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FRIEDRICH JODL
Ausbau der wissenschaftlichen
Ethik im 19. Jahrhundert


"Alle politischen und sozialen Einrichtungen haben nur Wert als Mittel, um den Individuen das Erreichen ihrer persönlichen Vollkommenheit zu erleichtern - im tiefsten Grund vollzieht sich aller Fortschritt der Kultur in Einzelnen und für Einzelne; sie ist mit all ihren Zurüstungen eine Sache des innerlichsten Lebens ..."

"Das Sittliche kommt nicht von außen an den Menschen heran; nicht durch göttliche Autorität, nicht durch eine absolute Idee der Vernunft, die auf rätselhafte Weise zum Imperativ wird, auch nicht durch soziale Konvention über Wert und Unwert, sondern es ist nur Erzeugnis der inneren Triebkräfte unseres eigenen Wesens. Wir haben Gedanken vom Guten und Besseren in Bezug auf praktisches Verhalten, die zugleich Wünsche, also treibende Kräfte sind, und die, weil wir nicht allein in der Welt, sondern eingegliedert in eine Gemeinschaft anderer wollender und denkender Personen leben, mit deren Ideen einen Ausgleich suchen müssen."



Erster Abschnitt
E n g l a n d
1. Wissenschaftlicher Ausbau des
evolutionistischen Eudämonismus

Ganz abseits vom lärmenden Streit der Meinungen, der sich aus dem früher geschilderten Eindringen darwinistischer Gedanken in die Sozialwissenschaft ergab, hat sich die evolutionistische Ethik selbst in bedeutenden wissenschaftlichen Leistungen weiter entwickelt, die man wohl ohne Übertreibung als eine durchgängige Neubegründung dieser Disziplin durch die Gesamtheit der auf allen angrenzenden Gebieten errungenen Einsichten bezeichnen darf. Da die im Vorstehenden geschilderte Krisis der Ethik ihre tiefsten Wurzeln im englischen Denken gehabt hat, so wird es vielleicht zweckmäßig sein, die Skizzierung dieser Entwicklung der wissenschaftlichen Ethik ebenfalls mit England zu beginnen.

Zunächst muß hier an den bedeutsamen Ausbau erinnert weren, den der Eudämonismus MILLs zwölf Jahre nach dem Erscheinen der Schrift "Utilitarism" durch HENRY SIDGWICKs ummfassendes Werk: "The Methods of Ethics" empfangen hat (1). Schon äußerlich angesehen ist dies eines der erfolgreichsten Werke der neueren ethischen Literatur in englischer Sprache. Die vielfachen Auflagen, die es seit dem Jahr 1874 erlebt hat, zeugen ebenso für die Gründlichkeit und Gediegenheit der Untersuchung wie für die Bedeutung, die dem Problem des Eudämonismus in der Ethik nach der allgemeinen Schätzung und für alle Richtungen zukommt. SIDGWICK verfügt nicht nur über eine feingespitzte Dialektik, welche allen Problemen bis auf die letzte logische Faser nachgeht, sondern auch über ein ausgebreitetes historisches Wissen. Kurze Zeit nach dem Erscheinen der "Methods of Ethics" hat SIDGWICK für die 9. Ausgabe der "Encyclopaedia Brittanica" eine "History of Ethics" verfaßt, welche die früher erwähnten Arbeiten von STEWART, MACKINTOSH, WHEWELL in zeitgemäßer Weise umbildete, mit geringerem Hervortreten der persönlichen Anschauung, aber feinsinnig in den Geist der behandelten Systeme eindringen und sie mit immanenter Kritik auf ihre innere Konsistenz prüfend. Die Darstellung der neueren Zeit beschränkt sich fast ganz auf die englische Ethik, die bis auf MILL, P. H. GREEN und den Evolutionismus hingeführt wird. Von den Franzosen werden nur HELVETIUS und COMTE, von den Deutschen KANT, HEGEL und die Pessimisten skizziert. Auch diese Arbeit, außerhalb der Encyclopaedia und nicht unerheblich erweitert in Buchform erschienen (Outlines of an history of ethics for english readers; zuerst 1866), hat namentlich in England großen und verdienten Erfolg gehabt.

Die "Methods of Ethics" sind eine Prinzipienlehre in kritisch-vergleichender Darstellung. Unter "Methode" versteht SIDGWICK ein rationales Verfahren, um das richtige Verhalten zu bestimmen. Die Prinzipien oder Methoden für die Ableitung ethischer Kriterien und Direktiven, die SIDGWICK untersucht, sind vornehmlich drei: die Selbstliebe, das intuitive Prinzip des sogenannten Gewissens (common sense) und der Utilitarismus im sozialen Sinn. Das Prinzip des Egoismus wird als Grundlage sittlicher Beurteilung abgewiesen. Von der intuitiven Ethik, welche auf der Annahme ruht, daß wir Handlungen als recht und vernünftig, abgesehen von ihren Folgen, zu erkennen vermögen, wird gezeigt, daß sie von sich aus zu keiner vollen Klarheit und Entscheidung von Zweifelsfällen gelangen kann, und daß sie daher der Ergänzung und Unterstützung durch ein anderes Prinzip bedarf, das den vollständigen Ausgleich und die sichere Begründung der Forderungen intuitiver Moral ermöglicht. Dies kann nur der Utilitarismus sein, dessen überlegenes Recht - mag auch er gewisse Gebrechen haben - aus der Unbrauchbarkeit aller anderen Methoden hervorgeht. Dabei ist es charakteristisch für den unbefangenen Wirklichkeitssinn SIDGWICKs und völlig im Einklang mit dem, was schon MILL in Bezug auf den wahren Sinn ursprünglicher Regeln gezeigt hat, daß SIDGWICK entschieden die Möglichkeit, ja Notwendigkeit des Zusammengehens von intuitiver und utilitaristischer Ethik ausspricht. Die Moral des "common sense" hat die natürliche Tendenz, in die utilitaristische überzugehen; sie ist latenter, unbewußter, instinktiver Utilitarismus und dieser die reifere, vollbewußte Entwicklung der ersteren. Der Utilitarier hat die intuitive Ethik, die historisch entstandene und zum Teil instinktiv gewordene Schätzungen der Menschheit in sich birgt, im allgemeinen aufrecht zu erhalten, zugleich aber sie zu berichtigen und fortzubilden. Trotz alledem ist dieser Utilitarismus weniger konsequent als der MILLs, obwohl SIDGWICKs Theorie im Einzelnen weit subtiler ausgearbeitet ist und fast keinen möglichen Einwand unberücksichtigt läßt. Es fehlt ihm die starke Überzeugung vom Zusammenhang zwischen gesellschaftlichem und individuellen Wohl; der Glaube an die beglückende Kraft sozialer Hingabe, altruistischer Willensgewohnheiten. Daher gibt es bei SIDGWICK auch keine unbedingte Entscheidung im Konflikt zwischen egoistischem und universalistischem Eudämonismus. Der Egoismus, obgleich aus der Ethik hinausgewiesen, behauptet im Leben sein Recht; und die Waagschale kann nur dadurch zugunsten des Altruismus gesenkt werden, daß die Ethik ihre volle Unabhängigkeit preisgibt und durch transzendente Ausblicke dem sittlich handelnden Individuum die volle Übereinstimmung seiner natürlichen Glücksforderung mit seinem wirklichen Zustand zu verbürgen unternimmt - ein Nachklang von Gedanken, die den Epilog zu so vielen streng rationalen Systemen englischer Ethik gebildet und auch in der kontinentalen Wissenschaft eine große Rolle gespielt haben.

Die Verbesserung dieser Mängel erfolgte bald. Im Jahr 1882 trat LESLIE STEPHEN, der ausgezeichnete Geschichtsschreiber der englischen Philosophie des 18. Jahrhunderts, der feinsinnige Essayist und überzeugte Vertreter des freien Gedankens, mit seinem umfassenden Werk "The Science of Ethics" hervor. STEPHEN selbst bezeichnet es als die Absicht seines Buches, die evolutionistische Theorie auch nach der Entwicklung, die sie bei SPENCER gefunden hatte, noch weiter auszubauen und mit der Ethik HUMEs, BENTHAMs, MILLs, SIDGWICKs in Einklang zu bringen, als den Versuch einer umfassenden Synthese aller Ergebnisse der bisherigen wissenschaftlichen Arbeit des ethischen Empirismus. Gefordert wird er, nach STEPHENs eigenen Worten, einfach durch die Erwägung, daß ein Problem, wie das ethische, auch wenn sich die Erwägung, daß ein Problem, wie das ethische, auch wenn sich die Prinzipien nicht ändern sollten, von jeder Generation mit ihren geistigen Hilfsmitteln neu durchgearbeitet und in ihrer Sprache ausgedrückt werden muß. So bekommen bei STEPHEN in der Tat die Fundamentalbegriffe der Ethik, der Begriff des Sittengesetzes, des Motivs, des Verdienstes, des Gewissens, das Verhältnis zwischen Sittlichkeit und Glück, zwischen Egoismus und Altruismus, mit deren Diskussion das Buch sich eingehend beschäftigt, vielfach neues Aussehen und neuen Inhalt. Sie werden ohne Ausnahme auf den sozialen Zusammenhang bezogen und müssen aus der Wechselwirkung des Individuums mit der Gesellschaft abgeleitet und verstanden werden. Dieses Moment betrachtet STEPHEN selbst als das entscheidend Neue seiner Untersuchung im Gegensatz zur älteren Ethik. Diese, so sagt er, war vielfach von der stillschweigenden Voraussetzung ausgegangen, daß die Gesetze des sozialen Zusammenlebens aus dem Studium der Einheiten abgeleitet werden könnten, aus denen die Gesellschaft besteht. Uns ist umgekehrt deutlich geworden, daß es Gesetze für diese Einheiten nur darum gibt und geben muß, weil es eine Gesellschaft gibt. Aller Bestand des Sittlichen ist daher abhängig vom Bestand der Gesellschaft und unsere wissenschaftliche Ethik kann auf nichts anderem ruhen als auf dem Verständnis der Lebens- und Entwicklungsbedingungen der Gesellschaft in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Trotzdem ist STEPHEN in Bezug auf den Gedanken einer idealen oder absoluten Moral, abzuleiten aus der Vorstellung eines definitiven Zustandes der menschlichen Gesellschaft, noch weit zurückhaltender als SPENCER. Wissenschaftliche Ethik hat es nur mit der Erklärung derjenigen Sittlichkeit zu tun, welche gilt oder unter erkennbaren Verhältnissen gegolten hat, nicht aber mit der Aufstellung einer idealen Sittlichkeit. Die verschiedenen Wertgebungen, die uns tatsächlich entgegentreten, müssen als verschiedene Stadien der gesellschaftlichen Entwicklung begriffen werden. Am stärksten tritt dieser Zusammenhang hervor in den schönen Erörterungen STEPHENs über den Begriff des Typus in der Ethik, die zeigen, daß in der moralischen Welt, genauso wie in der organischen, alle Existenz auf der Errichtung oder Erhaltung eines gewissen Gleichgewichts beruth - sei es zwischen den einzelnen Teilen des Organismus selbst, sei es zwischen dem individuellen Lebewesen und der Gesamtheit der es umgebenden Welt. Der Prozeß der Evolution bedeutet nichts anderes als die Herbeiführung eines Maximums an Leistungsfähigkeit und Beständigkeit; aber die Bedingungen des Lebens sind in immerwährender, wenn auch langsamer Umbildung begriffen. Eben darum ist jedes erreichte Maximum immer nur relativ, ein absolutes Maximum undenkbar.

Von hier aus empfängt auch das so viel umstrittene Problem des Eudämonismus durch den Entwicklungsgedanken eines neues Gesicht. STEPHEN bleibt zwar unverrückt bei dem prinzipiellen Gedanken der Benthamschule, daß alles menschliche Verhalten durch Lust und Schmerz bestimmt wird. Allein die wichtigen Bemerkungen über das Utilitätsprinzip, welche sich an die Erörterungen des Begriffs Typus anschließen, machen eben darauf aufmerksam, daß die Voraussetzung für das Entstehen bestimmter Lust- und Schmerzgefühle die Konstitution des Individuums und diese selbst nichts Letztes, sondern von den gesamten Lebensbedingungen abhängig ist. Lust und Schmerz sind daher nicht, wie die ältere Theorie gemeint hatte, die alleinigen Bestimmungsgründe für das praktische Verhalten. Das Gute oder Nützliche im Sinne des evolutionistischen Ethikers hat durchaus die Doppelbedeutung "Lust gewährend" und "Leben erhaltend" oder "Leben steigernd". Und es ist interessant zu sehen, wie sich STEPHEN hier sogar von SPENCER entfernt, der trotz seines Kampfes gegen den Utilitarismus in den "Data of Ethics" noch erklärt hatte, die einzige Rechtfertigung für ein lebensteigerndes Verhalten liege darin, daß ein solches einen Überschuß an Lust gewährt. Diese Unterscheidung STEPHENs war durch seine Vorgänger angebahnt. Schon DARWIN hatte erklärt, das größte Glück der größten Zahl sei zwar nicht das Motiv, wohl aber das Kriterium für das Sittliche, und ganz in diesem Sinn heißt es auch bei SIDGWICK, Lust sei zwar nicht notwendig und ausschließlich Gegenstand unseres ganzen Handelns, aber sicherlich das höchste Gut, der oberste Zweck.

Nicht sehr lange nach STEPHENs "Science of Ethics" erschien von SAMUEL ALEXANDER "Moral Order and Progress - an analysis of ethical conceptions" (1889). Der Verfasser dieses bedeutenden Werkes, das von manchen englischen Beurteilern dem Buch von STEPHENs noch vorgezogen wird, steht seiner geistigen Herkunft nach der idealistischen Schule, namentlich BRADLEY, näher als der utilitaristischen und evolutionistischen; aber bezeichnenderweise hat diese verschiedene Herkunft nicht zu einem wesentlichen Gegensatz geführt. Denn indem ALEXANDER zugleich den bestimmenden Einfluß, den STEPHEN auf ihn geübt hat, in den wärmsten Worten anerkennt, weist er darauf hin, daß die Ideen des Evolutionismus sich bei ihm mit einer auf ARISTOTELES und HEGEL fußenden Bildung verschmolzen und vollkommen gut vertragen hätten, so daß das eine nicht der Gegensatz des anderen, sondern vielmehr seine Erfüllung ist. Wie sehr in diesen Untersuchungen auch die Beziehung auf das Biologische und die Wurzeln des sittlichen Lebens in tierischen Instinkten oder urgeschichtlichen Vorgängen in den Hintergrund tritt - evolutionistisch ist die Ethik ALEXANDERs schon dadurch, daß sie den von COMTE zuerst angeregten Unterschied einer sozialen Statik und einer sozialen Dynamik oder den Gegensatz konstanter und variabler Elemente auf ethischem Gebiet zum Haupteinteilungsgrund nimmt. Rückhaltlos erkennt ALEXANDER die Veränderlichkeit und den Wechsel sittlicher Ideale an; er schildert ausführlich den Kampf verschiedener Ideale miteinander, als einen im sittlichen Leben regelmäßig wiederkehrenden Vorgang, und erörtert die Kriterien des sittlichen Fortschritts ebenso wie die Erscheinungen der sittlichen Rückbildung und die Mitwirkung außersittlicher Momente bei diesen Prozessen.

Am kenntlichsten ist die Herkunft dieser Ethik aus dem Gedankenkreis des Idealismus bei der Behandlung des hedonistischen Problems, dem eine sehr ausführliche Erörterung gewidmet wird. ALEXANDER verwertet hier den wichtigen, schon von SPENCER eingeführten Begriff des Gleichgewichts: sowohl im Individuum selbst, als auch im Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft und zwar selbstverständlich bezogen auf eine Willensordnung. Aber er bezeichnet dieses Gleichgewicht (oder mit anderen Worten das richtige Verhalten) nicht nur als den Zweck des Sittlichen (moral end), sondern zugleich als das einzige, vollkommen auf sich selbst ruhende Kriterium des Sittlichen (moral standard). Hier stoßen wir auf den alten Grundirrtum aller anti-eudämonistischen Ethik: auf die Meinung, das Gefühlsmoment aus dem Sittlichen eliminieren oder wenigstens in die zweite Reihe drängen zu können. Wie denn anders als durch Gefühlswirkungen soll ermittelt werden, ob ein Gleichgewicht im Individuum selbst und zwischen Individuum und Gesellschaft zu erreichen ist? Das Gleichgewicht, um das es sich im Sittlichen handelt, ist doch nicht nur ein mathematisches, ästhetisches, organisches, sondern ein Gleichgewicht der Triebe, ein Gleichgewicht der Interessen und Bedürfnisse, das gefühlt werden muß und nur als Gefühltes seine beglückenden oder wenigstens beruhigenden Wirkungen in unserer Lebensökonomie geltend machen kann.

In Bezug auf das Verhältnis der Ethik zur Metaphysik ist die Haltung der beiden Autoren trotz ihres verschiedenen Ausgangspunktes fast ganz die gleiche. Beide stellen fest, daß die Untersuchungen der Ethik, so gut wie die jeder anderen Wissenschaft, wohl zu metaphysischen Fragen überleiten können, selbst aber keinerlei metaphysische Erkenntnisse oder Theorien zu ihrer Voraussetzung haben. Die Formulierungen einer wissenschaftlichen Ethik können durch Metaphysik ebensowenig abgeändert oder aufgehoben werden wie geometrische Sätze; und wahre Metaphysik wird daher Erkenntnisse der einen wie der anderen Art zu ihrem eigenen Aufbau bedürfen. Beiden Werken gemeinsam ist die vollständige Ausschließung jedes theologischen oder religiösen Gesichtspunktes. Die Religion wird weder als Hilfsmittel herangezogen, noch in polemischen Erörterungen abgewehrt. Dieser ganze Gedankenkreis ist hier für die wissenschaftliche Erörterung der ethischen Probleme einfach nicht vorhanden. Die einzige Ausnahme machen die kurzen aber einschneidenden Bemerkungen, mit denen STEPHEN am Schluß seines Werkes den Gedanken einer transzendenten sittlichen Weltordnung und Weltregierung zurückweist. Wenn man diese geistige Haltung von zwei führenden Arbeiten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts mit der außerordentlichen Wichtigkeit vergleicht, welche der Zusammenhang zwischen Ethik und Religion, nicht nur für die ganze englische Ethik des 17. und 18. Jahrhunderts, sondern auch noch im 19. Jahrhundert für Denker einer radikalen Richtung, wie BENTHAM und MILL, gehabt hatte, so läßt sich aus dieser offenkundigen Tatsache wohl ein Schluß auf die starke Zurückdrängung des theologischen Geistes ziehen, welche während dieser Zeit in England stattgefunden hat. Man versteht von hier aus sowohl die durchaus latitudinarische [heuchlerische - wp] Haltung, welche das englische Schulgesetz von 1908 in Bezug auf den Religions- und Moralunterricht an öffentlichen Schulen in England einnimmt, als auch den durchgreifenden Erfolg, den die "Moral Education League" mit ihren Anregungen und ihrem Syllabus [Zusammenfassung - wp] erzielt hat.

Daß aber in dieser Haltung führender englischer Ethiker nicht etwa ein Mangel an Entschiedenheit dem religiösen Problem gegenüber zu erblicken ist, zeigt sich auf das Deutlichste, wenn man namentlich bei STEPHEN seine anderweitige literarische Tätigkeit in Betracht zieht. Insbesondere den ausgezeichneten Essay "An Agnostics Apology", welcher die gleichnamige Sammlung von Aufsätzen eröffnet und die unter dem Titel "On Free-Thinking and Plain-Speaking" erschienene Reihe von Aufsätzen.

Ein anderer auffallender Zug der beiden Darstellungen, wodurch sie sich sowohl von ihrem ideellen Ausgangspunkt, HERBERT SPENCER, als auch von den gleichzeitig auftretenden Arbeiten der deutschen wissenschaftlichen Ethik unterscheiden, ist dies, daß sie sich ausschließlich auf die formale Analyse der sittlichen Phänomene und Begriffe beschränken und den technisch praktischen Teil der Ethik völlig beiseite lassen. Es gibt hier keine angewandte Ethik, keine Prüfung der geltenden Moralität auf ihren eudämonistischen und evolutionistischen Wert, keine Herausarbeitung neuer Ideale nach fühlbar werdenden neuen Bedürfnissen. Beide Denker glauben an einen Fortschritt der sittlichen Ideale; aber beide erwarten offenbar diesen Fortschritt von anderen Mächten als von der ethischen Wissenschaft. Mehr als in Deutschland scheint hier HEGELs bekanntes Wort gewirkt zu haben: "Dazu, der Zeit die Leuchte voranzutragen, kommt die Philosophie notwendigerweise immer zu spät."


2. Der englische Neo-Idealismus

Neben diesen Arbeiten, in denen sich Eudämonismus und Evolutionismus mit den wertvollsten Errungenschaften der älteren Theorien zu ganz neuen wissenschaftlichen Bildungen verbanden, darf indessen das Aufkommen einer starken idealistischen oder vielleicht besser gesagt platonisierenden Richtung nicht übersehen werden. Diese Strömung ist in England so alt wie der Empirismus und Eudämonismus. Wenn sie am Ausgang des 18. Jahrhunderts und in den beiden ersten Dritteln des 19. Jahrhunderts fast ganz zurückgedrängt schien, so bricht sie nun, gefördert durch das von COLERIDGE und CARLYLE angeregte, allmählich immer tiefer greifende Studium der deutschen spekulativen Philosophie mit Macht hervor - offenbar in gewissen Bedürfnissen der nationalen Anlage eine starke Stütze findend.

Es sind namentlich drei Persönlichkeiten, auf denen diese neue Bewegung beruth: JAMES MARTINEAU, FRANCIS HERBERT BRADLEY und THOMAS HILL GREEN. MARTINEAUs literarische Tätigkeit, welche schon mit der Mitte der dreißiger Jahre einsetzt, war zunächst überwiegend theologischen oder zumindest religionsphilosophischen Fragen gewidmet: der Vertiefung des religiösen Bewußtseins, der Abwehr des Naturalismus, der Verteidigung der Einheit von Glauben und Wissen. Seine persönliche Entwicklung auf philosophischem Gebiet, welche von HARTLEY und den MILLs - gefördert durch einen längeren Studienaufenthalt in Berlin - zum spekulativen Idealismus führte, ist nicht uninteressant, liegt aber außerhab des Rahmens dieser Darstellung. Die Position, die er schließlich in der Ethik gewann, tritt erst gegen Ende der siebziger Jahre bestimmter hervor in den Schriften: "Ideal Substitutes for God considered" (1879); "The Relation between Ethics and Religion" (1881) und vor allem in der umfangreichen historisch-systematischen Arbeit ("Types of Ethical Theory" (2 Bände, 1885; dritte Auflage 1901). Die prinzipielle Anschauung, die diesem Buch zugrunde liegt, dürfte kaum ohne Einwirkung der Gedanken entstanden sein, welche mittlerweile von GREEN und BRADLEY entwickelt worden waren. Letzterer hatte im Jahre 1876 seine "Ethical Studies" veröffentlicht (2), eine Anzahl von Essays, in denen, neben einem heftigen Angriff auf die psychologischen Grundlagen und die ethischen Wirkungen des Eudämonismus, zuerst der Gedanke entwickelt und zur Grundlage eines ethischen Systems gemacht wird, daß "Selbstverwirklichung" das letzte Ziel unseres praktischen Verhaltens ist. Die Herkunft dieses Gedankens aus dem deutschen Idealismus, namentlich aus FICHTE, ist unmittelbar einleuchtend. Dies wird überdies bestätigt durch die Metaphysik, welche in den "Ethical Studies" mit vorgetragen wird, die aber erst geraume Zeit später in BRADLEYs philosophischem Hauptwerk "Appearance and Reality" (1893) ausgeführt worden ist. In der gleichen Richtung bewegte sich auch GREEN (3). Die wesentlichsten Züge seiner Anschauung sind von ihm, ebenso wie einstens von KANT, im Kampf gegen HUME errungen worden, dessen Werke er in Verbindung mit GROSSE neu herausgegeben hat (1874-75) und dessen Positivismus er in der höchst beachtenswerten Einleitung zum "Treatise on Human Nature" scharf kritisierte. Das ethische Problem behandeln die "Prolegomena to Ethics", deren Veröffentlichung der Verfasser nicht mehr erlebt hat. Im Jahre 1883 gab sie BRADLEY aus dem Nachlaß heraus, nachdem kurz vorher die erkenntnistheoretische Einleitung dazu "Can there be a natural science of man?" veröffentlicht worden war. Noch entschiedener als bei BRADLEY tritt hier die Verwandtschaft dieses englischen Neo-Idealismus mit FICHTE hervor. Alle wesentlichen Züge dieses Systems finden sich hier wieder: die Reduktion des Naturbegriffs auf ein System von Bewußtseinstatsachen; der Gegensatz des absoluten und des endlichen Bewußtseins, dieser Gegensatz im praktischen Sinn verstanden als eine Aufgabe für den Menschen, der mit Freiheit sein endliches Wesen im Angesicht des unendlichen Wesens zu erweitern und zu steigern trachten soll - ein immer vorschwebendes, aber nie zu erreichendes Ziel, bei dessen Verfolgung mit jedem Schritt neue Aufgaben entstehen. Nur daß alle diese Gedanken hier mit einer stärkeren kontemplativen Wendung erscheinen als beim Tatmenschen FICHTE, dem überdies die geschichtlichen Ereignisse die öffentliche Wirksamkeit fast aufgedrängt haben. Alle politischen und sozialen Einrichtungen haben nur Wert als Mittel, um den Individuen das Erreichen ihrer persönlichen Vollkommenheit zu erleichtern - im tiefsten Grund vollzieht sich aller Fortschritt der Kultur in Einzelnen und für Einzelne; sie ist mit all ihren Zurüstungen eine Sache des innerlichsten Lebens, das in endlichen Geistern nur kopiert und vervielfältigt, was in der göttlichen Idee ewig realisiert ist. Die ethische Entwicklung der Menschheit unter diesen Gesichtspunkt gebracht zu sehen, gehört zu den anziehendsten Ergebnissen der "Prolegomena". Zugleich aber verrät sich gerade hier auf das Kenntlichste die Nähe dieser Philosophie zur christlichen Theologie. Die Universität Oxford, an der GREEN als einflußreicher Lehrer wirkte und die in der Mitte des 19. Jahrhunderts der Sitz jener früher erwähnten katholisierenden Richtung in der englischen Kirche gewesen war, gewinnt mit diesem Mann und seiner Schule, gestützt auf eine idealistische Erkenntnistheorie und auf eine vertiefte Fassung des religiösen Problems, aufs neue Macht über den englischen Geist.

Diese Gedanken haben nach dem frühen Tod GREENs und der Abwendung BRADLEYs von den ethischen Problemen durch die Arbeit MARTINEAUs eine starke Stütze empfangen. Die "Types of Ethical Theory" (4) stellen neben den Schriften SIDGWICKs den wertvollsten Beitrag dar, den die englische Wissenschaft zur historisch-kritischen Fundierung der Ethik geleistet hat. Und sie sind umso interessanter, als sie prinzipiell von völlig verschiedenen Gesichtspunkten ausgehen. MARTINEAU bekennt sich ohne Rückhalt zur intuitiven Methode. Alle Ethik muß auf unmittelbar gegebene Bewußtseinstatsachen aufgebaut werden, die nur Anerkennung aber keine Ableitung verlangen. Das sittliche Bewußtsein in dieser seiner Unmittelbarkeit ist unabhängig von jeder metaphysischen Konstruktion, durch die man es zu stützen und gewissermaßen über sich selbst aufzuklären unternehmen könnte; es ist aber auch unabhängig von jeder empirischen Begründung, die außerhalb seiner selbst gesucht werden und es erst erzeugen müßte. Diese seine fundamentale Anschauung nennt MARTINEAU die "idiopsychologische Theorie" und er hat sie am Anfang des zweiten Bandes ausführlich dargestellt. Mit ihr kontrastiert er einerseits die unpsychologischen Theorien, die entweder metaphysisch sind (PLATO, DESCARTES, MALEBRANCHE, SPINOZA) oder physisch (COMTE); andererseits die heteropsychologischen Theorien, die entweder hedonistisch und evolutionistisch sind oder dianoetisch [den Verstand betreffen - wp] (CUDWORTH, CLARKE, PRICE) und ästhetisch (SHAFTESBURY, HUTCHESON). Daß Denker wie BUTLER und KANT in dieser Aufstellung der Typen ethischer Reflexion fehlen, erklärt MARTINEAU aus der übergroßen Nähe, in welcher ihre Gedanke zu seinen eigenen stehen, so daß ihre Darstellung nur eine Vorwegnahme oder Wiederholung der eigenen Anschauung gewesen wäre. Die metaphysischen Ausblicke KANTs lehnt er ausdrücklich ab - was freilich angesichts seiner eigenen Position Position fast verwunderlich erscheint. Diese ist bezeichnet durch den Nachdruck, mit welchem die psychischen Triebfedern des Handelns von den regulierenden Kräften getrennt und in diesen selbst ein natürlicher und ein (wenn der Ausdruck gestattet ist) übernatürlicher Faktor unterschieden werden: Selbstliebe und Gewissen. Dieses ist der Trieb nach persönlicher Vollendung, das Ideal des eigenen Wesens, das sich an der göttlichen Vollkommenheit orientiert und von Gott dem Menschen eingepflanzt ist. Keine soziale Rücksicht, keine Abhängigkeit des Individuums von der Gattung, keine Sanktion, keine wie auch immer geartete Nützlichkeit, ist der tiefste Grund aller ethischen Autorität und aller wahren sittlichen Größe, sondern der stille geistige Verkehr mit der Vollkommenheit, die unserem Wesen möglich und in ihm angelegt ist. Und der Grundmangel aller sogenannten Menschheitsmoral in der Gegenwart ist die Verdrängung dieser rein persönlichen Kräfte durch gesellschaftliche, der Wahn, daß das Sittliche überhaupt eine außerhalb seiner liegende Aufgabe zu erfüllen hat. In diesen Gedanken kommt der platonisierende Charakter dieser intuitiven Ethik ganz rein zum Vorschein.

Neben GREEN, BRADLEY und MARTINEAU darf auch EDWARD CAIRD (5) nicht unerwähnt bleiben, obwohl sein Einfluß auf die Entwicklung dieses neu-englischen Idealismus auf dem Gebiet der Ethik mehr indirekt gewesen ist. Wir haben von ihm keine Arbeit über ethische Prinzipienfragen; aber sein großes Werk über KANT, das zu den Schätzen der Kant-Literatur gehört und diesen zum ersten Mal in der ganzen Breite und Tiefe seines Denkens den englischen Lesern vorgeführt hat, bot, ebenso wie die Gifford-Vorlesungen über die Entwicklung der Religion mit ihrer so sympathischen Erfassung des Christentums und seiner Ethik, starke Hilfen für die Begründung und Befestigung dieser Richtung.

Auch sonst hat sich diese in manchen ernsten Arbeiten den evolutionistischen und utilitarischen Anschauungen gegenüber zu behaupten gewußt. Erwähnt sei das Buch von SIMON LAURIE "Ethica, or the ethics of reason", das unter dem Pseudonym SCOTUS NOVANTICUS zuerst im Jahr 1885 erschienen ist. Auch hier, ebenso wie in der den prinzipiellen Auffassungen zugrunde liegenden "Metaphysica nova et vetusta", findet man sich im Wesentlichen auf dem Boden der Philosophie FICHTEs: Selbstverwirklichung des vernünftigen Ich durch Freiheit ist das Grundthema.

Verwandte Gedanken hat auch JAMES SETH in seiner erfolgreichen "Study of Ethical Principles" (1894) ausgesprochen. Auch hier als Leitthema die Ethik der freien, schöpferischen Persönlichkeit, deren Tun als Selbstvollendung zugleich Eudämonie ist - im Gegensatz zu dem, was SETH Hedonismus nennt (Sittlichkeit als Mittel zu einem außerhalb ihrer liegenden Zweck) und zu allem Rigorismus: Sittlichkeit und Glückseligkeit als gegensätzliche Begriffe. Der Einschlag aristotelischer Gedanken ist hier besonders kenntlich.

Der begeistertste Vertreter dieses neuen Idealismus, metaphysisch wie ethisch gesprochen, auf amerikanischem Boden ist JOSIAH ROYCE, der schon 1892 den Versuch gemacht hat, in seinem Buch "The Spirit of Modern Philosophy" den ganzen Gang der deutschen Spekulation von KANT bis HEGEL und SCHOPENHAUER wie eine persönliche Entwicklungsgeschichte darzustellen und in einer Anschauung gipfeln zu lassen, welche, wie bei GREEN, alles Sein und Leben in Gedanken eines absoluten Ich auflöst. Seine späteren Schriften "Religiois Aspects of Philosophy" und "Studies of Good and Evil" haben dann diese Anschauung auf das ethische Gebiet wie auf das Problem der Theodizee [Rechtfertigung Gottes - wp] angewendet und den religiösen Gehalt noch stärker herausgearbeitet. Man wird nicht fehl gehen, wenn man ihn als den wichtigsten und einflußreichsten Träger des GREENschen Geistes auf amerikanischem Boden bezeichnet. (6)


Zweiter Abschnitt
F r a n k r e i c h
1. Spiritualismus und Kritizismus

In Frankreich blieb die wissenschaftliche Ethik auch über den Krieg von 1870 hinaus noch vom Gegensatz der spiritualistischen und positivistischen Schule beherrscht. Der Spiritualismus empfing einen nicht unbeträchtlichen Zuwachs an geistiger Kraft durch den Neukantianismus, der gegen Ende der sechziger Jahre durch CHARLES RENOUVIER begründet wurde (7). Die Anknüpfung der französischen Philosophie an den deutschen Idealismus, durch den schon die philosophische Restauration unter COUSIN befruchtet worden war, vollzog sich hier noch einmal aufgrund einer weit intimeren urkundlichen Vertrautheit, namentlich mit der kantischen Philosophie. Und obwohl dieser französische Neukantianismus sich teilweise kritisch gegen den älteren Spiritualismus stellte und namentlich dessen Metaphysik negieren zu müssen glaubte, läßt sich, vorzugsweise im Bereich der praktischen Philosophie, ein gewisser Gleichklang der Gedanken nicht verkennen. Weitaus das wichtigste Werk der Richtung auf dem Gebiet der Ethik ist RENOUVIERs "Science de la Morale" (1869). Konsonanzen wie Dissonanzen mit KANT sind in dem Buch reichlich vertreten. Vernunft und Freiheit sind die Grundpfeiler der Sittlichkeit: beide streng psychologisch gefaßt, nicht als Kräfte, die ihre Wurzeln im Transzendenten haben. Vernunft als das Vermögen, Erfahrungen zu sammeln und zu schließen; Freiheit als jenes Gefühl, das jedes Handeln aus Überlegung notwendig begleitet und dessen Tatsächlichkeit vom Problem des Determinismus unberührt bleibt: nicht die problematische Freiheit des Willens, sondern die evidente Freiheit des Tuns unter der Voraussetzung eines Wollens. Allein diese Ablösung von KANT bleibt doch nur eine Halbheit. Von diesen rein psychologischen Prämissen aus scheint der Weg zu einer empiristischen Ethik führen zu müssen, zu einer Moral der Zwecke, die zeigt, wie durch selbstbewußte Überlegung der Wirkungen unseres Tuns und durch die relative Freiheit des Menschen aus einer "rein natürlichen Wertgebung sich sittliche Ideale und Imperative entwickeln". Stattdessen finden wir bei RENOUVIER eine "reine" Ethik, aufgebaut auf dem Begriff eines Systems von Handlungen, die durch sich selbst und unabhängig von jedem besonderen Zweck notwendig sein sollen. Besonders deutlich zeigt auch die Behandlung, welche die kantischen Postulate durch RENOUVIER erfahren (wofür außer der "Science de la Morale" namentlich auch die "Essais de Critique Générale" heranzuziehen sind), die unklare Doppelstellung dieses Kritizismus. Die transzendenten Begriffe KANTs werden hier auf das Äußerste abgeschwächt, aber trotzdem wird nicht der Mut zu einer rein anthropologischen und diesseitigen Behandlung des Gottes- und Unsterblichkeitsbegriffs gefunden: Die schwer erträgliche Zweideutigkeit, die schon dem metaphysischen Überbau der Ethik KANTs anhaftet, tritt hier vielleicht noch stärker hervor. Die sehr ersprießliche Ethik zu popularisieren und in die Schule einzuführen, wird noch zu besprechen sein.

Auch der ältere Spiritualismus macht Versuche, den Anforderungen der Zeit zu genügen und den Einfluß zu gewinnen, den er sich früher unbesonnen hatte entgehen lassen. JULES SIMON, ELME-MARIE CARO, PAUL JANET sind die Hauptvertreter der Richtung im späteren 19. Jahrhundert. Des ersteren Buch "Le Devoir" ist früher bereits erwähnt worden. CARO setzt sich in seinen "Problémes de morale sociale" kritisch mit der Morale indépendante, dem Utilitarismus, namentlich MILL, und dem Evolutionismus, besonders SPENCER, auseinander und betont allen diesen Theorien gegenüber nicht ohne Geschick das spiritualistische Grunddogma: absolute Basis der Sittlichkeit und des Rechts im Begriff der Persönlichkeit, also des mit Willensfreiheit und Selbstbewußtsein ausgestatteten Menschen.

JANET hat sich um die wissenschaftliche Ethik hauptsächlich durch historische Forschungen verdient gemacht. Seine "Histoire de la philosophie morale et politique" (zuerst 1858 erschienen, 1887 bedeutend vermehrt, in der dritten Auflage, unter dem Titel "Histoire de la science politique dans ses rapports avec la morale") behauptet einen ehrenvollen Platz unter den Arbeiten, die in neuester Zeit die inneren Gedankenzusammenhänge der Entwicklung ethischer Wissenschaft klarzulegen unternommen haben. Das durchgängige Festhalten des Zusammenhangs zwischen Ethik und philosophischer Staatslehre unterscheidet diese Arbeit von den meisten neueren Darstellungen der Geschichte der Ethik und rückt sie in eine besondere Beziehung zu dem unten zu erwähnenden Werke des jüngeren FICHTE.

Die wissenschaftliche Arbeit, die in Frankreich auf dem Gebiet der systematischen Ethik geleistet wurde, ist nicht sehr umfangreich. In den Schulen des Positivismus, des Neukantianismus und des immer noch lebendigen Spiritualismus ist eine gewisse historisch begründete Position gegeben, an der im Ganzen festgehalten wird.


2. Französische Umgestaltung
des Evolutionismus

Der Evolutionismus hat auf das französische Denken im Bereich der Ethik nur geringen Einfluß ausgeübt. Am stärksten ist er vielleicht bei HENRI MARION in seinem Buch "La Solidarité Morale" (1880), das sich selbst "angewandte Psychologie" nennt und in der Tat den deskriptiven Gesichtspunkt durchaus über den normativen stellt. In einer Weise, wie es auch LESLIE STEPHEN in seiner "Science of Ethics" nicht nachdrücklicher getan hat, wird hier der Satz vertreten, daß der moralische Organismus, genau ebenso wie der physische, in beständiger Wechselwirkung mit seiner Umgebung steht, daß ferner die relative Selbständigkeit des Individuums diese Abhängigkeit durchaus nicht aufhebt und daß natürliche Gesetze den Aufstieg oder den Verfall der menschlichen Gesellschaften bedingen. Auch im sittlichen Leben bilden alle Generationen eine unzerreißbare Kette. Wissenschaftliche Ethik kann nichts anderes sein, als das Studium der Bedingungen, von denen sittliches Wachstum oder sittlicher Verfall bei Individuen wie bei Gesellschaften abhängt. Hier so wenig wie bei SPENCER bedeutet dieser sozial-evolutionistische Standpunkt einen vollständigen Determinismus oder Quietismus in Bezug auf die Entwicklung des sittlichen Lebens. Mag es mit der metaphysischen Freiheit des Willens stehen wie es will - so viel ist gewiß, daß sich in jeder Gesellschaft eine bestimmte Vorstellung davon ausbildet, welche Charaktertypen für sie wertvoll sind, und daß jede Gesellschaft imstande ist, teils durch Erziehung, teils durch soziale Einrichtungen, auf die Ausbildung dieses Typus hinzuwirken. Daraus ergibt sich, daß der Standpunkt der wissenschaftlichen Ethik in der Frage des sittlichen Fortschritts weder ein blindes Vertrauen auf die Naturgesetze sein kann, die den Fortschritt gleichsam automatisch besorgt haben, noch ein lähmender Pessimismus, als lasse sich überhaupt nichts erreichen, sondern nur ein Meliorismus: die Überzeugung, daß aller Fortschritt von unserem Willen und unserer Arbeit abhängig ist.

Die einflußreichsten Schriftsteller Frankreichs auf dem Gebiet der Ethik sind indessen ALFRED FOUILLÉE (8) und JEAN-MARIE GUYAU (9) - einander nicht nur geistig nahestehend, sondern auch durch enge persönliche Bande verknüpft. Zwar pflegen beide als Vertreter des französischen Evolutionismus bezeichnet zu werden; aber in Wirklichkeit ist ihre Beziehung zu diesem Gedankenkreis sehr lose, vielfach polemisch gerichtet, und man wird FOUILLÉE wie GUYAU wohl richtiger charakterisieren, wenn man ihre Ethik als einen Versuch bezeichnet, die nationale spiritualistische Philosophie mit der Wissenschaft der Gegenwart in Einklang zu bringen. Zunächst tritt auch bei diesen beiden Forschern jenes Streben nach einem breiteren historischen Unterbau für die Ethik hervor, nach einer umfassenden Orientierung in der Mannigfaltigkeit der vorliegenden Theorien und Systeme, wie es sowohl in der deutschen als auch in der englischen Literatur der neuesten Zeit anzutreffen ist. FOUILLÉE, von größeren Arbeiten über die Geschichte der Philosophie überhaupt ausgehend, hat in seiner Studie "Critique des systémes de morale contemporains" (1883) alle wichtigeren ethischen Auffassungen der Gegenwart (Positivismus, Evolutionismus, Kantianismus, Pessimismus, Mystizismus und christlich-theologische, namentlich katholische Ethik) einer eingehenden Darstellung und Prüfung unterzogen. GUYAU hat seine literarische Laufbahn mit einer Arbeit über die Philosophie EPIKURs begonnen, in welcher er ihre Beziehung zum Denken der Gegenwart erörtert (1878) und hat bald darauf die englische Ethik der Gegenwart, insbesondere den Evolutionismus und Utilitarismus, unter Heranziehung ihrer geschichtlichen Voraussetzungen, eingehend behandelt ("La morale anglaise contemporaine", 1879). Was diese französischen Arbeiten von den gleichzeitigen deutschen und englischen unterscheidet, ist die Stärke des kritischen Interesses, das neben der Absicht historisch-literarischer Darstellung ganz selbständig und in großem Umfang auftritt. Sie verlieren dadurch manchmal an Objektivität und einheitlicher Wirkung des Dargestellten. Aber dieser Verlust wird aufgewogen durch die Einblicke in die eigene Gedankenwelt der Darsteller, die sich aus diesen Arbeiten ergeben. Ja, man darf vielleicht behaupten, daß die wissenschaftliche Ethik durch diese kritisch-historischen Darstellungen von FOUILLÉE und GUYAU mindestens ebensoviel gewonnen hat, wie durch ihre eigenen systematischen Arbeiten. Namentlich gilt dies von FOUILLÉE, dessen ethische Anschauungen wohl aus seiner Kritik der Moralsysteme der Gegenwart vollständiger zu konstruieren sind, als aus der Untersuchung der Rechtsidee in der Gegenwart ("L'idée moderne du droit", 1878) und seinen übrigen mehr soziologischen und psychologischen Arbeiten. GUYAU dagegen hat in seiner Schrift "Esquisse d'une morale sans obligation ni sanction" (1885) zwar kein vollständiges System der Ethik gegeben, aber alle ethischen Grundfragen zumindest gestreift.

Die Gedanken, die in diesen Werken ausgesprochen werden, sind im Wesentlichen folgende: Das Sittliche kommt nicht von außen an den Menschen heran; nicht durch göttliche Autorität, nicht durch eine absolute Idee der Vernunft, die auf rätselhafte Weise zum Imperativ wird, auch nicht durch soziale Konvention über Wert und Unwert, sondern es ist nur Erzeugnis der inneren Triebkräfte unseres eigenen Wesens. Wir haben Gedanken vom Guten und Besseren in Bezug auf praktisches Verhalten, die zugleich Wünsche, also treibende Kräfte (idées forces) sind, und die, weil wir nicht allein in der Welt, sondern eingegliedert in eine Gemeinschaft anderer wollender und denkender Personen leben, mit deren Ideen einen Ausgleich suchen müssen. Namentlich FOUILLÈE hat, merklich beeinflußt vom älteren Spiritualismus, diese Einschränkung des individuellen Kraftbewußtseins durch die Rechtsidee, d. h. eben durch die Freiheit und Persönlichkeit der Anderen, stark hervorgehoben. (10) Bei GUYAU kommt der individualistische und autonomistische Zug der ganzen Anschauung noch stärker zum Vorschein. Sich wahrhaft ausleben, heißt notwendig soviel wie sittlich sein. Leben heißt nicht nur sich ernähren, sondern auch wirken und Frucht tragen. Leben heißt ebensosehr ausgeben wie einnehmen. Daraus folgt, daß der vollkommenste Organismus auch der mitteilsamste sein wird, und daß das Ideal des individuellen Lebens das Leben in der Gemeinschaft sein wird. So wie das Leben aus sich selbst heraus die Pflicht zum Handeln dadurch schafft, daß es die Kraft zum Handeln in sich trägt, so schafft es sich auch die Sanktion durch sein Handeln selbst, denn handelnd wird es sich seiner froh bewußt. Mancherlei aus der Geschichte der Ethik wohlbekannte Themen klingen hier in neuer Verarbeitung mit: SHAFTESBURYs Gleichsetzung des Natürlichen und Sittlichen; SCHOPENHAUERs fundamentaler Satz: "Velle non discitur" [Wollen lernt man nicht (Seneca). - wp] und seine Lehre von der wurzelhaften Natur des Mitleids; FEUERBACHs Überzeugung, daß dem Menschen überall nur das zur Pflicht gemacht worden ist, was mindestens ein anderer Mensch nicht aus Pflicht, sondern aus reiner Neigung, aus dem Drang der eigenen Natur, getan hat. Vor allem aber kommt in der immer wiederkehrenden Polemik gegen den Utilitarismus - selbst SPENCER ist ihm zu sehr Utilitarier - die aristotelische Anschauung von der untrennbaren Verknüpfung der einem Wesen eigentümlichen Tätigkeit und Tüchtigkeit mit der Eudämonie zum Ausdruck. Pflicht leitet sich aus Kraft ab, die notwendig zur Tat drängt; und darum ist es wichtiger zu sagen: Ich soll, weil ich kann, als: Ich kann, weil ich soll.

Um diese Ansichten indessen ganz zu verstehen und namentlich auch in ihrer möglichen praktischen Anwendung zu würdigen, muß man neben die Ethik ohne Pflicht und Sanktion GUYAUs nachgelassene Arbeit "Education et Hérédité" stellen. Beide ergänzen einander wie Theorie und Praxis, wie Ethik und Pädagogik. Hier wird in eingehender Erörterung gezeigt, wie jener moralische Sinn oder, genauer gesagt, jener Betätigungstrieb, der als die tiefste Wurzel alles Ethischen angesprochen worden war, geweckt und geleitet werden kann: durch geistige Einflüsse, durch Suggestionen, durch die Begründung fester Gewohnheiten, durch Hemmung sittlich auflösender Wirkungen. Mit vollem Nachdruck wird hier an Haus und Schule appelliert, das Gleichgewicht physischer und geistiger Ausbildung, das Gleichgewicht intellektueller und ethischer Erziehung gefordert; als Endziel der individuellen wie der sozialen Entwicklung aber nicht ein den Verhältnissen angepaßter psychischer Automatismus, sondern "praktische Vernunft" oder, im Sinne der Psychologie dieser Richtung, "Ideen"; aber nicht als bloße theoretische Begriffe, sondern durchaus mit Gefühlswerten verschmolzen und darum zugleich wirkende Kräfte.

Von hier aus führen auch kenntliche Verbindungslinien zu dem früher dargestellten englischen Idealismus hinüber, von dessen Vertretern diese französische Humanitätsethik in anderem Sinn freilich durch ihr völlig ablehnendes Verhalten zum Gedankenkreis des Christentums scharf getrennt ist. Denn nachdem schon FOUILLÉE in seiner Kritik der Moralsysteme der Gegenwart an der theologischen Anschauung, sowohl der dogmatischen wie der mystischen, eine scharfe Kritik geübt hatte, stellt GUYAU neben seine Ethik das Buch "L'irréligion de l'avenir", einen völligen Scheidebrief an die religiöse Weltanschauung. Die Konsequenz der Lehren von COMTE, PROUDHON, MILL, FEUERBACH, wird hier mit voller Entschiedenheit gezogen, die Reste der religiösen Betrachtungsweise, die im modernen Denken noch stehen geblieben sind, werden kritisch aufgelöst und der Nachweis versucht, daß die Grenzbegriffe unseres wissenschaftlichen Denkens, die jeder Auflösung Widerstand leisten, ehrlicherweise nicht mehr als Religion bezeichnet werden dürfen. Darum ist der Gegenstand des Buches nicht (wie in so vielen anderen heutigen Darstellungen des Problems) die Religion der Zukunft - es gibt keine - sondern die Religionslosigkeit der künftigen Menschheit, und diese ist in vollem Zug sich zu verwirklichen, wie die sehr bemerkenswerte soziologische Untersuchung im II. Teil zeigt. An die Stelle der Religion tritt teils die ästhetische Betrachtung des Kosmos, teils das Gefühl der universellen Zusammengehörigkeit, welchem GUYAU - ein Rest von Phantastik bei dem sonst so klaren Denker - nicht nur humane, sondern kosmische Deutung und Bedeutung geben will.


3. Die soziologische Richtung

Die Opposition gegen die Ethik, die sich in England und Deutschland vorzugsweise auf die biologische Entwicklungslehre gestützt hatte, ist freilich auch in Frankreich nicht ganz ausgeblieben; nur nahm sie dort etwas andere Formen an. Sie erscheint in der französischen Literatur vorzugsweise als jene von TAINE in der Psychologie inaugurierte [eingeführte - wp] Richtung, welche das Individuum möglichst restlos aus den Einwirkungen seiner Umgebung und aus angeborenen, d. h. vererbten Eigentümlichkeiten seiner physischen Beschaffenheit zu verstehen sucht. Diese Richtung, von vielen bedeutenden Forschern gepflegt, hat zu einer genaueren Erforschung des Geisteszustandes der Verbrecher und zu einem besseren Verständnis des Verbrechens als einer sozialen Massenerscheinung und einer Funktion gewisser Gesellschaftszustände geführt; sie hat die nahe Berührung zwischen Verbrechen und verschiedenen Arten geistiger Störung, ebenso auch die nahe Beziehung zwischen dem genialen und dem psychopathischen Menschen erkennen lassen; sie hat namentlich im genauen Studium der hysterischen Erscheinungen, sowie der wunderbaren Phänomene der Suggestion, höchst merkwürdige Formen menschlicher Motivation aufgewiesen.

Indem diese Richtung, gestützt auf reichliches und überzeugendes empirisches Material, die kausalen Zusammenhänge zwischen dem individuellen Charakter und seine biologischen und soziologischen Voraussetzungen evident zu machen sucht, hat sie ohne Frage ähnlich auflösend auf die Ethik gewirkt, wie die früher geschilderte "neue Gattungsmoral", die Auslese-Ethik, die Auslese-Ethik, die sich aus dem Darwinismus entwickelt hat. Denn diese letztere sucht zwar das Verantwortlichkeitsgefühl des Menschen zu steigern; aber in einer Richtung, die dazu führen mußte, zuletzt mit NIETZSCHE nicht nur rücksichtslose Selbstbehauptung, sondern Graumsamkeit als höchste Sittlichkeit zu feiern. Umgekehrt lagt es diesen französischen Milieu- und Degenerationstheorien nahe, den Glauben an die Kraft sittlichen Wollens, an die Möglichkeit einer Erhebung des Menschen über den gegebenen Komplex von Milieu und Konstitution, zu schwächen; das Individuum nur als Produkt und nicht zugleich als Faktor anzusehen, das sittlich Wertvolle nicht als eine Norm, sondern nur als einen in der Phänomenologie des gesellschaftlichen Lebens auch mitvorkommenden Spezialfall zu betrachten (11).

Allerdings ist die französische Schule durch die Traditionen der heimischen Philosophie, in welcher, wie früher erwähnt, der Freiheitsbegriff bei allen Gruppen eine so große Rolle spielte, vor so weitgehender Ausbildung eines fatalistischen Determinismus bewahrt worden, wie er unter LOMBROSOs Führung in der italienischen Kriminalistik heimisch wurde. Allein die eigentliche soziologische Richtung, welche in der neuesten Zeit namentlich in DURKHEIM (12) einem hervorragenden Vertreter und in seiner Zeitschrift "L'Année Sociologique" (seit 1894) ein Organ gefunden hat, bezeichnet, von rein deskriptiven Gesichtspunkten ausgehend, den Gedanken einer theoretischen Wissenschaft der normativen Ethik entschieden als einen methodologischen Ungedanken und fordert den Ersatz der Ethik durch eine analytische und kausale Betrachtung der gesellschaftlichen Vorgänge und Zusammenhänge. Es ist dies dieselbe Scheu vor dem Gedanken der Norm, der auch auf anderen Gebieten so charakteristisch hervortritt und z. B. die Ästhetik schlechtweg in Kunstgeschichte und Künstlerpsychologie auflösen möchte. Als ob die Tatsachen der Wertbeurteilung mit ihren individual- und sozialpsychischen Wirkungen aus der Welt geschafft werden könnten und nicht beide Arten der Betrachtung, die deskriptiv-analytische und die konstruktiv-wertende, nebeneinander hergehen und einander ergänzen müßten. Daß gerade die Vertreter der fortgeschrittensten ethischen Gedanken in Frankreich, Männer wie FOUILLÉE und GUYAU, durch ihre unbedingte Anerkennung der soziologischen Betrachtungsweise als des Fundaments jeder normativen, keinen Augenblick in ihrem Glauben an die Notwendigkeit und Möglichkeit eines bildnerischen Eingreifens in das Leben des Einzelnen wie der Gesellschaft irre geworden sind, zeigt gerade ein Buch wie GUYAUs "Hérédité et Education" auf das Deutlichste. (13)


Dritter Abschnitt
I t a l i e n

Die Anschauungen der rein soziologischen Schule haben auch in Italien selbst, und zwar von geistesverwandter Seite, vielfach Widerspruch gefunden, was ganz natürlich ist, da die italienische Philosophie die meisten der großen Strömungen des geistigen Lebens in sich aufgenommen hat (14): Früher noch als England den Hegelianismus, der sich seit den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts dem nationalen Idealismus der ROSMINI, GIOBERTI, MAMIANI an die Seite stellte; ferner die Philosophie KANTs, die durch ALFONSO TESTA zu Ehren kam, aber erst nach dessen Tod (1860) allgemeiner bekannt wurde; und vor allem den Positivismus, der in Italien besonders segensreich und reinigend gewirkt hat. Der Positivismus hatte starke Wurzeln in der Philosophie Italiens: schon GIAN DOMENICO ROMAGNOSI (15), dessen wissenschaftliche Tätigkeit in das letzte Jahrzehnt des 18. und in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts fällt, hatte eine Reihe von Gedanken entwickelt, welche den Positivismus COMTEs logisch vorausnahmen, obwohl sie auf dessen Konzeptionen sicherlich keinen Einfluß ausgeübt haben. Auch hier ist der Ausschluß aller metaphysischen Momente aus der Ethik durchgeführt; auch hier wird das Zusammenwirken der Naturgesetze der Gesellschaft und der individuellen Gefühlsorganisation mit dem Zweckdenken als Prinzip der sittlichen Phänomene und die Annäherung der Begriffe Naturgesetz und Sittengesetz durchgeführt.

Der wichtigste Vorkämpfer einer positivistischen Denkweise in der Gegenwart aber ist ROBERTO ARDIGÓ (16). Freilich ist der Positivismus, den er verkündet, nicht mehr ein so bodenständiges Produkt wie die Gedanken ROMAGNOSIs, sondern mit allen Stoffen des westeuropäischen Positivismus in Wechselwirkung, - wenn auch ARDIGÓs eigene Behauptung richtig sein mag, daß gewisse grundlegende Anschauungen in ihm vor der Bekanntschaft mit SPENCER entstanden sind. Jedenfalls ist sein Werk eine bedeutene Leistung. Und hier tritt nun mit voller Bestimmtheit einerseits der Gegensatz gegen die theologische Ethik hervor, welche - in Italien immer mächtig - seit dem Jahr 1879 und der Bulle "Aeterni Patris" in der strengeren Form des Thomismus einen erneuten Aufschwung nahm; andererseits auch die Ablehnung eines rein deskriptiven Verfahrens, der völligen Auflösung der Ethik in Soziologie. Die Ethik kann freilich keine Kräfte im Menschen schaffen; sie kann nur kritisch sondern zwischen Kräften und Kräften und das bedeutungslos oder schädlich Gewordene von dem scheiden, was in der Zukunft fruchtbringend werden kann. Aber ganz wie FOUILLÈE und GUYAU glaubt auch ARDIGÓ an das Vorhandensein eines Grundbestandes von "sozialer Idealität" im Menschen, d. h. von Trieben, die über das Individuum hinaus zu uninteressiertem Handeln führen und sich manchmal bis zur Begeisterung steigern können. Hier reicht die wissenschaftliche Ethik des modernen Italien dem größten Geist der italienischen Renaissance die Hand. GIORDANO BRUNOs Kanzonensammlung "Degli eroici furori" klingt wie eine erste Verkündigung dieses Glaubens an den Zug ins Große, der in der Menschheit nie ausstirbt und den ein anderer begeisterter Lehrer der Religion des Herzens, EDMONDO de AMICIS, in die italienische Jugend einzupflanzen gewußt hat. Auch in Bezug auf das Verhältnis zur Religion und ihre Würdigung bestehen manche auffallende Ähnlichkeiten zwischen ARDIGÒ und GIORDANO BRUNO.

Und wie bei GUYAU das pädagogische Interesse sich zwingend neben die Analyse des Sittlichen stellte, so steht auch in Italien neben den ethischen und rechtsphilosophischen Arbeiten ROMAGNOSIs und ARDIGÓs eine pädagogische Literatur, die - ganz auf dem Boden des Positivismus - in ANDREA ANGIULLIs Buch "L'educazione, lo stato e la famiglia" (1876) einen ersten hervorragenden Vertreter hat (17) und die in der Folge namentlich durch die Arbeiten von GIOVANNI CESCA (Principii di pedagogia generale, 1900; Coltura ed istruzione, 1907) weitergeführt worden ist. Von demselben Autor stammt auch eine außerordentlich reiche und umsichtige Erörterung - historisch wie theoretisch - des ganzen Komplexes der Fragen, welche das Verhältnis der Religion zur Wissenschaft und speziell zur Ethik berühren, die Entwicklung der modernen Menschheitsreligion, ihre Beziehungen zur Praxis, zur persönlichen wie sozialen Lebensgestaltung. CESCAs Buch "La religione morale dell' umanitá" (1902) - eine bedeutend erweiterte Ausgestaltung früherer Schriften - dürfte wohl zu den wertvollsten Beiträgen gehören, die Italien zur ethischen Literatur der Gegenwart geliefert hat. Kurz vor seinem beklagenswerten Ende bim Erdbeben von Messina hat CESCA noch in seiner "Filosofia dell' azione" die Beziehungen der Ethik zu den verschiedenen Typen der Weltanschauung dargestellt und gezeigt, wie verschieden die Formen sind, welche der Begriff des Ideals ja nach den Voraussetzungen der gedanklichen Konstruktion annimmt und wie schließlich doch das Humanitätsideal den Konvergenzpunkt der verschiedensten Richtungen bildet.

Gleichfalls auf dem Grenzgebiet von Ethik und Pädagogik hat SAVERIO de DOMINICIS (18) Wertvolles geleistet. Von SPENCER stark beeinflußt, vertritt er einen den Individualismus und Sozialismus versöhnenden Standpunkt. Die Moral besteht in der freiwilligen Einordnung des Individuums in die Gesellschaft und den Staat und kann nur aus dem ganzen sozialen Zusammenhang heraus begriffen werden. Das moralische Gesetz ist der soziale Instinkt des Menschen, der in der Vernunft zum Ausdruck kommt und vom moralischen Gewissen, als einem generellen und individuellen Entwicklungsprodukt, begriffen und gefühlt wird.

Auch die mancherlei wertvollen Beiträge, welche PIETRO RAGNISCO (19), ursprünglich aus dem italienischen Hegelianismus herkommend, aber von den Formeln der Schule völlig freigeworden, zum Problem eines Hineinarbeitens gewisser wertvoller und ethisch wirksamer Bestandteile der dogmatischen Religion in die Menschheitsreligion, auch zum Verhältnis von Moral, Religion und Schule gegeben hat, dürfen nicht unerwähnt bleiben.

Auf die enge Verbindung, die gerade in Italien zwischen Ethik und Rechtsphilosophie besteht, wurde schon hingewiesen. Sie besonders deutlich in manchen der historischen Arbeiten hervor, welche auch hier die neue Ära einleiten. Es gilt vom Buch GIACOMO LAVIOSAs "La filosofia scientifica del diritto in Inghilterra", Parte I: Da Bacone a Hume (1897), das den Begriff der wissenschaftlichen Grundlegung der Rechtsphilosophie sehr weit erstreckt, nicht nur die Methodenlehre und Weltanschauung der einzelnen Denker, sondern auch ihre ethischen Prinzipien heranzieht und auch solche Denker berücksichtigt, die im strengen Wortsinn kaum als Rechtsphilosophien bezeichnet werden können; es gilt aber in noch höherem Grad vom Werk FRANCESCO PAOLO FULCI "La filosofia scientifica del diritto nel suo sviluppo storico", das noch umfangreicher angelegt ist als das Buch LAVIOSAs und auf dem Weg vergleichender Darstellung eine Fülle moderner Gedanken rechts- und sittengeschichtlicher Art einflicht.

Auch das Buch GUGLIELMO SALVADORIs "L'etica evolutionista" (1903) - in erster Linie eine Darstellung und Untersuchung der Ethik SPENCERs - enthält in seinem zweiten kritischen Teil viele systematisch wichtige Gedanken.

Die im Ganzen der Ethik abgewandte Stellung der bedeutenden kriminalistischen Schule Italiens wurde schon erwähnt. Manche Vertreter dieser Richtung, wie namentlich ENRICO FERRI (20), stehen indessen dem Gedanken nahe, daß bessere sittliche Verhältnisse eine Funktion besserer Gesellschaftszustände sind und vertreten von da aus den Sozialismus, den sie zugleich als die notwendige und letzte Konsequenz der von DARWIN und SPENCER gelegten Prämissen betrachten. Indessen erkennt FERRI, daß MARX, den er ungemein hochstellt, die zwischen den Wirtschaftsformen und den psychischen Kräften, d. h. sittlichen, rechtlichen, religiösen Ideen, bestehende Wechselwirkung verkannt hat und dadurch einem einseitigen Dogmatismus verfallen ist.

In den Arbeiten VANNIs über die Probleme der Rechtsphilosophie, GIORGIO del VECCHIOs über die Grundrechte der Persönlichkeit, in FRAGAPANEs genetischer Untersuchung über das Recht - überwiegt der juristische Gesichtspunkt; während in den neuesten Arbeiten von ALESSANDRO BONUCCI ethische und rechtsphilosophische Gedanken einander eng berühren und wechselseitig durchdringen. Doch fällt die Erörterung dieser Dinge jenseits dieser Darstellung. (21)
LITERATUR - Friedrich Jodl, Geschichte der Ethik als philosophischer Wissenschaft, Bd. 2, Stuttgart und Berlin 1923
    Anmerkungen
    1) Henry Sidgwicks "The Methods of Ethics" sind zuerst 1874 erschienen; siebente Auflage 1908. Eine deutsche Übersetzung hat Constantin Bauer (1909) geliefert. Sehr ausführliche Analysen der "Methods" von Alexander Bain in der Zeitschrift "Mind", Bd. 1, 1876, Seite 179f und von Georg von Gyzicki in V. "Schriften für wissenschaftliche Philosophie", Bd. 4 und 9. Repliken der so scharf angegriffenen intuitiven Schule von Bradley, "Mr. Sidgwicks Hedonism; an examination of the main argument of the Methods of Ethics (1877); von Calderwood, "Mr. Sidgwick on intuitionalism" (Mind, Bd. 1, 1876, Seite 192). Auch die Kritik Guyaus in "La Morale Anglaise contemporaine" (sechste Auflage 1902) darf man hierher rechnen. Ferner seien genannt Robert Magill, "Der rationale Utilitarismus Sidgwicks oder seine Vereinigung des Intuitionismus und Utilitarismus (1899); Ernst Winter, "Sidgwicks Moralphilosophie" (1905); A. G. Sinclair, "Der Utilitarismus bei Sidgwick und Spencer" (1907). Speziell über die Beziehungen zu Kant handelt Paul Bernays, "Das Moralprinzip bei Sidgwick und bei Kant" (1910); Wilhelm Baake, "Kants Ethik bei den englischen Moralphilosophen des 19. Jahrhunderts" (1911), Seite 42f. und Karl Schmitt-Wendel, "Kants Einfluß auf die englische Ethik (1912), Seite 54f. - Über einige andere Zwischenglieder zwischen dem älteren englischen Utilitarismus und der evolutionistischen Ethik, wie Samuel Bailey (Philosophy of human mind, 1853-1856), Alexander Bain (Mental and moral science, 1868), George Grote (Fragments on ethical subjects, 1876) siehe man die Ausführungen bei Guyau, a. a. O.
    2) Bradleys "Ethical Studies", in den Kreisen des englischen Idealismus hochgeschätzt, haben durch einen so scharfsinnigen Beurteiler wie Sidgwick eine schroffe Zurückweisung erfahren (Mind, Bd. 1, 1876, Seite 545), welche bei dem sonst so höflichen Ton der englischen Polemik auffällt. Vgl. damit das freundliche Urteil Harald Höffdings in "Moderne Philosophen" (deutsch 1905), Seite 54f.
    3) Über Greens Ethik vgl. man die sehr instruktive Studie von Sidgwick, "Lectures on the Ethics of Green, Spencer and Martineau", 1902 und George Francis James, "Green und der Utilitarismus (1894). Über das Verhältnis der Grundanschauung zur deutschen Philosophie siehe Andrew Seth, "Hegelianism and Personality" (1877); Karl Schmitt-Wendel, a. a. O., Seite 48f; Baake, a. a. O., Seite 35f. In Überweg-Heinzes "Grundriß der Geschichte der Philosophie", Bd. IV, elfte Auflage 1916, Seite 606f, steht eine ziemlich ausführliche und gut orientierende Darstellung.
    4) Über Martineaus "Types" vgl. man Sidgwick im "Mind", Bd. X, 1885 und Martineaus Repliken ebd, Seite 628 und Bd. XI, Seite 145 sowie die ausführliche Besprechung eines Anonymus im 162. Band der "Edinburgh Review". Ferner Joseph Herman Hertz, "The Ethical System of James Martineau" (1894); John J. Wilkinson, "James Martineaus Ethik" (1898); William McDougald Jack, "Einige Hauptfragen in Martineaus Ethik" (1900) und Schmitt-Wendel, a. a. O., Seite 35f.
    5) Cairds Hauptwerk "The critical philosophy of Immanuel Kant" (2 Bände) erschien 1889; seine Gifford-Lectures "The evolution of religion" (2 Bände) 1893.
    6) Ein vollständiges Verzeichnis der Literatur der neuesten englischen Ethik, nach Schulen geordnet, findet man bei John Henry Muirhead "The Elements of Ethics" (zweite Auflage 1894). Außerdem bieten die Bände des "International Journal of Ethics", in denen ganz überwiegend englische und amerikanische Autoren zu Wort kommen, sowohl in den selbständigen Aufsätzen als in den zahlreichen Buchbesprechungen vielfach Material.
    7) Die beste Darstellung und Kritik Renouviers und seiner Richtung gibt Alfred Fouillée, "Critique des systémes de morale contemporains" (1887). Vgl. die Polemik zwischen Renouvier und Fouillée aus Anlaß von dessen Schriften "La liberté et le déterminisme" und "L'idée moderne du droit" in der Zeitschrift "La Critique Philosophique Année", VIII, Nr. 7, 14, 22.
    8) Für Fouillées Anschauungen kommen außer dem historisch-kritischen Werk über die Moralsysteme in Betracht das Buch "L'idée moderne du droit en Allemagne, en Angleterre et en France" (1878) und ferner die Spezialarbeiten über Nietzsche und Kant "Nietzsche et l'immoralisme" (zweite Auflage 1903) und "Le moralisme de Kant et l'amoralisme contemporain" (1905). Über Fouillée siehe Augustin Guyau, "La Philosophie et la Sociologie d'Alfred Fouillée" (1913).
    9) Die ethischen Hauptwerke Guyaus "Sittlichkeit ohne Pflicht" (1909), "Die Irreligion der Zukunft" (1910) und "Die englische Ethik der Gegenwart" (1914) sind ins Deutsche übersetzt und von Ernst Bergmann herausgegeben worden. Von diesem erschien auch eine Monographie "Die Philosophie Guyaus" (1912). Speziell über die Ethik handeln: Gabriel Aslan, "La morale de Guyau" (1906); Elisabeth Zitron, "Guyaus Moral und Religionsphilosophie" (1908); Emil Schwarz, "Guyaus Moral" (1909); Ladislas Spasowski, "Les bases du systéme de la philosophie morale de Guyau (1910); Mejer Meisner, "Guyaus Philosophie der Moral" (1910).
    10) Am stärksten und kenntlichsten ist die Verwandtschaft Fouillées mit Proudhon, an welchen nicht nur seine Schrift "Idée moderne du droit" erinnert, sondern namentlich auch der Begriff der "idée force". Man vgl. oben Kapitel IX, 3. Abschnitt, 5.
    11) An den Beginn der Richtung muß vielleicht das ausgezeichnete Werk von Déspine gestellt werden: "Psychologie Naturelle. Etudes sur les facultés intellectuelles et morales dans leur état normal et dans leurs manifestations anomales chez les aliénés et les criminals" (1868). Von den Späteren sind vorzugsweise wichtig: Joli, "La France Criminelle" und "Le crime; étude sociale; Féré, Dégénérescence et Criminalité; Aubry, "La Contagion du Meurtre"; Bouillet, "Types Nouveaux" und die durch eine originelle Betrachtungsweise ausgezeichneten Arbeiten von Tarde, "La Criminalité Comparée"; "La Philosophie Pénale"; "Les Lois de l'Imitation". Namentlich bei diesem Autor tritt die im Text erwähnte Opposition gegen Lombroso bestimmt hervor. Dieser ist wohl der meistgekannte von den italienischen Soziologen und Kriminalogen; aber neben ihm dürfen Männer wie Enrico Ferri, Garofalo und Colajanni nicht übersehen werden.
    12) Durkheims Ideen sind vorzugsweise niedergelegt in der Schrift "De la division du travail social (1893, zweite Auflage 1901), Préface und Introduction. Über Durkheim vgl. Paul Barth, "Die Philosophie der Geschichte als Soziologie", 1. Teil (zweite Auflage 1915), Seite 600f. Diese Gedanken sind in neuester Zeit vorzugsweise aufgenommen von Lucien Lévy-Bruhl, "La morale et la science des moeurs" (1903). Einen ähnlichen Standpunkt nimmt auch Georg Simmel in seiner "Einleitung in die Moralwissenschaft" (zweite Auflage 1904) ein. Daß auch Leslie Stephens "Science of Ethics" sich mit diesen Anschauungen berührt, ist oben schon erwähnt worden. Zur Kritik vgl. man das Buch Simon Deploige, "Le conflict de la morale avec la sociologie" (zweite Auflage 1912), welche eine reiche Literatur und viele beachtenswerte Gedanken enthält.
    13) Man vgl. auch die sehr instinktive Polemik, welche Guyau (Sittlichkeit ohne Pflicht, Seite 237f, Anmerkung) gegen Lombroso, Ferri (Il diritto di punire, 1882) und Garofalo (Di un criterio positivo della penalitá, 1880) führt.
    14) Über die italienische Philosophie der neuesten Zeit vgl. man das außerordentlich reichhaltige Werk von Karl Werner, "Die italienische Philosophie des 19. Jahrhunderts" in 5 Bänden (1884-1886), von welchen der 4. Band eine Darstellung des Positivismus und Evolutionismus in Italien bringt und namentlich Ardigó und Cesca ausführlich berücksichtigt. Ferris "Essai sur l'histoire de la philosophie en Italie au XIX. siécle" (1869) behandelt nur die älteren Richtungen. Eine sehr gute Orientierung über die Entwicklung und die Hauptrichtungen der italienischen der italienischen Moralphilosophie seit Vico gibt Luigi Friso, "Filosofia morale" (zweite Auflage, 1903).
    15) Siehe über Romagnosis historische Stellung und den inneren Zusammenhang seiner Gedanken mit Hegel einerseits, mit Comte andererseits die wertvolle Studie von Fulci, "Il positivismo italiano: Romagnosi" in "L'etica del positivismo per Friedrich Jodl e Francesco Paolo Fulci" (1909); deutsche Sonderausgabe von N. C. Wolff unter dem Titel "Die Ethik des Positivismus in Italien, herausgegeben mit Einleitung von Wilhelm Börner (1911). Daselbst auch weitere literarische Angaben über Romagnosi, sowie das Wichtigste aus seinem Leben.
    16) Über Ardigó vgl. Höffding, "Moderne Philosophen" (1905), Seite 38f; Jacob Bluwstein, "Die Weltanschauung Roberto Ardigós (1911); Karl von Roretz, "Roberto Ardigó und seine Beziehungen zur neueren Philosophie" (Beilage zum Jahresbericht der Wiener Philosophischen Gesellschaft 1909); Bartolomei: I principii fondamentali dell' etica di Ardigó" (1899).
    17) Vgl. Francesco Orestano, "Angiulli" (1907)
    18) Von de Dominicis seien genannt "La pedagogia e il darwinismo" (zweite Auflage 1879); "La dottrina dell' evoluzione (1879/80), "Scienza comparata dell' etucazione" (1908) und "Principii di morale sociale" (1907). Von letzterem Buch hat Josef Kühnel unter dem Titel "Die Grundlagen der gesellschaftlichen Moral" (1922) eine sehr gute Übersetzung gegeben.
    19) Die meisten Arbeiten Ragniscos sind in den "Atti del Reale Istituto Veneto di scienza, lettere ed arti" enthalten und außerdem in Sonderausgaben veröffentlicht. Ich erwähne "La fede, la speranza e la caritá nell' etica moderna" (1895); "La preghiera nell' etica moderna" (1896); "La milizia della nostra vita" (1897); "Il pentimento" (1900).
    20) Von Ferri kommt hier in Betracht die 1895 von Hans Kurella in deutscher Bearbeitung herausgegebene Schrift "Sozialismus und moderne Wissenschaft" (1895) und "Socialismo e Criminalitá" (1883). - Am entschiedensten und gründlichsten wird die ökonomische Geschichtsauffassung durch Achille Loria vertreten. Siehe "Les bases économiques de la constitution sociale" (1894). Vgl. ferner die Darstellungen des sozialistischen Gedankenkreises von Antonio Labriola, "Del socialismo" (1889) und Oggero, "Il socialismo" (zweite Auflage 1894).
    21) von Vanni kommen in Betracht die Arbeiten "Il problema della filosofia del diritto" (1890); "Gli studi di Henry Sumner Maine e le dottrine della filosofia del diritto" (1892); und "Lezione sulla filosofia del diritto" (zweite Auflage 1896). Von Del Vecchio, "Diritto e personalitá umana nella storia del pensiero" (1904); "Su la teoria del contratto sociale" (1906). Von Fragapane "Il problea delle origini del diritto" (1896). Von Bonucci, "La derogabilitá del diritto naturale nella scolastica" (1906) und "L'orientazione psicologica dell' etica e della filosofia del diritto" (1907).