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Über logische und ästhetische Allgemeingültigkeit [1/3]
Einleitung Das Interesse der Arbeit hängt an der logischen Klärung der behandelten Begriffe; nur insoweit als die Ästhetik in naher Beziehung zur Erkenntnistheorie steht, dringen wir in ihr Gebiet. Die Art dieser Beziehung festzustellen, soll eines der Hauptergebnisse unserer Untersuchung sein. Ehe wir in diese eintreten, wollen wir noch im Grundriß den Gang der im Folgenden ausgeführten Gedanken angeben. In einem ersten Teil werden wir die Grundbegriffe der logischen und ästhetischen Allgemeingültigkeit entwickeln; wir stellen nicht eine Definition an den Anfang, da nach KANT "in der Philosophie die Definition als abgemessene Deutlichkeit das Werk eher schließen als anfangen müsse"; vielmehr beginnen wir gänzlich "voraussetzungslos" und suchen das Problem der logischen Allgemeingültigkeit selbst erst einwandfrei zu fassen (I, § 1). Wir stoßen dabei auf die über Wesen und Aufgabe der Logik heute herrschenden Streitigkeiten und werden über sie eine Entscheidung dahin treffen, daß wir das Recht einer (richtig verstanden) "normativen" Disziplin gegenüber der von HUSSERL proponierten [vorgeschlagenen - wp] reinen Logik wahren, jedoch eine Vertiefung der ihr von SIGWART verliehenen Form im Interesse der Erkenntnistheorie als notwendig anerkennen (§ 2). Beim Versuch, dieser Forderung zu genügen, begegnet uns als Hauptschwierigkeit die klare begriffliche Trennung des psychisch Wirklichen und des logisch Gültigen; eine Prüfung der durch HUSSERL zu diesem Zweck festgestellten Unterscheidungen ergibt die Unmöglichkeit, diese aufrecht zu erhalten, als negatives Resultat, als positives aber die Einsicht, daß der Übergang vom subjektiven Denken zum objektiven Begriff und Urteil nur durch den Sinn der Bejahung gefunden werden kann, der sich in der Anerkennung eines Sollens kundgibt. Gleichzeitig gelangt das Verhältnis des logisch Allgemeinen zum logisch Besonderen zu einer ersten vorläufigen Klärung; das in der Geschichte der Logik bisher stets zu kurz gekommene Moment des Individuellen tritt uns, hinsichtlich seiner Stellung zur Objektivität, als dem Allgemeinen gleichberechtigt entgegen (§ 3). Erst damit ist der Gegensatz von Psychologie und Logik eindeutig erkannt und die gemeinsame Grundlage für alle weitere philosophische Forschung, der Boden für eine vorurteilslose Behandlung der verschiedenen Wissens- und Wertgebiete geschaffen. So haben wir die Möglichkeit gewonnen, uns über die Methode der Philosophie kurz zu orientieren (§ 4). Daran schließt sich eine Zusammenfassung der gefundenen Ergebnisse (§ 5). Die Untersuchung geht darauf in das Gebiet des Ästhetischen über, und sucht dort durch einige fundamentale Überlegungen die den logischen analogen Probleme in gleichsinniger Weise zu lösen: die rein psychologische Behandlung erweist sich hier als ebenso unzureichend; der Gedanke einer "idealgesetzlichen" Ästhetik aber als ebenso unberechtigte Überspannung anti-psychologistischer Tendenzen wie der einer reinen Logik dort (§ 6). Nachdem wir im ersten Teil unsere Grundansicht vom Wesen der Allgemeingültigkeit allseitig beleuchtet und vor Angriffen sicher gestellt haben, können wir nunmehr in einem zweiten Teil auf dem geschaffenen Fundament zur Lösung unserer Hauptfrage schreiten, wie sich die logische zur ästhetischen Allgemeingültigkeit verhält. Da der Zweck unserer Untersuchung darin gipfelt, die von KANT in der Kritik des Urteils formulierten Eigentümlichkeiten des ästhetischen Urteils, vor allem die darin zum Ausdruck gelangenden Beziehungen von logischer und ästhetischer Allgemeingültigkeit aufgrund unserer im ersten Teil gefundenen Ergebnisse zu prüfen und KANTs Bestimmungen umzugestalten, so müssen wir fürs Erste unsere Begriffe an denen der Kritik der reinen Vernunft messen und die Unterschiede deutlich werden lassen. Dieser Aufgabe ist Abschnitt I gewidmet. Wir beginnen mit einer Auseinandersetzung über das von KANT ausgebildete Gegensatzpaar: Subjektiv-Objektiv, das wir nicht ohne Einschränkung und Umbildung aufnehmen können (§ 1). Die innige Verknüpfung von strenger Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit müssen wir als historisch bedingt erkennen und zugleich mit dem durch sie geforderten "Wissenschafts"begriff aufgeben (§ 2). Das Wichtigste aber bleibt, die Struktur der transzendentalen Deduktion zu verstehen und sie von fremden Elementen frei zu halten; wir sehen ihr Wesen in der teleologischen Begründung der kategorialen Erkenntnis; den in sie hineinspielenden Gedanken eines "transzendentalen Syllogismus" dagegen, der die Notwendigkeit der synthetischen Sätze a priori zum Mittelpunkt macht, sie als logische Bedingungen, d. h. Obersätze allen Erkennens und gleichzeitig als allgemeinste Naturgesetze proklamiert, müssen wir als Irrweg ablehnen. Die Notwendigkeit der Erkenntnis läßt sich nicht durch Subsumtion des Besonderen unter das Allgemeine erweisen, so wie die Notwendigkeit des naturgesetzlichen Seins und Geschehens. Auch die von HUSSERL unternommene Ausgestaltung des Gedankens einer syllogistischen Begründung kann zu keinem Ziel führen (§ 3). Vielmehr hat die Deduktion sich an den die individuelle Wirklichkeit meinenden Urteilen zu orientieren, und deren transzendentaeln Formgehalt als teleologisch notwendig zu erweisen (§ 4). Abschnitt II endlich führt uns der Erledigung unseres Problems entgegen. Mit dem klaren Bewußtsein davon, welche Elemente des kantischen Denkens dem unsrigen adäquat, welche ihm fremd sind, treten wir nunmehr ins Gebiet des Ästhetischen und suchen hier zunächst in die kantischen Bestimmungen des Wesens der ästhetischen Allgemeingültigkeit von unserem Standpunkt aus einzudringen. Als wichtigstes Resultat stellt sich dabei heraus, daß die Deduktion des ästhetischen Urteils bei KANT durchaus vom Prinzip des transzendentalen Syllogismus beherrscht wird, und daß eben deshalb die Eigentümlichkeiten der ästhetischen Allgemeingültigkeit in einer wenig durchsichtigen Form auftreten. Das ästhetische Urteil ist begrifflich nicht deduzierbar und besitzt doch nach KANT Apriorität und Allgemeingültigkeit. Diese Schwierigkeiten sucht KANTs syllogistische Begründung zu überwinden. Dabei treten die Begriffe "subjektive Allgemeinheit" und "subjektive Notwendigkeit" hervor, mit denen die Eigenart der ästhetischen und der logisch-empirischen Allgemeingültigkeit gekennzeichnet werden soll. § 5 versucht, diesen Gedanken KANTs gerecht zu werden, hält aber gleichzeitig mit der Kritik, die durch unsere philosophische Grundauffassung gefordert wird, nicht zurück. Ebenso negativ fällt die Prüfung der begrifflichen Verknüpfung der Zweckmäßigkeit mit dem Gefühl der Lust aus (§ 6). Nach diesen Vorarbeiten ist die Bahn frei, das ästhetische Urteil selbständig zu machen und zu einem unbefangenen Verständnis seiner Allgemeingültigkeit zu gelangen (§ 7). Durch die neue Formung der Begriffe entstehen jedoch neue Schwierigkeiten, es fragt sich, wie weit die errungene Gleichstellung der logischen und ästhetischen Allgemeingültigkeit reicht, und inwieweit sich neue Differenzen zwischen beiden ergeben; dabei erscheinen die von KANT gefundenen Unterscheidungen teilweise wieder, transponiert auf eine andere Ebene (§ 8). § 1. Entwicklung des Problems Noch immer ist auf dem Feld philosophischer Überzeugungen der Kampf zwischen psychologischer und erkenntnistheoretischer Lösung der Probleme nicht beigelegt. Aber schon ist es nicht mehr zweifelhaft, wohin der endgültige Sieg sich neigen wird: die Phalanx der Psychologisten beginnt sich zu lichten, und teils treten aus ihren Reihen Forscher mit dem Bekenntnis früheren Irrtums auf die Seite der Gegner, teils sublimiert sich die psychologistische Denkweise zu einer Auffassung, die einer Lostrennung von ihr im Prinzip gleichkommt und nur den Namen der Psychologie noch in alter Anhänglichkeit für sich bewahrt. Aber so deutlich es auch geworden ist, wo die Schwäche und Einseitigkeit des Psychologismus liegt, so unklar und schwierig erscheint die Frage einer anderen Methode, und auf einem neuen Niveau wiederholen sich die alten Streitigkeiten um die Grenzscheidung zwischen Psychologie und Logik. Bei der grundlegenden Bedeutung dieser Frage aber für alle weitere philosophische Forschung werden auch wir an ihr nicht achtlos vorübergehen dürfen. Sie gewinnt obendrein für uns noch eine erhöhte Wichtigkeit dadurch, daß wir den Zusammenhang logischer und ästhetischer Probleme aufdecken wollen, die Ästhetik aber auch heute noch eine vorwiegend psychologische Behandlung zu erfahren pflegt, während ihre, unseres Erachtens nach nur transzendental-philosophisch zu lösenden Prinzipienfragen meist überhaupt nicht in Angriff genommen werden. Es liegt auf der Hand, daß die Schwierigkeiten in der Abgrenzung einer philosophisch-ästhetischen von einer psychologisch-ästhetischen Disziplin noch größer sind als die auf theoretischem Gebeit; die Methode droht hier im Hinblick auf den nicht-erkenntnismäßigen Charakter des ästhetischen Erlebens einerseits, auf den notwendigen Anschluß an erkenntnistheoretische Begriffe andererseits eine wenig durchsichtige Struktur zu gewinnen. Im folgenden wollen wir versuchen, in die über diese Probleme gebreitete Dunkelheit zumindest einiges Licht hineinzutragen. Werfen wir zunächst einen Blick auf den Streit um die Prinzipienfragen der Logik und Erkenntnistheorie, zu denen der Begriff der logischen Allgemeingültigkeit, seine Bedeutung und Tragweite vornehmlich gehört. Zwei fundamentale Gründe sind es, die eine Einigung auf diesem Gebiet so sehr erschweren. Der eine liegt im Wesen philosophischer Untersuchungen überhaupt: in der Notwendigkeit, an einem bestimmten Ausgangspunkt anzufangen und dennoch ohne Voraussetzungen irgendwelcher Art; der andere im Wesen wissenschaftlicher Arbeit überhaupt: in der Notwendigkeit, einen bestimmten immanenten Zweck bei der Begriffsbildung walten zu lassen. Dieser Zweck bildet natürlich in gewissem Sinn eine Voraussetzung und fügt so zum ersten Moment der Notwendigkeit eines bestimmten Anfangs, der "als ein Unmittelbares eine Voraussetzung macht oder vielmehr selbst eine solche ist" (1), noch ein weiteres hinzu, um die Voraussetzungslosigkeit des Denkens einzuschränken. Wo auch immer im Denken wir unseren Standort wählen, wie auch immer wir unser Ziel fixieren, wir werden nicht umhin können, da wie dort gewisse "imponderable" [unwägbare - wp] Gedanken einzuführen, die mitten im strittigen Gebiet dann ihre anfangs unscheinbare Bedeutung zu einem machtvollen Faktor werden lassen. Diese Gedanken selbst voll ins Bewußtsein zu heben, also gewisse Voraussetzungen unverhüllt anzuerkennen, gehört daher zu den Gewissenspflichten des philosophischen Forschers. Philosophie ist uns die wissenschaftliche Begründung einer Weltanschauung, also in erster Linie die Beantwortung der Frage, welcher Sinn in unserem erkennenden Denken liegt, und welches die Wirklichkeit ist, die wir zu erkennen vermögen; weiter die Beantwortung der Fragen, ob in anderen Richtungen des Bewußtseins sich Werte auffinden lassen, die ähnlich denen des erkennenden Denkens eine über den Einzelnen hinausragende Bedeutung besitzen, und in welcher Beziehung diese Werte zur Wirklichkeit stehen. Wo aber werden wir unseren Standort zu wählen haben, um uns einer Lösung dieser Fragen zu nähern? Wir können ihn nur in unserem Denken selbst wählen, nicht außerhalb desselben; was dieses Denken "ist", was wir mit ihm "wollen", darüber kann und keine fertige Wissenschaft Auskunft geben, vielmehr müssen wir uns darauf besinnen. Die Reflexion oder Selbstbesinnung ist also die vornehmste Methode der Philosophie. Nirgends im Denken halt zu machen, als wo wir unsere Begriffe nicht klarer, nicht tiefer mehr zu bestimmen vermögen, das ist ihr Leitspruch. Allein der Standpunk im Denken ist nicht so eindeutig bestimmbar, wie es scheint; dies zeigt sich schon bei der Beantwortung der ersten und nächstliegenden Frage: wie unterscheidet sich Denken von richtig Denken, und worin liegt der eigentliche Sinn dieses letzteren? Um die psychologistische Ausdeutung des richtigen Denkens, danach "die Regeln, nach denen man verfahren muß, um richtig zu denken, nichts anderes als Regeln (seien), nach denen man verfahren muß, um so zu denken, wie es die Eigenart des Denkens, seine besondere Gesetzmäßigkeit verlangt" (2) - um diese Ausdeutung zurückzuweisen, hat man eingeworfen: wäre die natürliche Gesetzmäßigkeit des Denkens gleichzusetzen dem logischen Begriff des richtigen Denkens, dann wäre der Irrtum unerklärlich. Die Logik lehre nicht, wie naturgesetzlich gedacht würde, sondern wie gedacht werden soll. Freilich könnten diese Normen nicht anders erkannt werden "als auf Grundlage des Studiums der natürlichen Kräfte und Funktionsformen, welche durch jene Normen geregelt werden soll" (3). In diesem Sinne setzt SIGWART die Logik als "Ethik des Denkens", der Psychologie als der "Physik des Denkens" gegenüber und bestimmt sie ihrem eigentlichen Wesen nach als Kunstlehre. Richtiges Denken aber ist ihm soviel wie notwendiges und allgemeingültiges Denken; "wenn wir mit dem Zweck der Erkenntnis denken, so wollen wir unmittelbar nur notwendiges und allgemeingültiges Denken vollziehen. Dieser Begriff ist auch derjenige, der das Wesen der "Wahrheit" erschöpft". (4) Durch diese Ausführung scheint eine klare Linie zwischen Logik und Psychologie gezogen, welche die Gebiete beider reinlich scheidet. Eine nähere Erörterung aber wird zeigen, daß wir auch hiermit noch nicht dem Denken gegenüber den richtigen "Standort" gefunden haben. HUSSERL hat in seiner Streit- und Programmschrift "Prolegomena zur reinen Logik" (5) auch die SIGWARTsche Logik der Ketzerei des Psychologismus beschuldigt und ihr den Fehdehandschuh hingeworfen. Seine Gedanken nehmen etwa folgenden Lauf: Es ist unzutreffend, die Logik als normative Wissenschaft oder Kunstlehre zu betrachten, zumindest ist damit nicht ihr wesentlicher Charakter getroffen. Dieser liegt vielmehr in ihrer Eigenschaft, ein System rein logischer Sätze und Theorien zu sein. Dieses System aber hat der normativen Logik gegenüber die Prävalenz [Vorherrschaft - wp], denn letztere kann nicht bestehen, ohne die Gültigkeit allgemeiner Wahrheiten schon vorauszusetzen. "Der Gegensatz von Naturgesetz als empirisch begründete Regel eines tatsächlichen Seins und Geschehens ist nicht das Normalgesetz als Vorschrift, sondern das Idealgesetz im Sinne einer rein in den Begriffen gründenden und daher nicht empirischen Gesetzlichkeit." Diese theoretischen Gesetze sind "zur Regelung der Erkenntnis prädestiniert", sie sind aber nicht "normative Gesetze, die selbst und wesentlich den Charakter von Vorschriften haben" (6). Wer wollte angeben, auf welche Weise sich unser Denken dem idealen annähert, ohne im Besitz "derjenigen Wahrheiten zu sein, die den eigentlichen Bestand der in idealer, d. h. richtiger Weise vollzogenen Urteile ausmachen." Die Wahrheit selbst aber ist ihrem Begriff nach völlig loszuläsen von ihrer möglichen Realisierung im Denken, es ist verkehrt, die logische Bedeutung der Evidenz "in den psychischen Charakter von einer Art, die sich an jedes beliebige Urteil einer gewissen Klasse, nämlich der sogenannten wahren Urteile einfach anheften ließe" (7), hineinzuinterpretieren. Die Wahrheit "ist eine Idee ..., es hat keinen Sinn ihr eine Stelle in der Zeit anzuweisen ..., sie ist Erlebnis in dem Sinne, in dem ein Allgemeines, eine Idee ein Erlebnis ist". (8) Nach SIGWART z. B. wäre die Gravitationsformel, ehe NEWTON sie dachte, "genau besehen eigentlich widerspruchsvoll und überhaupt falsch" gewesen. Ehe wir auf eine Kritik der Ansichten HUSSERLs eingehen, wollen wir ihr Recht gegenüber denen SIGWARTs hervorheben. Wird die Logik als eine "technische" Anweisung zum "richtig Denken" aufgefaßt, die logischen Normen gewissermaßen als pädagogische Maßregel gedeutet, etwa: wenn dur richtig denken willst, so darfst du nich ein und dasselbe Urteil sowohl bejahen wie auch verneinen, so wird allerdings der Sinn logischer "Gesetze" durch diese Formulierung nicht getroffen; vielmehr fordert eine solche Regel zu der ergänzenden Begründung heraus: weil nämlich der Satz gilt: ein affirmatives Urteil U und ein negatives Urteil non-U können nicht zusammen wahr sein. So werden wir auch zugestehen müssen, daß der Sinn der Wahrheit eines Satzes nicht auf das bloße Gedachtwerden desselben eingeschränkt werden kann. In SIGWARTs Entgegnung (9) auf die Angriffe der "Prolegomena" HUSSERLs finden wir in diesem Punkt auch ein verhülltes Zugeständnis. SIGWART sagt dort: "Ein ungeborener Mensch ist weder krank noch gesund; die Gravitationsformel galt nicht eher für wahr, als bis sie gedacht wurde; jetzt gilt sie natürlich kraft ihres Inhaltes auch für die Vergangenheit." Nehmen wir diesen letzten Satz beim Wort, so läßt er sich mit SIGWARTs sonstigen Ansichten nicht gut vereinen. Nicht mehr das Gedachtwerden, sondern der Inhalt scheint ihm jetzt den Wahrheitsgehalt der Formel zu bergen. Damit sind wir aber unmittelbar an HUSSERL ausgeliefert. Denn dies eben ist HUSSERLs Meinung, die Geltung der Gravitationsformel sei gegründet in einer gewissen einsichtig erkannten theoretischen Notwendigkeit ihres Inhalts. So sehen wir, daß die Bestimmungen SIGWARTs sich keinesfalls halten lassen, weil sie zu stark das empirische Denken und die in ihm sich verwirklichende Wahrheit betonen, zu wenig Gewicht auf den von allem psychischen Sein und dessen Gesetzlichkeit oder Normierung sich abscheidenden Sinn wahrer Urteile legen. Wir werden aber andererseits den Gedanken SIGWARTs ihre Bedeutung für die Richtigstellung der hier liegenden Probleme nicht abstreiten, vielmehr im folgenden zeigen, daß sie auf dem Weg zur Wahrheit liegen, daß ihnen nur die erkenntnistheoretische Vertiefung fehlt. HUSSERLs "reiner Logik" dagegen haftet zu deutlich ihre Entstehung aus der Opposition gegen allen Psychologismus an; diese hat ihn über das Ziel hinausschießen lassen. Die Betonung des unrealen, rein bedeutungsmäßigen Wesens logischer Urteile, ihrer Wahrheit, ihrer Gesetzmäßigkeit hat ihn dazu geführt, die eigentümliche Natur des logischen Geltens in einem idealen Sein aufzufinden. Der Gefahr, die so entsteht, den Faden zwischen der Sphäre der Begriffe und Urteile, d. h. der logischen Gültigkeit und der Wirklichkeit des empirischen Denkens gänzlich abreißen zu lassen, hat er auf andere Weise zu entgehen versucht; wir werden darauf noch im folgenden zu sprechen kommen. Zunächst wollen wir die Polemik HUSSERLs gegen die Logik als normative Wissenschaft und damit gegen die Lehre, daß die Wahrheit und alle anderen logischen Begriffe ihren Sinn erst durch die Beziehung auf einen Wert gewinnen, in die gebührenden Schranken zurückweisen. Wenn wir nämlich auch zugegeben haben, daß sich die logischen Sätze ihrer Bedeutung nach nicht in der Funktion technischer Denkregeln erschöpfen, so werden wir doch ihren Sinn nicht in "theoretischen" Sätzen über ein, wenn auch ideales, Sein, sondern in Imperativen erblicken müssen; die Wahrheit wird sich uns ihrem Wesen nach nicht als "Idee", sondern als "Wert" darstellen. HUSSERLs Ansicht nämlich, daß jede normative Disziplin auf einer oder mehreren "theoretischen" Disziplinen ruht, werden wir prinzipiell zurückweisen müssen. Betrachten wir den in dieser Hinsicht besonders interessanten § 14 seiner "Prolegomena". HUSSERL verallgemeinert hier die Frage nach der Bedeutung des logischen Grundwertes auf die Prinzipien von Werthaltungen überhaupt. Er argumentiert folgendermaßen: Ein Satz, der aussagt, wie etwas sein soll, vorausgesetzt, daß diese Forderung nicht in einem individuellen Wunsch ihre Quelle hat, kann nichts anderes meinen, als daß die Erfüllung einer bestimmten Werthaltung entspricht. Diese Werthaltung entscheidet im einzelnen Fall, was sein oder geschehen soll. "Ein Krieger soll tapfer sein, d. h. ein tapferer Krieger ist ein guter Krieger. Weil dieses Werturteil gilt, hat nun jedermann Recht, der von einem Krieger fordert, daß er tapfer ist." (10) Gründet sich in der Tat der Imperativ: "ein Krieger soll tapfer sein" auf den theoretischen Satz: "ein tapferer Krieger ist ein guter Krieger? HUSSERL stellt die Werthaltungen des Nützlichen, Schönen, Sittlichen in dieser Beziehung in eine Reihe. Macht es aber nicht gerade die von KANT festgestellte Eigentümlichkeit der philosophischen Werte aus, autonom zu sein, d. h. ist hier nicht die Norm identisch mit der "Werthaltung" selbst? Der Satz etwa: wenn du gut reiten willst, sollst du dieses und jenes tun, stützt sich allerdings auf ein theoretisches Wissen davon, was "gut reiten" bedeutet, etwa: das Pferd zu beherrschen, festzusitzen usw. Dagegen bedeutet die Realisierung philosophischer Werte nichts anderes als das Sollen um des Sollens willen: in ihren Werturteilen stellt das Wertprädikat keine explizite zu entwickelnde Größe dar, sondern ist der reine Ausdruck des Sollens. Fassen wir den Satz: "der Krieger soll tapfer sein" unmittelbar als ethischen Imperativ, so dürfen wir ihm nicht den Gedanken unterlegen: "es liegt im Begriff des guten Kriegers tapfer zu sein, deshalb gilt der normative Satz"; das hieße auf sokratische Weise Moralphilosophie treiben, darin läge eine einseitige Intellektualisierung des Wertbegriffs. Vielmehr ist es ein kategorischer Befehl, der den Krieger heißt, tapfer zu sein, eine seinem Pflichtbewußtsein entnommene Aufforderung, deren getreuliche Erfüllung das Wertprädikat "gut" nach sich zieht. Sollte es mit dem Streit um die normative Logik nicht ein ähnliches Bewenden haben? Freilich soll das gedacht werden, was wahr ist. Theoretische Sätze, die oberste Wahrheiten aussagen, geben so den Leitfaden für eine Kunstlehre des Denkens ab. Jene Wahrheiten selbst aber - sind sie nicht ihrerseits wieder nur der Ausdruck dessen, was gedacht werden soll? Auch die Werthaltung des Wahren kann ja nicht nach einem Außerhalb suchen, an dem sich demonstrieren läßt, was wahr denken heißt, so wie sich demonstrieren läßt, was gut reiten bedeutet. Auch das Wahre trägt den Stempel des philosophischen Werturteils an sich und läßt sich nicht anders definieren, als daß es dasjenige ist, was gedacht werden soll, nur weil es gedacht werden soll. Diese Lehre wird durch HUSSERLs Angriffe nicht getroffen. Übrigens macht HUSSERL an einigen Stellen selbst den Unterschied der "rein logischen Normen und der technischen Regeln einer spezifisch humanen Denkkunst" (11) und nähert sich damit unserer Auffassung. Denn nicht darin, behauptet die Philosophie des Sollens, liegt der Sinn logischer Gesetze, technische Regeln für die "spezifisch humane Denkkunst" zu sein, nicht dies sei ihre wesentliche Bedeutung zum richtig Denken anzuleiten, vielmehr lehrt sie: richtig denken bedeutet: denken, wie jedes beliebige Bewußtsein denken soll; die logischen Gesetze sind ihr nichts anderes als "rein logische Normen". Wir finden uns auch im Einverständnis mit dem, was HUSSERL über das Verhältnis von Evidenz und Norm ausführt: Von den beiden Arten von Evidenzbeziehungen (psychischen und logischen) "haben die einen eine Beziehung zur besonderen Konstitution der Arten psychischer Wesen, welche in den Rahmen der jeweiligen Psychologie fallen; denn nur so weit wie die Erfahrung, reicht die psychologische Induktion; die anderen aber als idealgesetzlich gelten überhaupt für jedes mögliche Bewußtsein". (12) Auch wir lehnen die psychologische Bedeutung der Evidenz als irrelevant für logische Untersuchungen ab, auch wir lassen die Geltung der logischen Normen nicht abhängig sein von psychologischer Induktion, sondern bestimmen sie, wenn auch nicht als idealgesetzliche, so doch dem Wortlaut HUSSERLs folgend, als Gültigkeiten für jedes mögliche Bewußtsein. So sehr wir jedoch in dieser Beziehung unsere Übereinstimmung mit HUSSERL betonen, müssen wir andererseits deutlich die Stelle bezeichnen, wo er Wege betritt, auf denen wir ihm nicht mehr folgen können. Diese Wege geht ihm in einem von dem Gedanken der "Prolegomena" stark beeinflußten Buch (13) FRIEDRICH KUNTZE nach. Ziehen wir, um den Gegensatz zu unserer Auffassung deutlich zu machen, einige von dessen Ausführungen heran. Wir finden hier etwa folgenden Gedankengang: Wer den Sinn der Wahrheit theoretischer Sätze zu erforschen unternimmt, hat völlig davon abzusehen, ob diese Wahrheit irgendwann einmal anerkannt worden ist oder anerkannt werden soll.
Die von KUNTZE erhobenen Einwände müssen wir so für mißglückt erachten. Seine Erwägungen übersehen durchgehend das Eine: daß mit einer Zurückschiebung des Wahrheitsgehaltes von der Anerkennung des erkennenden Subjekts in die erkannten Inhalte das Problem selbst nur zurückgeschoben, nicht aber gelöst wird. Wenn KUNTZE sagt: "Die Wahrheit bleibt eine Erscheinung eigener Art, die durch keinerlei phänomenologischen Bemühungen auf ethische Gründe zurückgeführt werden kann, sondern in ihrem Gelten oder Nichtgelten allein von Inhaltsbestimmungen und Inhaltsverbindungen abhängig ist" (17), so müssen wir fragen, was bedeutet dieses Gelten oder Nichtgelten? Darin lag unser Problem. Kann es etwas anderes bedeuten, als wertvoll oder wertlos zu sein für das erkennende Subjekt überhaupt? Diese Frage muß erst beantwortet sein, ehe wir von bestimmten Geltungsarten reden können, wie sie durch die Begriffe von theoretischen und normativen Wahrheiten umschrieben werden sollen. HUSSERLs Bevorzugung der nomologischen Wissenschaften, die er "als die eigentlichen Geisteswissenschaften" (18) definiert, "aus deren theoretischem Bestand die konkreten Wissenschaften all deas zu schöpfen haben, was sie zu Wissenschaften macht, nämlich das Theoretische", bedeutet vom philosophischen Standpunkt, d. h. unter Zugrundelegung der von uns aufgestellten Aufgaben der Philosophie von vornherein eine Verengung der Fragestellung; sie ist der Ausfluß einer nicht durch sich selbst gerechtfertigten Wertung im Begriff der Wissenschaft, die jedenfalls nach dem Erscheinen von RICKERTs "Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung" ihre Begründung verdiente. Auf dieser Voraussetzung aber steht im Grunde genommen der ganze Gedankenbau HUSSERLs; es wäre irrtümlich zu meinen, daß dieser Gedankenbau allein aus der Gegnerschaft gegen den Psychologismus erwüchse, ich will sagen, daß er deren notwendige Konsequenz ist. Man kann sehr wohl anit-psychologistisch gesinnt sein und braucht darum noch nicht HUSSERLs Idee der reinen Logik als einer erkenntnistheoretischen Grundwissenschaft beizustimmen. Wir haben bisher zu zeigen versucht, bis zu welcher Grenze wir die Kritik HUSSERLs an SIGWARTs Logik billigen können, und wo sie diese Grenze überschreitet. Wir sind damit zu dem Resultat gelangt, daß die Allgemeingültigkeit des Denkens mit dem Begriff des Sollens unlöslich verknüpft ist, daß die Idee der normativen Logik eine tiefere Bedeutung besitzt, als ihr HUSSERL zugestehen will. Dabei stellte sich, besonders in den Angriffen KUNTZEs, als das Zentrum aller Schwierigkeiten in diesem Streit um die normative Logik das Verhältnis von psychischer Wirklichkeit zu logischer Gültigkeit heraus, das, in seiner letzten Tiefe gefaßt, alle Probleme des alten Gegensatzes von Realität und Idealität in sich birgt. Es gilt daher, diesen Gegensatz von Neuem in die begriffliche Klarheit überzuführen und damit die Bedeutung des Sollens und des normativen Charakters der logischen Allgemeingültigkeit in seiner ganzen Ausdehnung zu durchschauen; dabei wird sich dann unsere Auffassung von der richtigen "Stellung des Denkens zur Objektivität" ergeben. logische Gültigkeit Wir knüpfen auch hier wiederum an die tiefdringenden und originellen Untersuchungen HUSSERLs an, wie sie vor allem in dem "Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis" genannten zweiten Teil seines Werkes vorliegen. Sie bieten uns infolge der konsequenten Ausgestaltung ihres Standpunktes einen willkommenen Anhalt zur Entwicklung unserer eigenen Ansichten. Gleichzeitig stellen sie einen philosophischen Typus dar, dessen Wirksamkeit weit hinausragt über seine hier lebendiggewordene Gestalt, gegen dessen überzeitlichen Wert für die Behandlung transzendental-philosophischer Probleme aber sich unsere ganze Darstellung richten soll: wir meinen die Ansicht, die allem "Platonismus des Wertens" (19) zugrunde liegt und sich in der Lehre von der höheren Würde und übermenschlichen Geltung der sogenannten theoretischen Wahrheiten, oder kantisch gewandt, vom Gebundensein aller wahren Objektivität an die strenge logische Allgemeinheit ausspricht. Bei HUSSERL gewinnt diese Lehre einen eigentümlichen Charakter dadurch, daß sie auf das Verhältnis der psychischen Wirklichkeit zur logischen Gültigkeit aufgebaut und aus diesem Verhältnis gewonnen wird. Um den Faden zwischen der, völlig dem aktuellen Denken entrückten, in eine ideale Sphäre objektiver, rein sachlicher Notwendigkeit versetzten Wahrheit, die wir auch bei KUNTZE preisen hörten, und dem sie "produzierenden" aktuellen Denken wieder anzuknüpfen, werden bei HUSSERL die Bedeutungen im weitesten Sinne zu den "Spezies der Akte des Bedeutens" erhoben. Um diese Theorie und die aus ihr fließenden Folgerungen würdigen und beurteilen zu können, wollen wir etwas näher auf sie eingehen. Dabei ist jedoch von vornherein zu bemerken, daß es sich für uns nur um die positiven Aufstellungen des HUSSERLschen Werkes handelt. Die glänzende und vernichtende Kritik alles Empirismus und verwandter Philosopheme, die bis in ihre letzten, verstecktesten Schlupfwinkel hinein verfolgt und mit unwiderleglichen Gründen gerichtet werden, bleibt in ihrer Bedeutung ungeschmälert, sie ist unserer uneingeschränkten Bewunderung gewiß. Umso nachdrücklicher müssen wir jedoch dem entgegentreten, was HUSSERL an die Stelle psychologischer Theorien zu setzen sucht, seiner Grundauffassung vom Wesen der logischen Bedeutungen und Gültigkeiten. HUSSERL geht aus von einem Gegensatz des subjektiven, einzelnen, individuellen, reellen Denkvorgangs zur objektiven, allgemeinen, identischen, idealen Bedeutung, wobei die aufgezählten begrifflichen Merkmale des psychischen Vorgangs genau korrespondieren und zugleich entgegengesetzt sind den Merkmalen der logischen Bedeutung. Ohne Frage hat diese Gegenüberstellung für den ersten Blick etwas ungemein Bestechendes und lädt förmlich zu einer erkenntnistheoretischen Ausdeutung ein. Der Gedanke, die Objektivität im logisch Allgemeinen zu suchen, übt, seit PLATO ihm seine unsterbliche Form verliehen hat, immer wieder seinen alten Zauber aus. Das Einzelne, Besondere ist ja stets auch das Zufällige, Abhängige, Relative, zeitlich Bedingte; das Allgemeine aber ist nie und nirgends wirklich, eben darum aber ewig, unbedingt, zeitlos gültig. Wenn wir eingesehen haben, daß eine einzelne Erscheinung der Spezialfall eines allgemeinen Gesetzes ist, so bescheidet sich unser Trieb nach Begründung, unser Erklärungsbedürfnis ist gestillt, unserem logischen, d. h. aber hier syllogistischen Bewußtsein ist Genüge geschehen. So liegt es nahe zu schließen: das Besondere, der Einzelfall liegt in der Sphäre des Seins, das Allgemeine aber in der Sphäre des Geltens. Diese durch ihr Alter ehrwürdige und geheiligte Anschauung bildet die Basis der logischen Untersuchungen HUSSERLs.
Wir wollen nun zuerst unser Augenmerk auf das Begriffspaar intentional-reell richten und seine Zuverlässigkeit prüfen. Unsere Einwände werden sich sowohl gegen die Fragestellung wie gegen die Antwort richten. Wir werden zeigen, daß HUSSERL in der ersteren Psychologe (23) geblieben ist, in der letzteren aber nicht Psychologe bleiben konnte und wollte. Wer aber auf eine psychologische Frage eine philosophische Antwort zu geben sucht, dem muß sie eine metaphysische Form annehmen. HUSSERL ging von der Überlegung aus: die Psychologie als erklärende Wissenschaft ist zu voraussetzungsvoll, um über das Wesen der logischen Wahrheiten und Gesetze Aufschluß zu geben; wir müssen uns daher an die einfache Beschreibung der Erlebnisvorgänge halten und mit ihrer Hilfe den Zusammenhang des realen Denkens und der in ihm gemeinten Gegenstände, Begriffe, Sätze usw. zu erforschen trachten. Diese Überlegung vergißt jedoch, daß sich nur Seiendes irgendwelcher Art beschreiben läßt. Nachdem HUSSERL daher auch folgerichtig die Auffassung: als wären die psychisch-reellen Vorstellungen, Urteilsakte usw. auch die logisch relevanten Gegenstände, die Gesetze jener psychischen Vorgänge auch die Gesetze der logischen Formen, seiner anti-psychologistischen Tendenz getreu, abgelehnt hat, kommt er zu dem Ergebnis: also sind die logischen Gegenstände ideale Gegenstände, die logischen Gesetze ideale Gesetze. Durch so ein "handanlegendes" Verfahren wird und muß das logisch Gültige notwendig zu einer Art des Seienden werden, während es gerade Sache der Philosophie sein sollte, im Seienden das Produkt einer logischen Formung zu erblicken. (24) Die Erkenntnistheorie überläßt es den Einzelwissenschaften, das Reich des Seins auszuschöpfen, und fragt ihrerseits nach dem Sinn des Denkens. Wir wollen nun zeigen, daß der von HUSSERLeingeschlagene Weg auch zu keinem einwandfreien Resultat führt, daß die von ihm gegebene Antwort nicht nur eine metaphysische Gewandung trägt, sondern in letzter Linie sich selbst aufhebt, wie alle Metaphysik. Wir werden daher erstens beweisen, daß das Begriffspaar intentional-reell keine erkenntnistheoretische Bedeutung besitzen kann, und zweitens, daß der reine mit sich identische Gegenstand nicht als Spezies zu den zeitlichen Akten, die ihn meinen, begriffen werden kann. Machen wir uns einmal klar, was der Begriff des intentionalen, den psychischen Akten idealiter innewohnenden Gegenstandes leistet, wenn wir mit ihm das Problem zu lösen versuchen, wie sich Realität und Idealität zueinander verhalten und begrifflich in Beziehung zu setzen sind. Wir fühlen uns nicht sonderlich geklärt oder vorwärts gebracht. Der intentionale Inhalt eines Aktes bleibt in einer unbegreifbaren metaphysischen Abhängigkeit vom zeitlich reellen Vorgang befangen, das psychisch Wirkliche aber schwebt völlig in der Dunkelheit einer unbegriffenen Substanz. Wird der ideale Gegenstand aber losgerissen betrachtet vom wirklichen Denkvorgang, so entsteht ein Riß zwischen beiden, der auf keine Weise geheilt werden kann. Die Beziehung beider bleibt so unerklärlich wie vorher. Doch HUSSERL würde uns auf solche Einwürfe vielleicht entgegnen: Das alles sind metaphysische Fragen, die zu lösen mir nicht im Sinn stand; meine Absicht vollendete sich im Beschreiben des Gegebenen. Wir werden jedoch sehen, daß HUSSERL gar nicht umhin kann, auf solche Fragen Antworten zu geben, die freilich schwer mit seiner Theorie in Einklang zu bringen sind. Was sind für ihn die individuellen, psychischen Vorgänge, die er auf dem Boden der Phänomenologie der identisch-idealen Bedeutung gegenüberstellt?
Für uns ist das Wesentlichste in der Aufhebung des Gegensatzes von intentional und reell, daß der allgemeine Gegenstand seine Allgemeinheit lediglich seiner Allgemeingültigkeit verdankt und mit dieser identisch ist, während er im logischen Sinne sehr wohl ein "okkasioneller" Begriff, ein Einzelnes, Individuelles zu sein vermag. Doch wenn es uns so gelungen ist, das "Intentionale" auch schon in der Gegebenheit, im Reellen und damit im Subjektiven und Individuellen aufzufinden, wodurch allein schon jene oben aufgestellten, einander gleichzeitig korrespondierenden und entgegengesetzten Merkmale ins Schwanken geraten und sich zu verwischen drohen, so könnte doch noch immer die Behauptung aufrechterhalten werden: die ideale Bedeutung verhalte sich zum zeitlichen Akt wie das logisch Allgemeine zum logisch Besonderen, wie die Spezies zum Einzelfall. Freilich müßte man einräumen, daß der Einzelfall eben auch eine logische Bedeutung ist. Und es dürfte nicht etwa eingewandt werden, daß der meinende Akt nur dann intentional ist, wenn er einem anderen Akt als intentionaler Gegenstand innewohnt; denn dieser Einwand wäre durchaus psychologischer Natur und träfe wohl den beschreibbaren Charakter des Erlebnisses, nicht aber die erkenntnistheoretische Struktur der Begriffe, die hier in Frage stehen. Wir schreiten also im Folgenden zur Prüfung der Frage, ob sich der allgemeine Gegenstand im Sinne der Logik überhaupt als intentionaler Inhalt eines Aktes fassen läßt, und näher, ob er zu ihm im Verhältnis von Gattung und Exemplar stehen kann. Akten des Bedeutens und die richtige "Stellung des Denkens zur Objektivität". Konnten wir im Vorhergehenden zeigen, daß vom Gesichtspunkt der Erkenntnistheorie aus auch der reelle Inhalt zu einer Art des intentionalen, ideellen Seins, also für dessen Definition unbrauchbar wurde, so können wir jetzt andererseits einwenden: Wenn das Intentionale den im Akt gemeinten Inhalt bedeutet, der Akt aber ein Individuelles ist, so bleibt das Gemeinte stets ein vom Individuum Gemeintes; wenn der intentionale Gegenstand als intentionaler seinen Sinn nicht verlieren soll, so muß er als abhängig vom psychologischen Subjekt gedacht werden; er bedeutet nur etwas für das betreffende Subjekt, das den Akt erlebt. Wie gelingt es HUSSERL bei einer solchen Beschaffenheit seiner Begriffe überhaupt zu einem erkenntnistheoretischen Objektivitätsbegriff durchzudringen? Um den logischen Gehalt der Akterlebnisse zu erfassen, bedarf er einer Gliederung derselben, er kann eines Ausleseprinzips unter den vorfindbaren psychologischen Tatsachen nicht entraten, nur bringt er sich den Charakter dieses Prinzips als eines Wertprinzips nicht zum Bewußtsein. Sein Begriff der "objektivierenden Akte", die er aus der Gesamtheit der intentionalen Erlebnisse heraushebt, ist nur mit Rücksicht auf den Erkenntnis zweck dieser Akte, also aufgrund einer teleologischen Wertung entstanden; und ebenso lassen sich die "setzenden" Akte des Vorstellens und Urteilens von den "nichtsetzenden" Akten nur dadurch scheiden, daß auf ihre Funktion als auf ein Mittel des erkennenden Denkens, also ebenfalls teleologisch, reflektiert wird. HUSSERL unterscheidet nämlich innerhalb der objektivierenden Akte die setzenden und nichtsetzenden nach der Qualität, die nominalen und propositionalen nach der Materie (28), wobei unter "Qualität der Akte" die Art des auf einen Gegenstand intentional gerichteten Meinens, (ein Wollen, Urteilen, Vorstellen usw.), unter Materie dieser Gegenstand selbst (das Gewollte, Beurteilte, Vorgestellte usw.) zu verstehen ist. Es ergibt sich mithin folgendes Schema:
a) Akte des Wollens, Begehrens, Sich-Fürchtens, Sich Freuens usw. b) Objektivierende Akte (Vorstellen und Urteilen) [Vorstellungsbegriff (29) 5]
2. Nichtsetzende Akte (Bloße Vorstellung = bloßer Name, Name ohne Seinscharakter, Jllusion, bloße Einbildung) β) Propositionale Akte
II. Der Materie nach [Vorstellungsbegriff 1 und 2]
Es geht nicht an, die Erkenntnistheorie zu einer Art Mathematik des Erkennens zu stempeln, denn die Mathematik bedarf selbst der erkenntnistheoretischen Fundamentierung. Sehen wir scharf hin, wo der Mangel dieser ganzen Auffassung liegt. Sie behauptet, das Urteil im logischen Sinne, der reine und identische Satzgehalt, sei die Spezies zu den in der Zeit verlaufenden Akten. Aber ist es denn richtig, daß, was das Urteil zu einer identisch gültigen Gestalt des Denkens erhebt, was den Begriff im logischen Sinne konstituiert, ein identisches Moment in den Urteils- oder Vorstellungsakten als psychischen Vorgängen ist so wie die allgemeine Spezies Rot in den verschiedenen Rots? Leicht leitet hier der Gedanke irre, daß die Bedeutung identisch dieselbe ist, während der sie denkenden Subjekte und subjektiv nuancierten Denkgebilde eine unendliche Anzahl von Varietäten "nebensächlicher", individueller Art angenommen werden könnte. Aber diese identischen Bedeutung ist eben kein Identisches in diesen Variationsmöglichkeiten, sondern ein identisch Gedachtes. Die verschiedenen Rots verhalten sich zur Spezies Rot nicht wie die Akte zur identischen Bedeutung. Deshalb kann diese nie und nimmer als Spezies zu den Akten bezeichnet werden. Die Fülle der wirklichen Gestalten ist in gar keine logische Beziehung zu bringen zum ideellen Gehalt. Dieser Gehalt erschließt sich vielmehr im Sinn jedes einzelnen Aktes. Das "intentionale Wesen" des Aktes, als die Einheit von Qualität und Materie, ist logisch nicht am oder im Akt und deshalb auch nicht dessen spezifische Idee. Das im Akt auffindbare Allgemeine könnte immer wieder nur ein Akt-Allgemeines, also ein durch eine generalisierende Begriffsbildung geformter psychologischer Begriff sein; nur dieser verdiente die Bezeichnung der "Spezies zu den Akten". Um den logischen Sinn des Urteils festzustellen und damit den Sinn der logischen Akte überhaupt - denn nur Urteile können wahr oder falsch sein, Begriffe nur, insofern in ihnen Urteile gedacht werden (33) - bedarf es der Reflexion auf das "intentionale Wesen" der "setzenden Akte". An den spezifischen Sinn des Urteils müssen wir uns halten, um seine logische Dignität zu verstehen; das Spezifische dieses Sinnes wird dann die Spezies zu den einzelnen Urteilen - nicht zu den Akten, sondern zu den Gültigkeiten sein. Diese Spezies aber ist von ganz anderem Charakter als das Dreieck in specie. Das Einzelne verhält sich zu ihr nicht wie die Art zur Gattung oder das Exemplar zur Spezies. Vielmehr reflektieren wir auf dasjenige Moment, das ein Urteil zur logischen Gültigkeit macht, wobei es gleichgültig bleibt, ob dieses Moment im aktuellen Urteil immer verwirklicht ist oder nicht. Wir beschreiben also nicht die Gestalten des Erlebens, sondern wir setzen uns an die Stelle des Denkenden, machen seine Zwecke und Intentionen zu den unsrigen und konstatieren durch Selbstbesinnung das, was allen Urteilen als gemeinsamer, spezifischer Charakter zukommen soll, wenn sie fähig sein wollen, Glieder im logischen, d. h. auf den Wahrheitszweck gerichteten Denken zu sein. Wir stellen also etwa die folgende Überlegung an: "Was unterscheidet die Frage (34), was unterscheidet die "bloße Vorstellung" vom Urteil? Auch nach HUSSERL nur das Moment des Setzens, das "belief". Aber nicht sofern das belief als Aktmoment der faktische Glaube eines Einzelnen ist, sondern insofern sein Sinn darin liegt, daß jeder Urteilende dieselben "Urteilsmaterialien" setzen, d. h. anerkennen soll, sehen wir in ihm, als der praktischen Stellungnahme, das logische Wesen des Urteils. Ein Urteil, das nicht bejaht werden soll, ist ohne logischen Wert; das aktuelle Urteil aber soll diesen Wert realisieren, wenn es mehr sein will als ein bloßer psychischer Vorgang. Die Brücke vom realen Erlebnis, vom Urteilen zum Urteil als der "identischen oder reinen" Aussage ist daher nur so zu schlagen, daß wir das im Einzelnen Gemeinte auf seinen Sinn hin untersuchen; oder noch bestimmter: für das Denken geht der Weg nicht vom "Akt" zur "Idee", in unserer Sprache: von der psychischen Wirklichkeit zur logischen Gültigkeit, sondern er beginnt im Umkreis erlebter Bedeutungen, sucht durch Reflexion auf das zwecksetzende, sich frei bestimmende Denken das Wesen des Geltens auf und findet es in der Bejahung eines schlechthin gültigen Sollens; das Moment, welches den logischen Bedeutungen ihren spezifischen Sinn: die Objektivität verleiht, kann daher nur im Wesen eines logischen Sollens gesucht werden. Der Philosophie HUSSERLs liegt der erkenntnistheoretische Gedanke zugrunde, daß die objektive Welt diejenige wäre, welche von allen Subjekten in gleicher Weise adäquat angeschaut werden könnte, während die Bilder, die sich jeder Einzelne von ihr macht, das Subjektive sind. RICKERTs "Gegenstand der Erkenntnis" hat durch die Herausarbeitung des erkenntnistheoretischen Subjektbegriffs und den Nachweis, daß der Gegenstand der Erkenntnis ein transzendentes Sollen ist, diese Auffassung überwunden, mit ihr den logisch ausgedeuteten Gegensatz der idealen Bedeutung und der Akte des Bedeutens als den Gegensatz des allgemeinen ideellen und konkreten reellen Seins. Es kann danach nur einen logischen Gegensatz zur idealen Bedeutung geben, das ist die widerspruchsvolle. Wahr und falsch ist das die Logik beherrschende Gegensatzpaar; objektiv ist das Wahre, und subjektiv ist das Falsche. Wahr aber ist, was gedacht oder erkannt werden soll, oder mit anderen Worten: was ein fingiertes Subjekt bejaht, ein Subjekt, das nur urteilt, wie geurteilt werden soll. Hierin vollendet sich für uns der Begriff der logischen Allgemeingültigkeit. Unseren Untersuchungen über das Verhältnis der psychischen Wirklichkeit zur logischen Gültigkeit wollen wir einige Worte über die Methode erkenntnistheoretischer Untersuchungen überhaupt anschließen. Im psychologisch beschreibbaren Fluß des erkennenden Denkens lassen sich gewisse Erscheinungen oder Tatsachen oder psychische Momente festhalten, die dadurch eine allgemeinbegriffliche Fassung gewinnen können, daß man von ihrer Realisierung im konkreten Fall abstrahiert und eine in allen Fällen gleiche, d. h. gesetzmäßige reale Verknüpfung ihrer psychologische Bestandteile konstatiert; ich denke an die Assoziationsgesetze, die Reduktion psychischer Ereignisse auf eine "Chemie der Empfindungen" usw. Die psychischen Phänomene lassen sich aber auch dadurch allgemeinbegrifflich erfassen, daß man auf ihre in typischer Weise sich darbietende Funktion, Träger eines gewissen Meinens, Bedeutens, Sinngebens zu sein achtet; dieses Sinngeben stellt selbst eine beschreibbare Eigentümlichkeit des Seelenlebens dar und läßt sich auf nichts Primäres zurückführen. Sollen diese Bedeutungen logischen Charakters sein, so ist der Gesichtspunkt der Abstraktion gegeben durch die Beziehung auf den logischen Wert. Er leitet die Sonderung des Gleichgültigen vom wesentlich Inbetrachtkommenden und bildet den Maßstab für die Rechtfertigung dieser Begriffsbildung. Nenne ich das, worauf dieses Sinngeben sich richtet, im Gegensatz zu ihm selbst als einem Stück psychischer Wirklichkeit, das "Gedachte", so läßt sich folgende Beziehung aussprechen: Das beschreibbare Moment des erlebten Sinngebens vereint sich mit einem ebenfalls beschreib- und erlebbaren Moment, das sich schildern ließe als das Verlangen, das "Gedachte" zu begründen, d. h. zu einem Sinn- und Zweckvollen zu machen (35). Und wieder ist klar, daß das Begründete selbst oder das Sinn- und Zweckvolle nicht zur psychischen Wirklichkeit gehören kann. Daraus aber folgt eindeutig, daß nur durch das Sinngeben und Zwecksetzen selbst die Zusammenhänge des Gedachten aufgehellt werden können, nicht durch eine Beschreibung des psychisch Wirklichen. Die Methode der phänomenologischen Deskription ist die Methode jeder beschreibenden Wissenschaft, eben deshalb nicht die Methode, die zu erkenntnistheoretischen Ergebnissen führt. Denn alle Deskription ist Generalisation und sucht das überall Gleiche im individuell Verschiedenen auf. Logische "Bedeutungstatsachen" sind aber nicht das Gemeinsame am Individuellen als einem im Einzelfall gegebenen, beschreibbaren Tatbestand. Es ist gleichgültig, ob das praktische Urteilsmoment in jedem realen Urteil wirklich vorhanden, d. h. phänomenologisch als gemeinsames Moment auffindbar ist. Es genügt der Nachweis, daß es jedem Urteil seinem Sinn und Zweck nach zukommen soll. Dagegen besitzt die Phänomenologie dem Gegenstand nach, auf den sie sich richtet, gewissermaßen prophylaktischen Wert für die Erkenntnistheorie dadurch, daß sie jeder psychologistischen Umdeutung psychologischer Ergebnisse wehrt. Sie gelangt so zu einer Abgrenzung der in den Ablauf des Seelenlebens eingebetteten Bedeutungselemente von den bedeutungslosen des Erkenntnislebens, zu einem Verständnis der Bedeutungszusammenhänge; denn diese haben infolge ihrer Abhängigkeit von der zweckfordernden und -setzenden Tätigkeit des Bewußtseins einen teleologischen (36) Charakter, der sich nur wahren läßt in einem sinngebenden Denken, nicht durch ein Beschreiben des Denkens. Wenn es also richtig ist, daß Psychologie aus methodischen Gründen der Erkenntnistheorie das Tatsachenmaterial zuzustellen hat, so ist auf eine dreifache Definition des Begriffs "Psychologie" zu achten. Psychologie kann entweder eine erklärende, Gesetze feststellende (a) oder bloß beschreibende (b) oder teleologisch orientierte (c) Disziplin sein; nur im dritten Sinn gewährt sie ein echtes methodisches prius für logische Untersuchungen; so geht die Erkenntnistheorie z. B. von einem Gefühl der Evidenz als von einem psychischen Faktum aus, aber nicht als solches kommt es für sie in Betracht, sondern nur insofern ein logischer Sinn in diesem Faktum liegt. Das Sichbewußtwerden der Zwecke, welche eine Auswahl der psychologischen Tatsachen beherrschen, ist daher die wichtigste Vorbedingung für erfolgreiche logische Untersuchungen; wo diese Auswahl nur von dunklen Motiven geleitet wird, birgt sie eine Gefahr für die Deutung der erforschten Tatsachen, denn die "Bedeutungstatsachen" sind eben nicht gewöhnliche Tatsachen; zu ihrem Verständnis reicht die bloße Beschreibung nicht aus, die Reflexion, der sich selbstsetzende Gedanke muß hinzutreten, und er herrscht dort souveräner über sein Gebiet, wo er sich seines Wertes und Charakters bewußt geworden, als wo er nur heimlich als unsichtbares Prinzip waltet. Alles Faktische ist schon Theorie, das gilt auch von den phänomenologischen Tatsachen; aus dem Faktischen läßt sich daher nicht das Wesen der Theorie ableiten, aus dem Sein, auch nicht aus dem psychischen, das Denken. Das "Gedachte" geht logisch allem Seienden Voraus. Deshalb spricht RICKERTs "Gegenstand der Erkenntnis" von einer logischen Priorität des Sollens vor dem Sein. Ob ein Urteil wahr ist oder nicht, woran wir erkennen können, ob es anzunehmen oder zu verwerfen ist - die Entscheidung dieser Frage hat nichts mit unserem Problem zu tun, sondern setzt dessen Lösung schon voraus; wenn POINCARE emphatisch ausruft: "Das Experiment ist die einzige Quelle der Wahrheit, dieses allein kann uns etwas Neues lehren, dieses allein kann uns Gewißheit geben", (37) so ist damit offenbar das logische Wesen der Wahrheit nicht begriffen. Daß die im Experiment enthaltene Konstatierung der Tatsache das Problem erst in sich enthält, hat RICKERTs "Gegenstand der Erkenntnis" eingehend dargestellt; die Gewißheit der Tatsache bildet allerdings den letzten Ankerpunkt allen empirischen Wissens, aber ihre philosophische Bedeutung liegt nicht darin, daß sie ein Kriterium des Erkennens ist, sondern darin, daß sie uns über das Wesen der Wahrheit allererst belehrt (38). "Die richtige Deutung dieses Gefühls (der Gewißheit) auf das Sollen als den letzten Maßstab für die Richtigkeit des Urteils" (39) führt zur richtigen Definition der Wahrheit, als der Anerkennung dieses Sollens. Um die völlige Überwindung der SIGWARTschen Lehre vom allgemeingültigen Denken deutlich zu machen, wiesen wir schon oben auf die Notwendigkeit der Fiktion eines idealen Subjekts (40) hin, das den Korrelatbegriff zur Anerkennung im anerkennenden Subjekt kennzeichnet. Nicht der Vorgang in irgendeinem Individualbewußtsein, das psychische Erlebnis kann als der Sinn der Allgemeingültigkeit des Urteils aufgefaßt werden, sondern nur diese Anerkennung gedacht als Anerkennung eines Bewußtseins überhaupt. Insofern in dieser Anerkennung ein bestimmter Sinn liegt, der vom psychischen Vorgang als Einzelgeschehen lostrennbar ist, könnte man auch von einer Anerkennung überhaupt oder von einer reinen Form der Anerkennung sprechen. Bei all diesen Ausdrücken ist aber zu beachten, daß es sich hier nicht um logische Verhältnisse, wie das der Gattung zum Einzefall handelt, vielmehr deutet das Wort "überhaupt" oder "reine Form" nur auf das nicht weiter ableitbare Wesen des Sinnvollen hin. Dieses Sinnvolle aber wird zum logischen, wie wir gesehen haben, nur durch die Stellungnahme des Subjekts; auch die Frage hat neben ihrem psychischen Sein einen Sinn. Aber dieser Sinn wird zur Erkenntnis erst durch Bejahung oder Verneinung, daher ist das Logische dem Psychischen nicht nur gegenüberzustellen wie Sinn und Sein, sondern wie gesollter Sinn und Sein, deshalb ist auch die reine Form der Anerkennung des Sollens nicht der Sinn dieser Anerkennung überhaupt, sondern ihr gesollter Sinn. Um noch einmal das Beispiel der Gravitationsformel heranzuziehen, so können wir jetzt unser Ergebnis folgendermaßen an ihr demonstrieren. Die Gravitationsformel ist nicht wahr, weil NEWTON und andere Forscher sie mit dem Bewußtsein ihrer Allgemeingültigkeit gedacht haben, sie ist aber auch nicht wahr, weil der in ihr ausgesprochenen Synthese eine immanente Notwendigkeit innewohnt, (wobei immer noch fraglich bleibt, wie es kommt, daß diese Notwendigkeit erkannt werden kann), vielmehr ist sie wahr, weil sie auf Urteilen logisch aufgebaut ist, und weil jene Urteile sowie dieser logische Aufbau von jedem urteilenden Bewußtsein überhaupt schlechterdings anerkannt werden sollen. Oder noch eigentlicher, ihre Wahrheit und das Sollen der Anerkennung des Sollens sind identische Begriffe, der zweite definiert den ersten, interpretiert seinen Sinn. Denn ob die Gravitationsformel richtig ist oder nicht, d. h. ob sie realiter in dem sich zeitlich entwickelnden Wissenschaftssystem immerdar gelten wird - darüber fällt die Philosophie überhaupt kein Urteil. Der letzte Satz des vorigen Paragraphen führt uns sogleich zu einer zu bekämpfenden Auffassung von Wesen der ästhetischen Allgemeingültigkeit, wie sie von Psychologen vielfach vertreten wird. So schreibt KARL GROOS:
"So will ich z. B., bis ich vom Gegenteil überzeugt werde, daran festhalten, daß mein Urteil über die Wertschätzung des Schönen, das den Grund dieser Wertschätzung nicht in der Lust als solcher, sondern in einem allgemeineren Zustand der Befriedigung über die wunschlose Fülle des Erlebens erblickt, richtig ist." (41)
Wie wir uns aber bei der Herausarbeitung des Begriffs der logischen Gültigkeit gegen zwei Fronten zu wenden hatten, gegen den Psychologismus einerseits und gegen den Platonismus andererseits, so müssen wir auch im Ästhetischen diesen Kampf wieder aufnehmen. Unsere Anknüpfung an PLATOs "Gastmahl" soll uns nicht dazu verführen, das Schöne als eine Idee zu hypostasieren [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] und die ästhetischen Gesetzmäßigkeiten, insofern die Transzendentalphilosophie zur Aufstellung solcher überhaupt zu gelangen vermag, zu idealgesetzlichen zu machen. Auch der "Gegenstand" des ästhetischen Urteils ist ein Sollen. Wir fühlen uns bei der Beurteilung schöner Gegenstände an eine "Gesetzgebung" gebunden, der sich jeder unterwerfen soll, der in diese Sphäre tritt; auch hier reicht der bloße Gegensatz von Sein und Sinn nicht aus. Die für PLATO entstandene Schwierigkeit im Reich der Ideen auch das Häßliche, Alltägliche, Nichtige setzen zu müssen, würde sich in sublimierter Form für die Abgrenzung der "obersten normativen Wissenschaften" wiederholen, wie z. B. HUSSERL (45) deren Begriff hinstellt. Der psychischen Wirklichkeit entspricht eine breite Schicht intentionalen Lebens, aber aus diesem hebt sich das Wertvolle nur durch den Auslesegedanken des Gesollten heraus. Auch in den Akten, die ein Angenehmes zum intentionalen Gegenstand haben, liegt ein spezifischer Sinn; aber eine ideale Gesetzlichkeit läßt sich hier nicht auffinden, weil dieser Sinn kein gesollter ist. Wie sich das ästhetische Urteil, das zum Gegenstand ein Sollen hat, unterscheidet vom logischen Urteil, werden wir im Verlauf unserer Arbeit zu analysieren suchen. Ebenso wird die Frage nach dem Korrelatbegriff dieses Sollens im wertenden Subjekt zum Gegenstand der Untersuchungen gemacht werden. Zusammenfassend wollen wir unser Ergebnis noch einmal dahin formulieren, daß sich uns die Möglichkeit erschlossen hat, entsprechend den erkenntnistheoretischen Formen der Anerkennung eines transzendenten Sollens, als welche den Begriff der Kategorien des Erkennens ausmachen, andere Formen der Anerkennung jener Norm zu entdecken in einem Gebiet, wo allgemeingültige Urteile nicht zum Zweck des Erkennens, sondern zum Ausdruck einer anderen Richtung des ansinnenden Bewußtseins gefällt werden. In diesem Sinne fassen wir das kantische Sollen, "d. h. die objektive Notwendigkeit des Zusammenfließens des Gefühls von jedermann mit jedes seinem besonderen" (46) auf und wollen nun versuchen, diese objektive Notwendigkeit in einen erkenntnistheoretischen Zusammenhang einzureihen.
1) HEGEL, Enzyklopädie. § 1 2) THEODOR LIPPS, Die Aufgabe der Erkenntnistheorie, Philosophische Monatshefte, Bd. 16, Seite 30 3) CHRISTOPH SIGWART, Logik I, dritte Auflage, Seite 22 4) SIGWART, a. a. O., Seite 8 5) HUSSERL, Logische Untersuchungen I, 1900 6) HUSSERL, a. a. O., Seite 164, siehe auch Seite 161. 7) HUSSERL, a. a. O., Seite 190 8) HUSSERL, a. a. O., Seite 128 9) HUSSERL, a. a. O., Seite 23 und 24 10) HUSSERL, a. a. O., Seite 41 11) HUSSERL, a. a. O., Seite 158 12) HUSSERL, a. a. O., Seite 187 13) FRIEDRICH KUNTZE, Die kritische Lehre von der Objektivität, 1906 14) KUNTZE, a. a. O., Seite 63 15) Wozu übrigens KUNTZE selbst die formallogischen Normen nicht rechnet (a. a. O., Seite 67). 16) KUNTZE, a. a. O., Seite 64. 17) KUNTZE, a. a. O., Seite 66 18) KUNTZE, a. a. O., Seite 235 19) EMIL LASK, Fichtes Idealismus und die Geschichte, Seite 11 20) HUSSERL, a. a. O., Bd. I, Seite 190f 21) FRANZ von BRENTANO, Psychologie vom empirischen Standpunkt, Bd. I, Seite 115. 22) HUSSERL, a. a. O., Bd. II, Seite 101f 23) Daher hat LIPPS ein gewisses Recht, ihn so zu nennen. Vg. "Fortsetzung der psychologischen Streitpunkte", Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Bd. 31, Seite 78 24) Daran ändert auch nichts, daß HUSSERL der Hypostasierung [Verdinglichung - wp] seiner idealen Gegenstände eigens wehrt (Seite 101). Denn der springende Punkt liegt gerade darin, daß er sie vom realen Denken völlig abtrennt, ohne das Problem zu lösen, das in ihnen liegt, wenn man sie als "Anzeichen für die Geltung gewisser Urteile nimmt"; denn um das Wesen dieses Geltens handelt es sich doch gerade. 25) HUSSERL, a. a. O., Bd. I, Seite 164 26) HUSSERL, a. a. O., Bd. I, Seite 387 27) HUSSERL, a. a. O., Bd. I, Seite 90f 28) HUSSERL, a. a. O., Bd. II, Abschnitt V, Kap. 3 - 5. 29) Vorstellungsbegriff nach der von HUSSERL aufgestellten Reihenfolge (a. a. O., Bd. I, Seite 463). 30) HUSSERL, a. a. O., Bd. I, Seite 439 31) HUSSERL, a. a. O., Seite 440. Übrigens finden sich bei SCHUPPE (Erkenntnistheoretische Logik, Seite 98) eine ähnliche Auffassung bezüglich der Denkgesetze. Er nennt sie "die letzten eigentlichen Arten des Denkens, auf welche jeder Denkakt zurückgeführt werden kann, und welche die ganze Mannigfaltigkeit der einzelnen Denkerscheinungen beherrschen, wie in der Tat die eigentliche Gattung und Art auf allen anderen Gebieten im einzelnen lebt und beherrscht". Oder Seite 112: "Das klar erkannte Denken wird auch nicht direkt als Norm erkannt, sondern direkt wird es erkannt als etwas, was unter Abstraktion des Gegebenen von allem Seienden gilt, schon bloß deshalb weil es ist". 32) WILHELM DILTHEY, Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie", Mitteilungen der Akademie der Wissenschaften, Berlin 1894, Bd. II, Seite 1363 33) Siehe RICKERT, Zur Lehre von der Definition, 1888, Seite 147 34) RICKERT, Gegenstand der Erkenntnis, Seite 95 35) Vgl. HERMANN LOTZE, Logik, 1874, Seite 8. WINDELBAND, Präludien "Über Denken und Nachdenken", dritte Auflage, Seite 243f. 36) Dieser Charakter ist streng zu scheiden von jeder "objektiven" Teleologie, die als Denkökonomie z. B. bei MACH auftritt. So ist z. B. der Allgemeinbegriff bei RICKERT kein nach dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes im Kampf der Einzelvorstellungen um ihr Dasein im Seelenleben sich entwickelndes Mittel der Anpassung an die unendliche Mannigfaltigkeit der Anschauung, sondern verhält sich zu diesem "Kunstgriff", wie sich etwa das vom Künstler selbst gewählte Material verhält zu den durch die Natur den Tieren gegebenen Schutzfarben, die unser Geist als zweckmäßig beurteilt. Siehe dagegen HUSSERL, a. a. O., Bd. I, Seite 166. 37) HENRI POINCARE, Wissenschaft und Hypothese, übersetzt von LINDEMANN, Seite 142 38) Wenn DÜSSEL ("Anschauung, Begriff und Wahrheit") das Evidenzgefühl als trügliche und verdächtige Gewähr für die wissenschaftliche Wahrheit bezeichnet und an seine Stelle die Konstanz signitiver Zeichen des sich in der Zeit bildenden Systems wissenschaftlicher Begriffe setzen will, so hat eine solche Auffassung mit ihrem entwicklungsgeschichtlichen Wahrheitsbegriff natürlich mit unserer Fragestellung nicht das Geringste zu tun, da sie sich gar nicht auf erkenntnistheoretischem Boden bewegt. 39) RICKERT, Gegenstand der Erkenntnis, Seite 123 40) Auf die nähere Bestimmung dieses Subjekts und die in ihm liegenden Probleme gehen wir erst im zweiten Teil ein. 41) KARL GROOS, "Die Philosophie im Beginn des 20. Jahrhunderts", Festschrift für Kuno Fischer, Bd. II, erste Auflage, Seite 152f. 42) JONAS COHN, Allgemeine Ästhetik, Seite 41 43) PLATO, Das Gastmahl III, 211 A. Übersetzt von SCHLEIERMACHER II, 2, Seite 300 44) THEODOR LIPPS, Ästhetik, Seite 2 45) HUSSERL, Logische Untersuchungen, Bd. II, Seite 346 46) KANT, Kritik der Urteilskraft, § 22. |