie das antike Sprachgefühl neg-otium-Geschäft nur als Negation des otium = Muße. 5) Das heißt daran, daß sich in beiden Verhaltensweisen ein und dieselb "Ausgabetendenz" kundtue. 6) Die sittlich wertvolle evangelische "Armut" ist nicht ein Besitzen und Haben von Gütern vom Wert 0, sondern ein Nicht besitzen und Nicht haben; sie betrifft das geistige Verhältnis zum Besitz, nicht Besitz in seinem objektiv rechtlichen Sinn. Darum: "Die Welt besitzen, als besäße man sie nicht!" 7) Vgl. meine eingehende Ausführung über das Wesen der sittlichen "Normen" im 2. Teil des Buches: "Der ethische Formalismus und die materiale Wertethik", Leipzig 1914 8) Siehe den Abschnitt "Das Wesen der reformatorischen Religiosität" a. a. O. 9) So daß in manchen Jesuitenniederlassungen z. B. selbst die Lektüre AUGUSTINs verboten war. 10) Treffend hebt WILHELM DILTHEY a. a. O. die Wichtigkeit des Satzes aus MELANCHTHONs Dogmatik hervor: "Denn CHRISTUS erkennen, heißt seine Wohltaten erkennen, nicht über seine beiden Naturen oder den Hergang der Menschwerdung spekulieren." 11) Darum stehen die Formen des künstlerischen Renaissance-Pantheismus, wie sie WILHELM DILTHEY in seinem Aufsatz "Der entwicklungsgeschichtliche Pantheismus" (Werke II) so feinsinnig beschrieben hat, der Entfaltung des kapitalistischen Geistes so völlig fern. 12) Vgl. meine Analyse des englischen cant in meinem Buch über den Krieg. 13) Vgl. meine Kritik dieser Lehre KANTs im 1. Teil des Buches "Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik". 14) Den schon ARISTOTELES besitzt. 15) Die sogenannte "Kostentheorie" des wirtschaftlichen Wertes findet sich bereits bei den Vätern. 16) Man beachte die Bedeutungsverschiebung im Wort "verdienen" von = würdig werden eines Vorteils und = "erlangen dieses Vorteils" 17) So schon in "Der moderne Kapitalismus", Leipzig 1902 18) Eine letzte Evidenz der Erwähltheit gibt es nach CALVIN auch für den Erwählten selbst nicht. 19) Nicht zuvörderst als dem Prinzip der Gerechtigkeit überhobene unendliche Liebe wie in der innerlich ganz anders gearteten Augustinischen Lehre von der Gnadenwahl. 20) Über das Verhältnis dieser "Leere" zum englischen cant vgl. meine Analyse des cant. 21) Siehe BLAISE PASCALs "Pensées". |